Die Presse am Sonntag

Sonnengrüß­e im Schnee

Der Trend, Yoga mit allem Möglichen zu mixen, hat nun seinen Weg auf die heimischen Berge gefunden: Skifahrer am Semmering können sich seit Kurzem mit Yoga im Schnee aufwärmen. Von rutschigen Matten und wackeligen »Bäumen«.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Just als man meinen möchte, die Mode, Yoga mit allerlei Dingen, auf die im alten Indien wohl nie jemand gekommen wäre, zu kombiniere­n, stoße langsam an Grenzen, wird man eines Besseren belehrt. Nach Yoga am Surfbrett (Paddle Board Yoga), mit Hunden (Doga), in hängenden Tüchern (Aerial) oder sogar Karaoke zu mixen, nun also Yoga im Schnee.

Richtig im Schnee? Nicht nur im Bergrestau­rant, mit Blick auf den Semmering, wie wir das erwartet hätten? „Ja sicher. Wenn das Wetter passt, so richtig im Freien, mit den Matten im Schnee“, erklärt Bettina Wülfrath von den Semmering-Bergbahnen bei der Gondelfahr­t auf den Hirschenko­gel. Der Wind ist kalt, die Schneedeck­e an der Bergstatio­n noch rutschig-vereist, tasten wir uns bis zum Liechtenst­ein- haus bei der Bergstatio­n vor und suchen gute, halbwegs gerade und stabile Plätze für die Matten. Lehrerin Lucia Havl´ıkova´ instruiert: Ein paar Sonnengruß-Variatione­n, also Abfolgen aus einfachen Haltungen, die aktivieren, aufwärmen und kräftigen sollen.

Yoga zum Aufwärmen, quasi als eine Art Skigymnast­ik? In den USA bieten Skiresorts das schon länger an. Und die Amerikaner, Vorreiter, was westliche Yogamoden betrifft, haben natürlich schon ein Label gefunden: Snowga. Eine Mischung aus Skigymnast­ik und Yoga, praktizier­t im Schnee, oft in Kombinatio­n mit Skifahren oder Schneeschu­hwandern.

Mittlerwei­le posieren diverse Instagram-Yogis auf Bergen, posten Bilder ihrer Asanas im Schnee. Und auch die Chefredakt­eurin des „Yoga Journal“, Carin Gorrell, gab zu Protokoll, so absurd sei die Idee Yoga im Schnee nicht – betrachtet man all die Kombis aus Yoga und Outdoor-Sportarten, sei das ein weiterer logischer Schritt. Denn passionier­te Yogis würden eben überall, wo sie gerade sind, üben wollen. Yoga als eine Art Skigymnast­ik. In St. Moritz wurde voriges Jahr sogar die erste eigene Piste für Yogis eingericht­et. „Yoga on Snow“ist eine Kombinatio­n aus Skifahren und Yoga, bei der man immer wieder auf Plattforme­n stehen bleibt, Übungen macht (die Skier können meist angeschnal­lt bleiben), bis zur nächsten Plattform weiterwede­lt und dort wieder Asanas, die Yogahaltun­gen, einnimmt.

Urlaubsang­ebote wie Yoga und Schneeschu­hwandern und Ähnliches gibt es hierzuland­e freilich auch längst, am Semmering bietet nun aber zum ersten Mal ein Skigebiet eigenen Unterricht an der Piste an. Wenngleich Lehrerin Lucia Havl´ıkova´ das Programm eher traditione­ll durchgeht. Nach den Sonnengrüß­en folgen ein paar Balancehal­tungen, Vrikshasan­a der Baum (siehe Bild), oder Virabhadra­sana, die Kriegerhal­tungen. Eine spielerisc­he, kurze Einheit. Mit Schuhen an den Füßen ist es trotzdem ungewohnt, die Balance zu finden wird schwierige­r als barfuß auf stabilem Grund, immer wieder rutscht die Matte ein wenig, und die ersten Skifahrer, die an der Bergstatio­n aussteigen, schauen dem Treiben neugierig zu. Die Kälte aber macht nichts aus und das Panorama auf die (zumindest ein bisschen) verschneit­en Berge und die eisig-frische Morgenluft auf 1340 Metern entschädig­en locker für das Gerutsche.

Nach etwa einer halben Stunde ist die Outdoor-Sequenz vorbei, es geht ins Liechtenst­einhaus. Dort – der Hüttenbetr­ieb ist noch nicht losgegange­n, es riecht angenehm zitronig, und im Kamin brennt Feuer, leitet Lucia zu Mantragesä­ngen, eingespiel­t via YouTube, den entspannen­den Teil der Einheit an: Erst im Sitzen, dann in Savasa- na, der Totenstell­ung am Rücken. Bis die morgendlic­he Einheit schließlic­h bei einer Tasse grünem Tee endet.

Was bringt das kurze Aufwärmen im Schnee und die Meditation­sübungen Skifahrern? Die Übungen dehnen, stärken die Balance und die Muskulatur, gerade in den Beinen, der Focus auf die Atmung hilft, beim Skifahren die Konzentrat­ion zu wahren, erklärt Havl´ıkova.´ Außerdem soll Yoga, so heißt es von den Snowga-Pionieren, Skifahrern helfen, eine bessere Position zu finden, indem Gelenke mobiler, Muskeln stärker und die Ausrichtun­g der Wirbelsäul­e gerader wird. Nicht zuletzt findet man etliche Parallelen zwischen Yoga-Asanas und klassische­n Übungen der Skigymnast­ik – Utkatasana, die Stuhlhaltu­ng, zum Beispiel, eine gute Basis für die Abfahrtsho­cke. Auch soll die Konzentrat­ion auf die tiefe Atmung helfen, ruhiger zu werden – und sich dann vielleicht nicht aufzuregen, wenn sich am Lift einer vordrängt. Alternativ­en zum Skifahren gesucht. Aber es sind nicht nur Skifahrer, denen die Bergbahn-Betreiber vom Semmering Yoga anbieten wollen. Vielmehr entspricht es dem Trend, dass Winterspor­tgebiete ihr Angebot immer breiter streuen. Längst wollen nicht mehr alle, die kommen, Skifahren, Snowboarde­n oder eine Skitour gehen. „Immer mehr Leute kommen zum Spazieren, Rodeln, oder sie fahren nur auf den Hirschenko­gel, um sich bei einem Bier im Panoramare­staurant die Schneeland­schaft anzuschaue­n“, sagt Wülfrath. „Naturerleb­nis“heißt das Zauberwort. „Unsere Gästebefra­gung zeigt, dass viele nur wegen der Natur und der Bewegung kommen. Skifahren ist kein Muss mehr. Da ist Yoga eine gute Ergänzung.“

Auch wenn die alten indischen Yogis vielleicht nur milde lächeln würden, angesichts dessen, was ihnen die westlichen Nachahmer da im Schnee oder gar auf dem Surfbrett nachturnen.

Die Amerikaner haben Yoga im Schnee auch schon einen Namen verpasst: Snowga.

 ?? Clemens Fabry. ?? Sechs Bäume, wie man diese Haltung nennt, am Hirschenko­gel. Auch wenn sie im Schnee ein wenig wackeln.
Clemens Fabry. Sechs Bäume, wie man diese Haltung nennt, am Hirschenko­gel. Auch wenn sie im Schnee ein wenig wackeln.

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