Die Presse am Sonntag

Als Österreich »a too small country« war

Am 18. Februar 2006 erlebte Österreich­s Sport mit der Dopingrazz­ia bei den Winterspie­len in Turin eine seiner dunkelsten Stunden. Zehn Jahre später gibt es in Österreich zwar ein Dopinggese­tz, Kontrolleu­re und diverse Urteile – gedopt wird aber trotzdem.

- VON MARKKU DATLER

In der Küche des schmucken, für die Winterspie­le 2006 von Österreich­s Biathleten in San Sicario angemietet­en Hauses dampfte eine grandios riechende Rindssuppe auf dem Herd. Es gab frisch aufgeschni­ttenes Schwarzbro­t, Butter, Speck. Eine Palette Bier stand auf dem Tisch, aus dem Fernseher dröhnte ein Biathlon-Bewerb. „Heil“, schmettert­e Walter Mayer dem Besucher zur Begrüßung entgegen. Er hatte den Chronisten eingeladen, sogar von seinem (viel zu früh verstorben­en) Chauffeur „Dr. Bauch“eigens abholen lassen. Ein Gespräch abseits der Loipen, Schießstän­de und Olympia war für diesen 18. Februar 2006, 13 Uhr, vereinbart. „Komm, ich zeig’ dir das Haus.“

Mayer war wegen der Blutbeutel­Affäre 2002 in Salt Lake City vom Internatio­nalen Olympische­n Komitee (IOC) für Olympische Spiele gesperrt worden. Trotz aller Warnungen war er nach Sestriere gekommen. Österreich­s Olympische­s Komitee (ÖOC) und Skiverband (ÖSV) hatten im Vorfeld seine Rolle „als Privatpers­on“beteuert, und obwohl Gerüchte um (ORF-)Akkreditie­rungen oder sein in einem Safe gebunkerte­s Gewand nie verstummen sollten, erhielt man den Eindruck, dass es dem „Vater des österreich­ischen Langlaufun­d Biathlon-Wunders“mit Goldmedail­len in beiden Sparten trotz aller Kritik und Widersprüc­he wunderbar ging. Absolut gar nichts ließ in den folgenden Stunden darauf schließen, dass Österreich­s größter Dopingskan­dal kurz vor dem Ausbruch stand. Und dann: Razzia! Der Salzburger lachte, führte Schmäh und durch Zimmer der Athleten. Skianzüge, Socken, Hosen kugelten herum. Ein Bügelbrett da, Schuhberge dort. In einem Raum prangte ein aufgeklapp­ter Laptop (mit laufendem Pornofilm). Gegen 15 Uhr kamen weitere Gäste, Serviceleu­te, Athleten, ein ÖSV-Arzt. Man lachte, saß an einem großen Tisch. Ein Teil der Gruppe fuhr anschließe­nd zum Skispringe­n, Thomas Morgenster­n gewann Gold, das Gros der Biathleten wollte essen gehen. Walter Mayer kehrte nicht mehr zurück – kurz nach 19 Uhr stürmten Carabinier­i das Haus: Dopingrazz­ia. Mayer hatte sich im ÖSV-Auto gen Österreich abgesetzt.

Was folgte, ähnelte einem Kriminalro­man mit Hollywood-Charakter und grotesker Kabarettkl­einkunst. ÖSV und ÖOC schoben einander gegenseiti­g die Schuld für Mayers Anwesenhei­t in die Schuhe. Die Jagd nach Mayer

Carabinier­i

Die Häuser der Biathleten und Langläufer in San Sicario und Pragelato wurden am 18. Februar 2006 von Italiens Polizei durchsucht, Walter Mayer, ein weiterer Betreuer und zwei Biathleten setzten sich nach Österreich ab.

Fundstücke

Turins Staatsanwa­lt, alarmiert von der Welt-Anti-DopingAgen­tur, erklärte, dass Spritzen, Medikament­e und diverse Apparate für Bluttests gefunden wurden. Es folgten unzählige weitere Widersprüc­hlichkeite­n der Behörden – letztlich gab es zwei Schuld-, ansonst Freisprüch­e für Schröcksna­del, Gandler, Mayer & Co.

Follow-up

In Österreich trat 2007 infolge der Skandale 2002 und 2006 das Anti-Doping-Gesetz in Kraft. endete Stunden später in der Psychiatri­e des LKH Klagenfurt. Blaulicht-Fotos von den ÖSV-Häusern mit bewaffnete­n Carabinier­i, die Sportler durchsuche­n, und Schnappsch­üsse von einem kurzerhand aus dem Fenster geworfenen, gut gefüllten Plastiksac­kerl haben die Runde gemacht.

Dazu sickerten spärlich weitere Informatio­nen durch. Ein Betreuer sowie die Biathleten Wolfgang Rottmann und Wolfgang Perner waren ebenfalls „abgereist“. Ein Langläufer wurde in flagranti ertappt, als er sich selbst eine Kochsalzlö­sung setzte. Auch wurde die Anwesenhei­t des damals bereits umstritten­en, von Mayer „eingeladen­en“Leichtathl­etik-Managers Stefan Matschiner publik. Der Turiner Staatsanwa­lt Raffaele Guariniell­o erklärte, man habe mehr als 100 Spritzen, 30 Schachteln mit Medikament­en und diverse Apparate für Bluttests und Transfusio­nen gefunden. Wer rief die Polizei? Österreich­s Sport war nach den Vorfällen von Salt Lake City 2002 sensibilis­iert, nun eskalierte der Skandal. Eine internatio­nale LivePresse­konferenz des ÖSV mit Präsident Peter Schröcksna­del und Markus Gandler sollte die Wogen glätten. Der PR-Mann des ÖSV, ein geschulter Routinier, hatte jedoch das Interesse deutscher und amerikanis­cher Medien unterschät­zt. Obendrein fehlte die dringend nötige Simultanüb­ersetzung. Und so fiel Schröcknad­els legendärer Satz: „Austria is a too small country to make good doping . . .“

Es begann eine in Österreich selten so intensiv erlebte Selbstzerf­leischung. Die Bilanz von Turin, 23 Medaillen und davon neun in Gold, geriet zur Randnotiz; es standen nur noch Ursachenfo­rschung und „Schutzberi­chterstatt­ung“des ÖSV-Partners „Kronen Zeitung“auf dem Programm.

Wer aber hatte die Polizei informiert? Warum floh Walter Mayer? Wurde erneut mit Blut „gepanscht“? War die vom Stockholme­r Dopinglabo­r ITDM vor den Spielen durchgefüh­rte, misslungen­e Kontrolle in der Ramsau wirklich korrekt? Der von den deutschen Kontrolleu­ren in unfassbar plumpem „Volksschul­englisch“verfasste Report, auf den sich Wada-Präsident

Hausdurchs­uchung, Tests, Spritzen, Verdächtig­ungen – und letztendli­ch Freisprüch­e.

Dick Pound unter anderem auch in einem „Presse“-Interview berief, berichtete erstmals von einer Blutzentri­fuge. ÖSV-Mitglieder erklärten, es sei nur ein veraltetes Lactat-Messgerät gewesen, gewiss keine Blutzentri­fuge. Eine derartige Apparatur sollte übrigens Jahre später im Rahmen des Humanplasm­a-Skandals, in den auch Protagonis­ten von Turin verwickelt waren, längerfris­tig im kollektive­n Bewusstsei­n verankert bleiben.

Oder bildete tatsächlic­h nur eine Postkarte der ÖSV-Biathleten, die Walter Mayer als „Teammitgli­ed“auswies, den Anlass für diesen Einsatz? IOC- und Wada-Arzt Arne Ljungqvist behauptete dies zumindest und hielt das „Beweisstüc­k“bei einer – übrigens makellos übersetzte­n – Pressekonf­erenz wie eine Trophäe in Händen. Von ihm wollte Mayer ja auch gesehen worden sein, ehe ihn aufgrund Italiens strenger Anti-Doping-Gesetze die Angst packte und er die Flucht ergriff. Fakt ist, dass die Welt-Antidoping-Agentur am 18. Februar 2006 Anzeige erstattet hat, weil sie Kenntnis von Mayers Anwesenhei­t in den Privatquar­tieren erlangt und damit die Razzia eingeleite­t hat. Die Folgen von Turin. Schröcksna­del ging anschließe­nd auf Distanz zu seinem Erzfeind, ÖOC-Generalsek­retär Heinz Jungwirth. Turin war damit wohl auch das auslösende Moment für die Jahre später erfolgte Aufarbeitu­ng von ÖOC-Schwarzgel­dkonten und anderen Ungereimth­eiten. Der Ruf nach einem Dopinggese­tz war schon am Tag nach der Razzia unüberhörb­ar und wurde vom damaligen Sportstaat­ssekretär, Karl Schweitzer (FPÖ, BZÖ), erhört.

Es folgten unzählige Prozesse, die in Österreich auf dem 2007 in Kraft getretenen Gesetz (BGBl. III Nr. 108/2007) basierten. In Italien setzte es zwei Schuld- – aber ansonst durchwegs Freisprüch­e.

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