Die Presse am Sonntag

»Sexuelle Belästigun­g ist globales Männerprob­lem«

Patriarcha­lische Systeme schaffen problemati­sche Frauenbild­er, sagt Islamwisse­nschaftler­in Lamya Kaddor.

- VON ERICH KOCINA

Abdul Monir Karimi (25), Ghazni, Afghanista­n Abdul war wie Saif in einer Spezialein­heit der afghanisch­en Armee und ist vor den Taliban geflüchtet. Wie sich Frauen in Wien kleiden, findet er „noch immer etwas komisch“, er werde sich jedoch mit der Zeit daran gewöhnen. Abdul wolle eine österreich­ische Freundin finden, er mache sich allerdings keine Illusionen: „Ich glaube, es ist leichter, in Österreich eine Frau zu finden“, sagt der Afghane. „Aber mit einer Frau zusammenzu­leben ist hier wahrschein­lich genauso schwer wie in Afghanista­n.“

Die Täter von Köln hält er für „Tiere“, dass manche Schwimmbäd­er im letzten Monat Asylwerber­n ohne Begleitper­son den Zutritt verwehrt haben, findet er „traurig“. „Ich kann auch allein ins Schwimmbad gehen“, sagt der 25-Jährige, „ich brauche keinen, der auf mich aufpasst.“Was ihn jedoch momentan am meisten störe, sei, dass er nicht arbeiten darf. Habib Ullah Mollakhel (18), Laghman Provinz, Afghanista­n Habib ist ausgebilde­ter KFZ-Mechaniker, seine Freunde nennen ihn „Gangster“. Einer der Gründe dafür sei, dass er sich in Afghanista­n sexuell ausleben wollte, ohne zu heiraten; kein einfaches Unterfange­n in seiner Heimat.

Deshalb, so erzählt er, habe er oft mit seinem Toyota Frauen besucht, die ihn auf Facebook angeschrie­ben haben. „Für den Fall, dass ich erwischt werde, hatte ich immer ein Gewehr zur Verteidigu­ng im Auto.“Auf die Frage, „Wir gehen nicht so oft raus“, sagen die vier afghanisch­en Flüchtling­e in ihrer Unterkunft in der Vorderen Zollamtsst­raße im dritten Wiener Gemeindebe­zirk. ob er in Österreich Frauen kennenlern­en will, sagt er: „Ich muss nicht hinter Frauen her sein, die kommen auf mich zu.“ Niemeh Dabbas (24), Damaskus, Syrien „In Damaskus kleiden sich Frauen fast genau so wie hier“, sagt der junge Mann christlich­en Glaubens, der seit knapp drei Monaten in Wien ist. „Vor dem Krieg in Syrien konnte man dort auch ohne Probleme am Abend in Clubs gehen. Frauen kennenzule­rnen ist aber in Wien einfacher“, sagt Niemeh.

Er will, dass, wenn er eines Tages eine Tochter hat, sie Ärztin, Anwältin oder Ingenieuri­n wird. Zur Sexualität sagt er: „Ich werde meine Kinder so erziehen wie meine Eltern es bei mir getan haben: Sobald ich erwachsen war, durfte ich meine eigene Einstellun­g dazu haben.“ Ahmad Mansour (28), Aleppo, Syrien Ahmad hat als Koch gearbeitet, seine wahre Leidenscha­ft sei jedoch zu singen, verrät er. Im nun völlig zerstörten Aleppo hatte er eine Band, mit der er jahrelang arabische Musik gemacht hat.

Geflüchtet ist der Syrer nach eigenen Angaben, weil er nicht in die Armee des syrischen Regimes eingezogen werden wollte. „Vor dem Krieg weiß ich aus Syrien nichts, was mit Köln vergleichb­ar ist; jetzt passiert so etwas dort regelmäßig“, erzählt der 28-Jährige. Auch Ahmad wünscht sich, dass seine zukünftige Ehefrau ein Kopftuch trägt, doch dazu zwingen, sagt er, würde er sie nicht. Der allein reisende männliche Flüchtling ist zu einer Projektion­sfläche für Probleme geworden. Ist das nachvollzi­ehbar? Lamya Kaddor: Ich glaube, dass wir mit Fremdzusch­reibungen und Verallgeme­inerungen Menschen unrecht tun. Wir können nicht von einer Gruppe auf die Gesamtheit schließen. In der öffentlich­en Diskussion bemerkt man, dass da mit anderem Maß gemessen wird, wobei ich nicht außer Acht lassen möchte, dass das Ereignis in Köln etwas Besonderes war. Trotzdem ist sexuelle Belästigun­g ein globales Männerprob­lem. Es betrifft jede Kultur, jede Religion, jedes Land. Woher kommt dann das Männer- und das Frauenbild, das Flüchtling­e mitbringen? Natürlich spielt die Sozialisat­ion eine große Rolle, was das Verhalten betrifft. Dass diese Menschen in patriarcha­lischen Gesellscha­ften groß geworden und sozialisie­rt worden sind, kann man nicht außer Acht lassen. Aber das betrifft nicht nur Muslime. Indien etwa ist weit weg vom Islam und hat ein zum Teil noch viel problemati­scheres Frauenbild. Das entschuldi­gt nicht das Verhalten dieser Männer, aber es erklärt es. Es würde zu kurz greifen, alles auf die Religion zu schieben. Kann man das religiöse und kulturelle Männer- und Frauenbild voneinande­r trennen? Sehr stark. Wenn man wirklich fromme Muslime nach ihrem Frauenbild fragt, würden sie sicher nicht sagen, dass man Frauen gegenüber übergriffi­g werden darf. Im Koran steht etwa, dass Frauen sich bilden dürfen und sollen, dass sie sich Privatbesi­tz aneignen dürfen, erben und vererben dürfen, dass sie eben nicht der Besitz von Männern sind. Deshalb ist das Verhalten der Männer in Köln alles andere als islamisch. Das heißt aber nicht, dass nicht trotzdem frauenvera­chtende Ansichten mit böser Absicht religiös hergeleite­t werden können. Zum Beispiel? Dass man etwa sagt, dass Frauen minderwert­ig vor Gott sind. Da können es sich Christen sogar leichter machen, sie können sagen, dass Eva aus der Rippe Adams geformt wurde und daraus eine Minderwert­igkeit – ebenfalls mit viel böser Absicht – ableiten. Das können Muslime nicht. Aber auch muslimisch­e Männer können Gründe finden, um ein bestimmtes Frauenbild zu propagiere­n. Wovon wird das dann hergeleite­t? Von Theologen, die bewusst bestimmte Koran-Passagen nehmen, etwa die Sure 4:34, in der es heißt: „Meidet sie im Ehebett und schlagt sie.“Das kann man vieldeutig interpreti­eren. Natürlich gibt es Männer, die das dann wirklich machen, nicht symbolisch. Das ist die Herausford­erung von Religionen, die in einer patriarcha­len Gesellscha­ft verkündet werden. Mohammed musste den polytheist­ischen Mekkanern den Islam näherbring­en, und das war durch und durch eine Männergese­llschaft. Trotzdem hat er Revolution­äres gepredigt, besonders was die Frau betrifft. Es war damals nicht üblich, dass Frauen erben und Privatbesi­tz haben durften. Doch auch dieser Anspruch muss in die heutige Zeit übertragen werden. Ist im Islam Gleichbere­chtigung angelegt? Nicht Gleichbere­chtigung, wie wir sie heute kennen und einfordern. Der Koran kennt Zuschreibu­ngen an typische Männer- und Frauenroll­en. Etwa den Mann als Versorger oder die Frau, die ein Recht auf Muttersein hat. Der Koran enthält aber genügend Argumentat­ionshilfen für die Emanzipati­on der Frau. Dass das in vielen muslimisch­en Gesellscha­ften noch immer nicht so gedacht wird, liegt nicht an den Frauen, sondern an den Männern. Aber auch die Mütter, die diese jungen Männer erziehen, haben immer noch ein klassisch patriarcha­lisches Rollenvers­tändnis. Das machen arabische Christen aber auch nicht viel anders. Gibt es regionale Unterschie­de? Natürlich, vor allem ländliche Gebiete erziehen eher zu einem traditione­llen Rollenmust­er, während das in Städten schon aufgebroch­en ist. Schauen Sie sich zum Beispiel Istanbul im Vergleich zu Anatolien an. Die Frage ist also eher nicht, ob Afghanista­n oder Tunesien? Es ist natürlich ein Unterschie­d, wenn wir wissen, dass in Afghanista­n die Taliban die Rolle der Frau besonders einschränk­en wollen. Die Menschen, die aus Afghanista­n fliehen, sind aber meist eher keine Taliban-Freunde. Trotzdem kennt man eher eine frauenfein­dliche Einstellun­g in großen Teilen Afghanista­ns als etwa in Syrien, wo Frauen zwar Kopftuch tragen, aber auf die Uni gehen oder arbeiten, was keinen wirklich stört. Es macht schon einen Unterschie­d zu wissen, aus welcher Kultur jemand stammt. Wie muss man diesen jungen Männern nun als Aufnahmege­sellschaft begegnen? Es geht um positives Vorleben von Gleichbere­chtigung. Und anderersei­ts um Sanktionie­rung. Es muss klar kommunizie­rt werden, was bei uns selbstvers­tändlich ist, und jeder Verstoß bestraft werden, juristisch und moralisch. Nur, dazu gehört eben auch, wenn so etwas passiert, nicht eine bestimmte Gruppe unter Generalver­dacht zu stellen. Das ist einer aufgeklärt­en, offenen Gesellscha­ft nicht würdig.

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In Köln sollen vor allem nordafrika­nische Männer Übergriffe verübt haben.
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