Du glückliches Österreich, plansche!
Die einen lieben sie als Ort der Zuflucht, die anderen hassen die »nasse Hölle« – ausprobiert hat sie aber so gut wie jeder. In der Therme treffen sich Menschen, die sonst wenig miteinander zu tun haben.
Ihrer Entdeckung ging kein Gedanke an das gesundheitliche Wohl der Österreicher voraus, sondern der Wunsch nach Profit. Der Erste Weltkrieg war gerade fünf Tage beendet, der Kaiser hatte Ende Oktober abgedankt, da startete man im oberösterreichischen Bad Schallerbach einen Versuch, der die Geschichte des kleinen Ortes verändern sollte. Auf der Suche nach Öl stießen die Verantwortlichen bei einer Bohrung im November 1918 auf Schwefelthermalwasser. Heißes Wasser schoss mit einer Geschwindigkeit von 54 Litern in der Sekunde aus der Erde empor. Kein schwarzes Gold, aber, wie sich später herausstellte: flüssiges.
Hundert Jahre später stehen in der Nähe dieser Quelle, die damals gefunden wurde, kleine Holzhütten, aus denen immer wieder Dampf aufsteigt. Besucher der Eurotherme Bad Schallerbach stehen in Bademänteln davor, die sie rasch ablegen, bevor sich die Türe öffnet und sie splitternackt in die Holzhütte drängen. Die drei Sitzetagen sind in der Regel schnell gefüllt. Es ist heiß und eng. Ruhig warten die Gäste auf den Saunawart. Bis ein Gast die Stille mit einem Witz zerreißt. Österreichische Badekultur. 39 Thermen gibt es in Österreich, die meisten davon in der Steiermark. Sie sind ein Stück österreichischer Badekultur. Erfunden von den Römern und begünstigt durch die Lage des Landes, die, ähnlich wie beim Nachbarn Ungarn, besonders viel Thermalwasser aus dem Boden hervorbringt. Für viele sind sie ein Ort der Zuflucht, für andere eine feuchte Hölle voller Keime, wo der nasse Bikini zu lange am Körper klebt.
Dabei ist die Thermenbegeisterung der Österreicher eine vergleichsweise junge Disziplin. Kurbäder gibt es seit hunderten Jahren, und sie fanden unter anderem mit der Sommerfrische in Bad Ischl und ihrem berühmten Gast, Kaiser Franz Joseph, ihren Höhepunkt. Thermen als Lifestyle-Anlaufstellen entstanden erst mit dem Wellnessboom ab den 1990ern, was dazu führte, dass um die Jahrtausendwende jede Gemeinde, die nur etwas Thermalwasser auf ihrem Gemeindegebiet aufspürte, eine bauen ließ. Ungeachtet der Wirtschaftlichkeit und des Konkurrenzdrucks (siehe Text rechts oben).
Dabei ist die Wirkung des Thermalwassers in den allgemeinen Becken der Therme meist nicht größer, als dass gesunde Menschen entspannt und beweglich gehalten werden. In der Therme Wien wird der Schwefelgehalt etwa für das Badevergnügen der Allgemeinheit reduziert – in stark schwefelhaltigen Becken sollte man nicht länger als zwanzig Minuten planschen. Eine richtige Heilwirkung des Wassers gibt es nur „im Therapiebereich“, sagt Raimund Kveton, Geschäftsführer der Therme Wien.
Die Therme Wien ist derzeit nach eigenen Angaben die meistbesuchte Therme Österreichs. Sie hat die Therme Loipersdorf abgelöst und funktioniert als Stadttherme nach eigenen Regeln. Bilden sich an Spitzentagen in anderen Bundesländern schon um neun Uhr vormittags lange Schlangen vor der Kassa, wird die Therme Wien, die aus dem alten Kurbad Oberlaa hervorging, erst kurz nach Mittag gestürmt.
Für viele der Besucher, sagt Kveton, sei die Therme eine Art verlängertes Wohnzimmer. Sie haben ihre Stammplätze, treffen hier Freunde. Und wehe, sagt Kveton, „wir ändern die Farbe oder nehmen etwas weg“– dann gebe es Protest, bis sich die Besucher an das Neue gewohnt hätten. Manche Gäste seien schon als Kinder ins Kurbad Oberlaa gegangen. Insgesamt habe sich das Thermenpublikum aber verjüngt. Denn neue Zielgruppen haben die Therme für sich entdeckt, jede mit etwas anderen Bedürfnissen. Hier treffen Menschen zusammen, die im Alltag nichts miteinander zu tun haben. Auf die Therme, so scheint es, kann sich jeder einigen. Da gibt es die frisch verliebten Pärchen, die gern in abseitigen Teilen der Becken schmusen, oder die Freundinnenrunden, die meist in größerer Anzahl anzutreffen sind. Und deren Anteil mit jedem Jahr zunimmt, weil der JunggesellinnenAbschied heute nicht unbedingt mit einer Schnitzeljagd durch die Bars, sondern im warmen Wasser, mit Massagen und Fünf-Gang-Menü begangen wird. Und natürlich gibt es Familien mit Kindern. Wasserrutsche für Kinder. Das liegt am warmen Wasser, in dem Kinder nicht so schnell auskühlen, noch viel mehr aber an den speziellen Erlebnisangeboten für Kinder. Von der Riesen-Indoor-Wasserrutsche der Therme Wien bis zur Piratenlandschaft in Bad Schallerbach. „Eigentlich hätten wir noch mutiger sein können, den Bereich noch größer gestalten, weil die Nachfrage so groß ist“, sagt Kveton. Montags, wenn ein Kind gratis mit einem Erwachsenen hinein darf, würden sich nicht selten bis zu 1000 Kinder pro Tag in der Therme tummeln. Das ist der Moment, in dem erwachsene Stamm- gäste flüchten. Oder erst gar nicht dort sind. Das Ehepaar Eigl ist seit fünf Jahren regelmäßig am Wochenende in der Therme Wien anzutreffen. Schon zeitig in der Früh, erzählen Engelbert und Waltraud Eigl, damit sie wieder weg sind, wenn zu Mittag der große Ansturm kommt. Zuerst gehen die beiden ins Fitnessstudio, danach in die Thermensauna, dazwischen entspannen sie sich. „Man kennt viele vom Sehen“, sagt Eigl. Ein besonnener Mann, der den Aufguss in der Sauna übernimmt, wenn es sein muss. Die Füße weg vom Holz! Die Sauna in der Therme funktioniert, wie überall, nach eigenen Regeln. Geübte Saunageher können die ungeübten oder scheuen Anfänger sogar ohne Brille und im Dimmerlicht der Holzkabinen ausmachen. Wer im Saunabereich (und im übrigen auch im Thermenbereich) keine Badeschlapfen trägt, gilt als unhygienisch. Besucher, die in der Sauna zu kleine Handtücher haben und ihre nassen Füße auf der Holzbank unter sich parken, sind nicht gern gesehen. Und Gäste, die in der Sauna laut reden, auch nicht. „Beim Aufguss sollte man eigentlich schweigen“, sagt Eigl.
In seiner langjährigen Saunakarriere hat er schon viele verschiedene Typen gesehen: „Es gibt die, die sich wichtig machen. Da dräng ich mich mit dem Aufguss nicht auf“, sagt Eigl. Er kennt Männer, die vor dem Saunastart schon alles für den Aufguss herrichten. Schneebälle für die Abkühlung formen. „Dafür sind ihnen die meisten auch sehr dankbar“, sagt seine Frau. Nichts unangenehmer, als wenn in der Sauna keiner einen Aufguss macht. Und jeder, der sich dazu bereit erklärt, hätte so seine Besonderheiten, erzählen die beiden. Es gibt die, die mit nur einem Handtuch wacheln. Und einige, die arbeiten mit zwei. Manche machen starke Aufgüsse, andere gehen es mit weniger Hitze an.
Und dann gibt es eben jene Gäste, die in dieser Situation Witze erzählen. Wer das erste Mal einen solchen Alleinunterhalter in Fahrt erlebt, wünscht
Auf dem Land herrscht in der Früh der Andrang, in der Stadt kurz nach dem Mittagessen.