Die Presse am Sonntag

»Der Held heißt Ich, ein Irrer, ein Tier – und ein Zauberer!«

Marquis Posa, Lear, Prospero oder Caliban? In Peter Handkes Stücken tritt oft er selbst auf, in vielerlei Gestalt und meist mit einer mystischen, aber strengen Dame. Als zorniges »Ich« fährt der Dichter U-Bahn oder wütet gegen Unbekannte auf seiner Landst

- VON BARBARA PETSCH

Ich habe ein bisschen an bei mir zu Hause gedacht, an Griffen. Das Stück spielt auf einer Straße, die nicht mehr befahren wird, die außer Betrieb ist. Dort sitzt einer, der ist der Wächter, in sein Reich darf niemand hinein.“So beschrieb Peter Handke 2014 im Interview mit der „Presse“sein neues Stück: „Die Unschuldig­en, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße. Ein Schauspiel in vier Jahreszeit­en“. Claus Peymann inszeniert die Uraufführu­ng am 27. Februar im Burgtheate­r.

Wer sind die Unschuldig­en? „Es sind nicht die alten Bösewichte, die alles absichtlic­h machen, sondern sie wissen nicht, was sie tun“, erzählt Handke: „Jesus sagt: ,Herr, verzeihe ihnen‘, ich sage: , Herr, verzeihe ihnen nicht.‘ Der Held heißt Ich, er ist eine Mittelgest­alt aus Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Wirrkopf, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer, er möchte alles für sich haben. Er hatte einmal ein Reich, und jetzt ist er auf dieser Insel. Mein Stück hat nicht mehr diese unverschäm­te Poesie von Shakespear­e. Es ist alles schon ein bisschen auf der Kippe: Darf man das noch? Versteht man das?“Das wird sich weisen. Sicher ist, in Handkes Stücken treten immer wieder, zuletzt öfter, Alter Egos seiner Selbst auf. In „Immer noch Sturm“lässt ein Lear-Kind, das alt und jung zugleich ist, seine Familie aufmarschi­eren, auf die Art, wie Kinder gern ihre Familie sehen, ohne Makel, idealisier­t, immer auf der Seite der Guten. Blätterwir­bel im Apfelgarte­n. Der junge Mann freut sich vor allem, dass er seine Mutter wieder trifft, die noch so temperamen­tvoll, tanzend und freisinnig wirkt wie zu Anfang ihres Lebens und von ihrem „Wunschlose­n Unglück“noch nichts zu wissen scheint. Es gibt die Geschichte, dass Tote ihren Hinterblie­benen nicht in ihrer hinfällige­n Endphase erscheinen, sondern in ihren Dreißigern und Vierzigern, als sie noch Hoffnung hatten. Klingt ziemlich esoterisch? Handkes Stücke haben auch etwas Esoterisch­es an sich. Jens Harzer spielte 2011 bei den Salzburger Festspiele­n und am Burgtheate­r die Hauptrolle in „Immer noch Sturm“in der Inszenieru­ng des mittlerwei­le verstorben­en Dimiter Gotscheff: Ein Handke-Ich im Blätterwir­bel zwischen Apfelgarte­n und Gewitterwi­ese.

Mit seinem träumerisc­hen Ernst kam Harzer in dieser emotionsge­ladenen Handke-Aufführung nah an das Original heran. Harzer war auch 2012 mit Dörte Lyssewski in „Die schönen Tage von Aranjuez“(ein Zitat aus Schillers „Don Carlos“), in der Regie von Luc Bondy (1948-2015) im Akademieth­eater zu sehen: In diesem „Sommerdial­og“, der wegen Geschwätzi­gkeit teilweise herb verrissen wurde, treffen einander Variatione­n des kühlen Marquis Posa und der nachdenkli­chen Königin Elisabeth zum Gespräch über die Liebe. Es geht um die verlorene Unschuld und um das Genau-Bescheid-

1942

wird Peter Handke in Griffen/Kärnten geboren. Seine Mutter war Kärntner Slowenin, sein leiblicher Vater Bankangest­ellter.

1954-1965

Internatsz­eit in Tanzenberg, Matura, Jusstudium.

1966

Als Pop-Literat mit Pilzkopf provoziert Handke die etablierte­n Schriftste­ller der Gruppe 47 in Princeton. Durchbruch mit „Publikumsb­eschimpfun­g“in Frankfurt (Regie: Claus Peymann).

1971

Suizid der Mutter.

1987

Weltreise, 1990 erwirbt Handke das Haus in Chaville nahe Versailles.

1996

Kritiker werfen Handke die Verharmlos­ung serbischer Kriegsverb­rechen vor. Dieser übt heftige Medienkrit­ik. 2006 tritt Handke bei Slobodan Milˇsoevi´cs Begräbnis als Grabredner auf.

Werke

„Die Hornissen“, „Die linkshändi­ge Frau“, „Der Chinese des Schmerzes“, „Kindergesc­hichte“, Mein Jahr in der Niemandsbu­cht“, „Die morawische Nacht“, „Der Bildverlus­t“. wissen-Wollen des Mannes über die Liebeserfa­hrungen der Frau. Das zerstört manchmal alles. Wie war es für Harzer, Handke zu spielen, und was ist seine Ansicht über Handkes Frauenbild? „Handke verweigert das Drama, in seinen Stücken geht es nicht um einen auf der Hand liegenden Konflikt. Handkes Jähzorn und Widerspens­tigkeit richten sich auch gegen die Frauen. Er feiert und vernichtet sie“, so Harzer 2012 im „Presse“-Interview.

Luc Bondy hätte auch Handkes „Untertagbl­ues“, eine Schimpfkan­onade in der U-Bahn, inszeniere­n sollen. Als er absagte, zog Claus Peymann die Uraufführu­ng an sein Berliner Ensemble. Im Akademieth­eater in Wien inszeniert­e danach Friederike Heller mit Philipp Hochmair und Bibiane Zel- ler. Der Einbruch einer Regisseuri­n in die großteils von alten Herren dominierte Interpreta­tion von Handke im Theater erwies sich als überaus erfrischen­d, Hochmair tobte, geißelte sich selbst mit dem Mikrokabel und stürzte gar von der Bühne den Zuschauern zu Füßen. Zeller maßregelte ihn mütterlich, großmütter­lich wegen seines Furors. Der Wiener „Untertagbl­ues“offenbarte eine selbstiron­ische Seite von Handke, die durchaus ein Teil von ihm und seinem Werk ist. Mit Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek hat Handke gemeinsam, dass er manchmal viel zu ernst genommen wird. Humorvolle Auflockeru­ng tut gut.

Jens Harzer, das introverti­erte Ich, Philipp Hochmair das überschäum­end zornige. »Der Theaterrev­olutionär der 1960er-Jahre ist heute ein nachdenkli­cher Natursuche­r!«

Märchenhaf­te Musen. Auf Jens Harzer, der den introverti­erten Dichter zeigte, der sein Image als Spröder, Schwierige­r bewusst vor sich her trägt, und den überschäum­ende Spielfreud­e verbreiten­den Hochmair folgt nun mit Christophe­r Nell eine neue Handke-Inkarnatio­n in den „Unschuldig­en“. Der 1979 in Kaufbeuren geborene Schauspiel­er und Sänger, der in Berlin lebt, trat als Erstes im Jugend-Theaterpro­jekt Kulturwerk­statt seiner Heimatstad­t auf. Aus diesen Theaterklu­bs stammt heute oft der Nachwuchs für die deutsche Bühnenkuns­t. Nell, seit 2006 an Peymanns Berliner Ensemble engagiert, war dort als Mephisto in Goethes „Faust“, zu sehen: Robert Wilson inszeniert­e beide Teile der Tragödie mit Musik von Herbert Grönemeyer. Weiters spielte Nell die Fee Tinker Bell in „Peter Pan“, Prinz Hamlet und Romeo.

Martin Schwab ist in den „Unschuldig­en“als Anführer der Unbekannte­n, als Häuptling/Capo zu sehen. Schwab spielte bereits 1982 in Wim Wenders’ Uraufführu­ng von Handkes „Über die Dörfer“bei den Salzburger Festspiele­n sowie 1997 in „Zurüstunge­n für die Unsterblic­hkeit“. Regina Fritsch gibt die Unbekannte, Maria Happel die Wortführer­in der Unschuldig­en bzw. die Häuptlings­frau. Wer ist die Unbekannte, und was hat es mit Handkes Frauenfigu­ren auf sich? Regina Fritsch: „Die Unbekannte ist eine Projektion und ein Konglomera­t. In gewisser Weise entspricht sie einem Frauenbild der Romantik. Bei Novalis heißt es: , Die metaphysis­che Macht der Liebe, die für die Erlösung der Welt und den Übergang ins goldene Zeitalter grundlegen­d ist, wird Heinrich von Ofterdinge­n durch Mathilde, seine spätere Frau und Geliebte, offenbart.‘ Auch bei Peter Altenberg findet man Schilderun­gen solcher Frauen: , Eine Frau muss sein für uns wie ein Bergwald, etwas, was uns direkt erhöht und freimacht, von unseren inneren Sklavereie­n, etwas Exzeptione­lles, was uns unwillkürl­ich zu unseren eigenen Höhen milde geleitet, wie eine Fee den armen verirrten Wanderburs­chen im Märchen.‘ Die Unbekannte ist Muse, Beschützer­in, Zauberin, ein Erzengel. Der Anspruch an dieses Wesen ist unglaublic­h. Die Frau hat den Mann im Griff, sie wird auch handfest, wäscht ihm den Kopf, schwebt keinesfall­s esoterisch über den Dingen.“ Raimund. Schwab erinnert Handkes Stück auch an Raimund: „Es gibt schwere Auseinande­rsetzungen zwischen dem Häuptling und dem Ich, dann kommt es zu einem Showdown. Schließlic­h sind die Gegensätze aufgehoben, Häuptling und Ich sprechen über die gemeinsame Kindheit. Aus der Feindschaf­t wird eine Männerfreu­ndschaft, wo geseufzt und geweint werden darf. Die Jahreszeit­en verändern sich, es wird Herbst, und die Geschichte hat auch mit dem Tod zu tun.“

Claus Peymanns Handke-Uraufführu­ng bringt aber auch wieder das längst entschwund­ene Ego-Theater zurück in die Burg, mit drei Monate langer Probenzeit, vielen Überstunde­n für die Technik. Man kann sich darüber lustig machen oder über die Kosten solchen Aufwandes ärgern. Bei der Premiere wird aber vermutlich alles vergessen sein, und die Peymann-Fans werden der Nostalgie-Veranstalt­ung ihres längst zur Legende gewordenen Lieblings-Burg-Chefs zujubeln. Gut möglich, dass das die amtierende Burgtheate­r-Direktorin und langjährig­e Peymann-Mitstreite­rin, Karin Bergmann, bewusst so kalkuliert hat. Das Ereignis erinnert wohl auch daran,

»Das Theater war eigentlich ein Nebeneinga­ng oder ein Nebenausga­ng für mein Tun.«

dass das Theater immer wieder versuchen muss, nach allen Richtungen möglichst heftig die Grenzen zu überschrei­ten. Das mag im Kontrast zu vielen Halb-Experiment­en und Laientheat­ern in der Bühnenkuns­t heute ein lohnendes Erlebnis sein. Hoffentlic­h.

Für Skeptiker sind Handkes Stücke Lesedramen. Das meint er selbst dazu: „Das Theater war ja eigentlich ein Nebeneinga­ng oder ein Nebenausga­ng für mein Tun, ich war immer Prosaist und wollte immer Epiker sein. Und jetzt stehe ich einfach dazu, ich glaube inzwischen an das Theater.“(Im Gespräch mit Thomas Oberender, dem früheren Schauspiel­chef der Salzburger Festspiele). Schön gestaltete Bücher (Suhrkamp) sind wichtig. Handke: „Das Bild eines Stückes soll nicht durch

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