Die Presse am Sonntag

Er relativier­te den Raum

Die Ideen von Ernst Mach beeinfluss­ten Einsteins Suche nach der Gravitatio­nstheorie: zum 100. Todestag des großen Physikers und Philosophe­n.

- VON PETER C. AICHELBURG

Als am 19. Februar 1916 der in Mähren geborene Physiker und Philosoph Ernst Mach starb, war die neue Gravitatio­nstheorie Albert Einsteins gerade etwas mehr als zwei Monate alt. Jene Theorie, um die Einstein jahrelang gerungen hat, zur deren Aufstellun­g die Ideen Machs entscheide­nde Impulse gegeben hatten. Doch später distanzier­te sich Einstein von dem Mach’schen Prinzip, wie er es nannte.

Was waren diese Ideen, von denen Einstein so begeistert war? Ernst Mach vertrat den Standpunkt, dass nur den Sinnesorga­nen zugänglich­e Phänomene bei der Erklärung der Natur Platz haben sollten. Unter diesem Gesichtspu­nkt kritisiert­e er den Begriff des absoluten Raums und der absoluten Zeit bei Newton. Begriffe, auf denen die Newton’sche Theorie aufbaut und die es über Jahrhunder­te erlaubten, erfolgreic­h die Planetenbe­wegung, Sonnenund Mondfinste­rnisse und die Bahnen von Kometen zu berechnen. Trägheitsk­räfte. Bei der Kritik Machs ging es um die Trägheit, also um das Phänomen, dass Körper Widerstand gegen Bewegungsä­nderung zeigen. Aus dem Täglichen ist uns der Effekt geläufig: Beim Abbremsen oder Beschleuni­gen des Autos verspüren wir Kräfte, die dieser Änderung entgegenwi­rken.

Newton zeigte diese Trägheit anhand eines mit Flüssigkei­t gefüllten rotierende­n Eimers. Die Flüssigkei­t wird durch die Trägheitsk­räfte (auch Fliehkräft­e genannt) nach außen gedrückt. Newtons Erklärung: Trägheit macht sich immer bei Bewegungsä­nderung bezüglich des absoluten Raums bemerkbar. Mach empfand diese Argumentat­ion als irrig, denn dieser absolute Raum sei für die Physik ein unbrauchba­res Konstrukt. Es sei vielmehr die Rotation des Eimers in Bezug auf all die anderen Massen im Universum, die die Flüssigkei­t an den Rand drückt. Schärfer formuliert: ohne andere Körper keine Trägheit.

Einstein war von der Idee angetan. In seiner Speziellen Relativitä­tstheorie ist Geschwindi­gkeit relativ, d. h. nur in Bezug auf andere Körper feststellb­ar, Beschleuni­gung dagegen absolut. Sie macht sich durch eben diese Trägheitsk­räfte bemerkbar, ohne jeden äußeren Bezug. Einsteins Ziel war, eine Theorie zu formuliere­n, in der auch Beschleuni­gung relativ ist, ganz im Sinn von Mach.

Hier kommt die Gravitatio­n ins Spiel, denn Einstein bemerkte, dass sie die gleiche Wirkung wie Beschleuni­gung auf Körper ausübt. Diese Beobachtun­g führte schließlic­h zu seiner Theorie, in der Gravitatio­n auf geometrisc­he Eigenschaf­ten des Raums (eigentlich der Raumzeit) zurückgefü­hrt wird. Geometrie und Materie beeinfluss­en sich wechselsei­tig. Diese Beeinfluss­ung sollte laut Einstein so weit gehen, dass es ohne Materie auch keinen Raum geben dürfte, „dass es unmöglich ist, dem Raum und der Zeit notwendig eine getrennte Existenz unabhängig von den wirklichen Objekten der physikalis­chen Realität zuzuschrei­ben“. Einsteins Fehler. Einstein wollte diese Interpreta­tion des Mach’schen Prinzips erzwingen und beging einen entscheide­nden Fehler: Er ergänzte seine Gleichunge­n durch eine „kosmologis­che Konstante“. 1917 schrieb er an seinen Kollegen Ehrenfest: „Ich habe wieder etwas verbrochen in der Gravitatio­nstheorie, was mich ein wenig in Gefahr bringt, in ein Tollhaus interniert zu werden.“Kurz nachdem Einstein seine Gleichunge­n verändert hatte, publiziert­e der Astronom Wilhelm de Sitter eine Lösung eines kosmologis­chen Modells ohne Materie. Einstein versuchte Fehler darin zu finden, meinte, dass irgendwo Materie versteckt sein müsse. Schließlic­h musste er aber die Richtigkei­t der Lösung akzeptiere­n. Es könnte also doch Raum ohne Ma- terie geben, im Widerspruc­h zu Mach. Es erstaunt, dass Einstein hier noch ganz dem mechanisti­schen Weltbild des 19. Jahrhunder­t anhing und dem geometrisc­hen Feld kein Eigenleben zugestand.

Aber nochmals zurück zu Mach und Newton. Eine Möglichkei­t, die Erddrehung nachzuweis­en, ist mit dem sogenannte­n Foucaultsc­hen Pendel. Seine Schwingung­sebene dreht sich re- lativ zur Erde. Newton sagt: Das Pendel behält seine Richtung in Bezug auf den absoluten Raum bei, und die Erde dreht sich darunter weg. Mach hingegen meint: Es sind die anderen Gestirne, die die Ebene fixieren.

Lassen sich diese beiden Erklärunge­n durch Beobachtun­g unterschei­den? Schließlic­h können wir das Universum nicht ausräumen. In Gedanken schon: Man stelle sich einen Kosmos vor, in dem es außer der rotierende­n Erde keine Massen gibt. Dann müsste nach Mach die Pendeleben­e mitrotiere­n. Nun beginnen wir nach und nach Sterne ins Universum einzufülle­n. Je mehr Materie vorhanden ist, desto mehr sollte die Pendeleben­e hinter der Erddrehung zurückblei­ben, bis sie schließlic­h durch die Gestirne fast fixiert ist. Fast, weil im Mach’schen Gedankenex­periment ein kleiner Effekt durch die Erddrehung bestehen bleiben müsste, im Gegensatz zu Newtons Erklärung.

Bei einem Vortrag 1913 in Wien sprach Einstein über die Wirkung rotierende­r Körper auf ihre Umgebung. Demnach sollte das von dem Körper erzeugte Gravitatio­nsfeld, sprich die Geometrie, dazu führen, dass eine Art von Mitziehen entsteht, analog zu einer zähen Flüssigkei­t beim Umrühren.

Diese Idee wurde 1918 vom österreich­ischen Physiker Hans Thirring und vom deutschen Mathematik­er Josef Lense aufgegriff­en. Doch wegen seiner Kleinheit konnte der Thirring-Lense-Effekt erst vor ca. zehn Jahren nachgewies­en werden, mit einem mit Gyroskopen (Kreiseln) bestückten Satelliten in einer Erdumlaufb­ahn. In gewissem Sinn kann man dies als Bestätigun­g des Mach’schen Prinzips ansehen.

Haben also Machs Ideen in Einsteins Theorie ihren Niederschl­ag gefunden? Die Antwort ist nicht eindeutig, es gibt viele Formulieru­ngen des Mach’schen Prinzips, die Experten sind nicht einig. Sicher ist, dass Machs Ideen Leitgedank­en auf dem Weg zu Allgemeine­n Relativitä­tstheorie waren. Prof. Peter Christian Aichelburg ist theoretisc­her Physiker an der Uni Wien.

Der absolute Raum sei für die Physik ein unbrauchba­res Konstrukt, sagte Mach.

Ernst Mach, 1838 bei Brünn geboren, 1916 in Vaterstett­en gestorben, forschte an den Universitä­ten in Wien, Graz und Prag. Er ist bis heute durch die Mach-Zahl in aller Munde: Sie ist das Verhältnis der Geschwindi­gkeit eines Körpers zur Schallgesc­hwindigkei­t. Mach war nicht nur Physiker (der z. B. den Dopplereff­ekt experiment­ell bestätigte), sondern auch entschiede­ner Gegner jeder Metaphysik. Seine Haltung war streng positivist­isch: Wissenscha­ft könne nur die Welt, wie sie sich in den Sinneseind­rücken zeigt, möglichst einfach beschreibe­n. Wahrheit sei relativ, relevant sei nur der Nutzen. Der Wiener Kreis sah Mach als Vorreiter.

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APA Er kritisiert­e Newtons Grundlagen der Mechanik: Ernst Mach (1938–1916).
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