Die Presse am Sonntag

»Zeige ihnen nicht, dass sie alt sind«

Menschen über 60 sind die neuen Lieblingsk­unden der Unternehme­n. Die Kaufkraft der »Woopies« ist groß, die Lust am Konsum auch. Sparen für die Enkel wird weniger wichtig.

- VON MATTHIAS AUER

Fast jeder vierte Österreich­er hat seinen 60. Geburtstag schon hinter sich. Tendenz stark steigend. 2050 werden 36,5 Prozent aller Österreich­er zumindest am Sprung in die Pension sein. Weltweit wird es dann mehr Ältere (über 60) als Kinder (unter 15) geben. Der Befund ist nicht neu, und die Industrien­ationen ringen seit Jahren damit, ihre Sozialsyst­eme auf die demografis­che Entwicklun­g einzustell­en. Aber nicht allen bereitet das beginnende Zeitalter der Alten Kopfzerbre­chen. Die Wirtschaft hat die Pensionist­en längst als die Kunden von morgen erkannt.

Sie leben deutlich länger als früher, das Haus ist abbezahlt, die Kinder aus dem Haus, die Pension zumindest hierzuland­e (im Schnitt) recht üppig – und die Lust, alles gleich bei den Enkeln abzuliefer­n, sinkt. Die „Woopies“(well-off older people) konsumiere­n gern – und sie haben auch das notwendige Kleingeld dafür. Nach Zahlen des Marktforsc­hers Regiodata liegt fast die Hälfte des Kaufkraftv­olumens in Österreich in den Händen der über 50-Jährigen. Auch Österreich­er jenseits der 60 haben im Schnitt ein höheres Einkommen als die Jungen. Von der Vermögensv­erteilung gar nicht zu reden. Dazu kommt, dass viele Ältere „eine höhere Akzeptanz für höhere Preise“hätten als die Jungen, schreiben die Unternehme­nsberater von A.T. Kearney in einer Studie. Vielen Unternehme­n ist das nicht neu, und sie stellen ihre Produkte und Werbestrat­egien auf die Bedürfniss­e der Älteren um. Luxus statt sparen. Wer dabei aber nur an Medikament­e, Stützstrüm­pfe und Hundefutte­r denkt, liegt falsch. Die Einstellun­g der Generation 60 plus zum Geld verändert sich. Die Zahl der Deutschen, die ihr Geld im Alter lieber für Luxus und ein unbeschwer­tes Leben ausgeben wollen als es für die Enkel zu sparen, hat sich in den vergangene­n zehn Jahren verdoppelt, ergab eine Umfrage der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung. Luxus und alles, was sie sich haben absparen müssen. Laut der Nürnberger Agentur für Generation­enmarketin­g ist in der Bundesrepu­blik bereits jeder dritte Neuwagenkä­ufer älter als 60.

Nicht nur Klassiker wie Luxuskreuz­fahrten profitiere­n vom Boom der Alten. In allen Branchen rüsten Unternehme­n ihre Produkte auf die Anforderun­gen der Älteren um. Handys mit großen Tasten verkaufen sich fast so gut wie modernste Smartphone­s. Entscheide­nd ist bei der neuen Lieblingsz­ielgruppe eines, verrät ein Werber hinter vorgehalte­ner Hand: „Zeige ihnen nicht, dass sie alt sind.“Denn Altsein verkauft sich schlecht. Das ist auch der Grund dafür, dass Begriffe wie „Seniorenma­rketing“aus der Mode gekommen sind und die Zielgruppe plötzlich „Woopies“oder „Best Ager“heißt.

Modeuntern­ehmen für Ältere werben gerne mit Models um die 40. Nestle´ verkauft Gesundheit­snahrung besser als viele Pharmafirm­en zuvor, weil die Produkte nicht nach Apotheke, sondern nach Lifestyle aussehen. Ältere Käufer sind aber konservati­v, warnt A.T. Kearney. Vor allem jenseits der 80 sinke die Bereitscha­ft, neue Marken oder Produkte auszuprobi­eren drastisch. Große Reiselust. Und nicht jeder, der 60 Jahre alt wird, mutiert dadurch auch zum kaufkräfti­gen „Woopie“. In Europa sind mehr als 60 Prozent ihres Einkommens schon für die Fixkosten verplant, so eine Analyse der AllianzVer­sicherung. In Österreich liegt der Anteil bei knapp über 50 Prozent. Der Großteil wird für Wohnen, Essen und Trinken ausgegeben. Besonders auffallend ist die Reiselust der älteren Österreich­er. Sie geben doppelt so viel für Pauschalre­isen aus wie durchschni­ttliche Europäer.

Milliarden.

Der Bundeszusc­huss zu den Pensionen (ASVG, Bauern, Gewerbe) betrug 2015 laut Finanzmini­sterium knapp 10,2 Milliarden Euro. Das Sozialmini­sterium beziffert den Zuschuss mit Nachzahlun­gen mit 10,4 Milliarden Euro. Dazu kommen die Kosten für Beamtenpen­sionen mit immerhin 9,0 Milliarden Euro.

Millionen.

So hoch war 2014 die Zahl der Pensionsbe­zieher in Österreich.

Millionen.

Laut Statistik Austria waren im Vorjahr 1.583.928 Menschen in Österreich 65 Jahre alt oder älter. 1961 waren es 873.205. werde bis 2030 auf 35 Prozent steigen. „Die Macht ist definitiv da, rein, was die Zahl angeht.“

Die Daten des Hauptverba­ndes der Sozialvers­icherungst­räger zeigen überdies, dass allein innerhalb eines Jahrzehnts die Gesamtzahl der Pensionsbe­zieher um rund eine Viertelmil­lion zugenommen hat – von knapp 2.068.947 im Jahr 2005 auf 2.322.555 im Jahr 2014. Und dabei steht der Ruhestand der Babyboomer-Generation Anfang der Sechzigerj­ahre des vorigen Jahrhunder­ts großteils erst bevor.

Für den Politologe­n Fritz Plasser ist freilich für die Macht der Pensionist­en nicht nur deren Zahl, „die beeindruck­end ist“, ausschlagg­ebend, sondern vor allem auch der Umstand, dass bei SPÖ wie ÖVP die Seniorenve­rbände „sehr, sehr einflussre­ich sind“. „Sie repräsenti­eren im weitesten Sinn die Stammwähle­rschaft der beiden Regierungs­parteien.“

Khol spielte vor einigen Jahren in einem „Presse“-Gespräch die Macht der Pensionist­en hingegen als „Illusion“herunter. Dem stehen allerdings so manche Fakten und Ereignisse der Vergangenh­eit entgegen.

So wurden beispielsw­eise bei der Regierungs­klausur in Loipersdor­f 2010 die Seniorench­efs – auf SPÖ-Seite war dies Präsident Karl Blecha –, eingeladen. Khol selbst hat mit seinem Auftreten im Vorjahr beim ÖVP-Bundespart­eitag einen Vorstoß der Jungen um Außenminis­ter Sebastian Kurz für ein Mehrheitsw­ahlrecht im neuen Parteiprog­ramm (knapp) zum Scheitern gebracht. In der SPÖ pilgern gerade unter Werner Faymann der Bundeskanz­ler selbst und etliche Minister zum Verbandsta­g der roten Pensionist­en. Für Faymann ist der SPÖ-Pensionist­enverband neben der Gewerkscha­ft eine der Stützen in der Partei. Und der einstige Zentralsek­retär Blecha bastelt auf seine alten Tage noch ordentlich am geplanten neuen Parteiprog­ramm mit.

Immerhin räumte Khol damals selbst ein, wie wichtig neben den vielen Mitstreite­rn in den Seniorenor­ganisation­en von SPÖ und ÖVP das politische Standing der obersten Vertreter in der eigenen Partei ist. „Wir kennen die Leute und die Gesetze sehr genau.“Wie auch Blecha ist er nach wie vor in der Partei bestens vernetzt.

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