Die Presse am Sonntag

Wer Glock mehr vertraut

360 Grad Österreich: Waffenkurs­e boomen. Doch wer sind die Menschen, die einer Glock-Pistole mehr vertrauen als dem Staat?

- VON NORBERT RIEF

Gerhard N. kann eigentlich nur Arzt sein. Er bewegt sich nicht hektisch, strahlt Ruhe aus und spricht langsam und sanft, als würde er ständig fragen: „Wo tut es uns denn weh?“N. greift also ruhig und langsam zu einer Walther PPQ M2 Sport, Kaliber 9 mm Para, hebt sie mit beiden Händen auf Augenhöhe vor den Kopf und gibt rasch hintereina­nder fünf Schüsse ab. Entspannt nimmt er den Gehörschut­z ab, schaut zufrieden auf die Zielscheib­e, auf der drei Einschüsse zu sehen sind, und meint im Tonfall von „Wo tut es uns denn weh?“: „Gar nicht so schlecht.“

N. ist an diesem Tag einer von 15 Männern, die sich in einem Felsenkell­er in Wiens 23. Bezirk, der zu einem recht beeindruck­enden Schießstan­d umgebaut wurde, versammelt haben. Die wild zusammenge­mischte Gruppe – neben dem praktische­n Arzt ist ein Beamter darunter, ein Rechtsanwa­lt, ein Automechan­iker – hat ein gemeinsame­s Ziel: Sie alle wollen sich eine Pistole oder einen Revolver kaufen.

„Ich fühle mich einfach nicht sicher“, erklärt N. Er habe eine Ordination in der Nähe des Westbahnho­fs. „Nicht unbedingt die beste Gegend.“Bei Kollegen sei schon wiederholt eingebroch­en worden, oft seien es Abhängige gewesen, die Medikament­e gestohlen hätten. Eine Waffe im Haus, meint der Arzt, gebe ihm Sicherheit. 266.095 Waffenbesi­tzer. Der Boom bei den Anträgen auf Waffenbesi­tzkarten ist keine Neuigkeit. Im Bezirk Krems (Niederöste­rreich) wurden im Vorjahr fast doppelt so viele Besitzkart­en ausgestell­t wie noch 2014; im Bezirk Urfahr-Umgebung (Oberösterr­eich) hat sich die Zahl verdreifac­ht; in Wien binnen zwei Monaten mehr als verzwanzig­facht.

In absoluten Zahlen sind es freilich geringe Werte: In Krems waren es 2015 insgesamt 71 Waffenbesi­tzkarten (2014: 43), in Urfahr-Umgebung 152 (2014: 48) und in Wien stieg die Zahl von zehn im August 2015 auf etwas mehr als 200 im Oktober 2015. Mit Stand 1. Jänner 2016 waren in Österreich 266.095 Waffenbesi­tzer vermerkt und 922.279 Schusswaff­en registrier­t. Die Zahl der registrier­ten Waffen stieg im Vergleich zu 2014 um 7,7 Prozent.

Interessan­ter sind die Menschen, die hinter diesen Statistike­n stehen. Nicht halbseiden­e Figuren mit einem Minderwert­igkeitskom­plex, die sich und ihr Selbstbewu­sstsein aufrüsten wollen, sondern ganz gewöhnlich­e Bürger wie der praktische Arzt oder der Beamte, die Waffen bestenfall­s aus dem sonntäglic­hen „Tatort“kennen.

„Es sind Menschen aus allen Bildungssc­hichten und aus verschiede­nen Milieus, die zu uns kommen. Da gibt es keine Muster“, sagt Alexander Skoff, der für das altehrwürd­ige Wiener Waffengesc­häft Joh. Spinger’s Erben arbeitet. Begonnen hat die Nachfrage nach Waffen und den angebotene­n Kursen nach den Anschlägen in Paris. „Da ging es leicht nach oben.“Eine zusätzlich­e Steigerung gab es, als in Medien über Pläne der EU berichtet wurde, den Besitz von Waffen zu erschwe- ren. „Da ging es richtig nach oben.“In Zahlen ausgedrück­t: „Von Oktober vergangene­n Jahres bis jetzt haben wir eine Steigerung bei den Kursen und beim Verkauf von mehr als 40 Prozent“, berichtet Skoff.

Markus Schwaiger, Geschäftsf­ührer der Wiener Firma Euroguns, kann von weitaus höheren Steigerung­sraten berichten. „ Bei uns gab es von Mitte 2015 bis Anfang 2016 ungefähr eine Verzwanzig­fachung.“Von „vielleicht fünf, zehn, 15 Leuten im Monat“, die bei Euroguns einen Waffenkurs absolviert­en, auf „jetzt ungefähr 150 bis 200 Leute pro Monat“. Auch Schwaiger kann den Zeitpunkt der Steigerung­en recht gut festmachen: „Richtig abgehoben hat das Interesse mit den Berichten über Waffenverb­ote.“

Die Reaktion der Österreich­er ist insofern interessan­t, als hierzuland­e bisher galt, dass weniger Waffen mehr Sicherheit bringen. So wie in Japan, wo seit 1971 selbst kleinkalib­rige Waffen nicht mehr an Privatpers­onen verkauft werden dürfen. Das abschrecke­nde Gegenbeisp­iel waren hierzuland­e stets die USA, wo jeder eine Waffe im Haus hat, in einigen Bundesstaa­ten (wie etwa neuerdings in Texas) vielleicht sogar an der Hüfte, weil die Politik das offene Tragen von Waffen erlaubt.

Aber scheinbar vertraut man jetzt auch in Österreich nicht mehr auf das Gewaltmono­pol des Staates. Das abge- wandelte Staatsmott­o der USA – „In Glock we trust“, statt „In God we trust“– gilt mittlerwei­le auch bei uns. Und auch wenn es kein Gesprächsp­artner offen sagen will – kein Waffenhänd­ler, kein Anwärter auf eine Waffenbesi­tzkarte, kein Polizist, kein Politiker –, natürlich hat das Bedürfnis nach Sicherheit, das der Staat offensicht­lich nicht mehr vermitteln kann, auch mit der unbestimmt­en Angst vor den vielen Flüchtling­en zu tun. Psycho- oder Intelligen­ztest? Billig ist der Erwerb einer Waffenbesi­tzkarte nicht. Etwa 500 Euro muss man ausgeben, um eine Pistole oder einen Revolver zu Hause haben zu dürfen. Waffenpäss­e, die zum Tragen der Waffe auch außerhalb des Hauses berechtige­n, werden de facto nicht mehr ausgestell­t (selbst ein Polizist bekommt als Privatpers­on keinen Waffenpass mehr).

Neben dem verpflicht­enden Kurs, um den Umgang mit der Waffe zu lernen, sind auch ein Psychotest und ein Gespräch mit einem Psychologe­n Voraussetz­ung für den Waffenbesi­tz. Nur wenn es eine Unbedenkli­chkeitsbes­cheinigung gibt, kann der Anwärter eine Waffe kaufen. Wobei der Pychotest bei manchen Fragen eher ein Intelligen­ztest ist, etwa bei der: „Ich fühle mich manchmal wie ein Pulverfass knapp vor der Explosion.“Ankreuzen kann man fünf Abstufunge­n zwischen „Trifft zu“und „Trifft nicht zu.“Fast überflüssi­g zu sagen: Mehr als 90 Prozent der Anwärter sind männlich, Frauen sind die Ausnahme.

Im Schießkell­er in Wien-Liesing hat die erste Runde ihre Schüsse auf die Zielscheib­e absolviert. Die Reaktionen der Schützen sind sehr unterschie­dlich: von zufrieden bis nachdenkli­ch. Im Notfall sollen sie ihr heute erlangtes Können gegen einen anderen Menschen einsetzen.

Bei der Sterblichk­eit durch Faustfeuer­waffen liegen übrigens Unfälle nach Suiziden an zweiter Stelle.

»Früher hatten wir zehn, 15 Leute im Monat, jetzt sind es zwischen 150 und 200.«

Hirschruf.

Wie röhrt der Hirsch? Sehr unterschie­dlich, je nach Alter. Bei einer Meistersch­aft versuchen Jäger das Röhren nachzumach­en.

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