Privater Tugend ausziehen«
Die Europäer sollen sich selbst mit ihrem Hitler herumschlagen. Aber das Vertrauen der Amerikaner auf militärische Lösungen war schon beim Vietnam-Krieg falsch. Im ehemaligen Jugoslawien hat es geholfen. Aber war das Bombardieren von Belgrad notwendig? Das bezweifle ich nach wie vor. In Syrien griffen die Amerikaner nicht ein. Barack Obama wollte Fehler seines Vorgängers George W. Bush vermeiden. Man kann die 300.000 Toten und die Millionen Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs auch als Folge dieser Untätigkeit sehen. Das sehe ich nicht so. Aber da sind wir wieder bei der Verantwortungsethik. Ich möchte nicht amerikanischer Präsident sein und entscheiden müssen, ob ich in Syrien militärisch eingreife oder nicht. Wissend, dass in beiden Fällen Zehntausende Menschen ihr Leben verlieren. Ich erinnere mich noch gut an eine Konferenz in Katar . . . Was geschah dort? Damals erzählte mir der Emir von Katar, dass Syriens Präsident Assad dabei sei, Kopf und Kragen zu verlieren. Nach Unruhen in Daraa habe Assad die Partei des dortigen brutalen Gouverneurs ergriffen, anstatt ihn zu entlassen. „Sie werden sehen, in sechs Monaten ist Assad weg“, sagte der Emir. Er schätzte das falsch ein. Mittlerweile dauert der Bürgerkrieg in Syrien schon länger als der Erste Weltkrieg. Sie besuchten Assad 2007 in Damaskus, zwei Jahre später war er in Wien. Hat es Sie überrascht, wie Assad später agiert hat? Das hat nicht nur mich überrascht. Aber rückblickend denke ich: Bashar al-Assad strahlt keine Wärme aus. Eine Freundschaft konnte man zu ihm nicht aufbauen. Er war auch nicht für die Nachfolge seines Vaters Hafez vorgesehen. Sein Bruder war auserkoren, doch er starb bei einem Autounfall. Viele glaubten, Bashar al-Assad fehle es an der nötigen Mischung aus Härte und Popularität, um Syrien zu führen. Ich hätte mir damals nie gedacht, dass Assad diese fünf Jahre Bürgerkrieg physisch und psychisch durchstehen kann. Jedes Mal vor dem Schlafengehen muss ihm doch bewusst sein, dass am nächsten Tag wieder Hunderte Menschen im Krieg sterben werden. Wie man das aushalten kann . . . Wollten Sie jemals Ihre Kontakte zu Assad nützen, um zu vermitteln? Nein, das hätte keine Chance gehabt. Wie bewerten Sie die russische Intervention in Syrien? Militärinterventionen gefallen mir nie und nirgends. Aber was das machtpolitische Kalkül betrifft, war Russlands Intervention nachvollziehbar. Es hat sich wieder zurückgemeldet auf dem nahöstlichen Spielfeld und eine Entwicklung unterbunden, die es in Syrien und der gesamten Region geschwächt hätte. Jetzt hat es sich aus einer gestärkten Position zurückgezogen und wartet ab. Den Russen geht es also um Machtdemonstration. Nicht um „Demonstration“– es geht um Macht. Große Staaten machen immer Machtpolitik. Ein großer Player kann und will sich nicht selbst zum Machtvakuum machen oder zum Machtvakuum gemacht werden. Im Nahen Osten haben offenbar die Amerikaner ein Machtvakuum hinterlassen, das Russland nun in Syrien gefüllt hat. Die Amerikaner hatten eine Zeit lang fast ein Machtmonopol, das sich nun durch den Aufstieg Chinas und anderer Mächte relativiert. Die USA wenden sich verstärkt dem pazifischen Raum zu und sind in Europa weniger präsent. Im Nahen Osten haben sie aus dem Irak-Debakel gelernt. Aber sie wollen die Summe ihre Machtpositionen mindestens konstant halten. Glauben Sie, dass die EU ein Machtfaktor auf geopolitischer Ebene sein kann ? Die EU ist als wirtschaftlicher Machtfaktor auf Augenhöhe mit den USA und China, aber nicht im militärischen Bereich. Das stört mich nicht. Die EU soll sich nicht dazu drängen lassen, genauso viele Panzer und Raketen wie die USA oder China zu haben. Davon ist Europa weit entfernt. Im Moment entsteht der Eindruck, dass die 28 EU-Länder vieles einfach nicht auf die Reihe bekommen – eine Anti-Macht-Demonstration. Die EU ist eindeutig schwächer als vor 20 Jahren, weil Krisen Kraft kosten. Aufgrund der vielen Mitglieder? Als die Europäische Gemeinschaft gegründet wurde, konnten sich sechs Staatschefs um den Kamin setzen und Entscheidungen treffen. All die Erweiterungen waren logisch. Und es war auch der Gedanke richtig, Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder zu vereinen. Aber es gab damals schon gescheite Leute, die dafür plädierten, die EU nicht nur zu erweitern, sondern auch zu vertiefen. Ist eine Vertiefung mit 28 Mitgliedern überhaupt noch möglich? Wir sind momentan nicht in einem Prozess der Vertiefung, sondern haben alle Hände voll zu tun, um nationale Egoismen abzuwehren. Alle wollen ihre Extrawürste haben. Die Zukunft Europas wäre aber besser gesichert, wenn wir zusammenhalten, wenn wir patriotisch, aber nicht nationalistisch und egoistisch sind. Wie bewerten Sie die Macht von Medien? Ihr Vorgänger ist auch damit in die Chronik eingegangen, dass er Herrn Dichand in der Hofburg Gugelhupf serviert hat. Die Macht der Medien ist unbestritten, wird aber manchmal überschätzt. Denn Medien können Stimmungen verstärken, sie aber nicht gegen die Bevölke- rung erzeugen. Allianzen mit Chefredakteuren oder Fernsehmenschen halten auch nicht ewig. So etwas kann bei der geringsten Enttäuschung umschlagen. Es gab eine Ausnahme, an der Sie nahe dran waren: Bruno Kreisky. Kreisky hat Journalisten mit Informationen gefüttert. Er produzierte und „verkaufte“Informationen. Natürlich nicht für bares Geld, aber für gute Nachrede. Er war genial. Ich hatte eine direkte Telefonleitung zu ihm. Kreisky musste nur abheben, und es läutete bei mir. Wenn er einen Journalisten bei sich hatte und irgendetwas loswerden wollte, hob er ab und keppelte oder lobte ins Telefon. Was er mir sagte, war eigentlich eine Botschaft an den Journalisten. Ich las es dann am nächsten Tag in der Zeitung. Kreisky hat auf dem Medienklavier brillant gespielt. Und was Klestils berühmten Gugelhupf für Dichand anlangt: Die Dinge wären ohne Gugelhupf auch nicht viel anders gelaufen.