Die Wortverdreher
Barton Swaim hat als Redenschreiber eines skandalösen US-Gouverneurs am eigenen Leib die Kluft zwischen politischem Sprechen und Handeln erfahren. Seine Sicht auf Politiker ist seither ganz anders, sagt er.
Mark Sanford benötigte nur eine Woche, um sich vom möglichen republikanischen US-Vizepräsidenten zur größten Witzfigur der amerikanischen Innenpolitik zu machen.
Am 18. Juni 2009 verschwand Sanford, der damalige Gouverneur des USTeilstaates South Carolina, spurlos. Nach vier Tagen ließ er verkünden, er sei auf dem Appalachen-Fernwanderweg unterwegs. Nach sechs Tagen tauchte er auf dem Flughafen von Atlanta auf und erklärte, er habe seine Wanderpläne spontan zugunsten einer Reise nach Buenos Aires geändert. Tags darauf hielt er eine Pressekonferenz und gestand, in Buenos Aires mit seiner argentinischen Geliebten geturtelt zu haben. Sie sei seine „Seelenge- fährtin“, er habe „fünf Tage lang in Argentinien geweint“. Rasch fand „To hike the Appalachian Trail“, „auf dem Appalachen-Weg wandern“, Eingang ins Wörterbuch der Euphemismen für sexuelle Politikereskapaden.
Barton Swaim hat diese Affäre aus nächster Nähe erlebt. Als Sanfords Redenschreiber hatte er Jahre damit verbracht, dessen bizarre Syntax und Liebe für verbrauchte rhetorische Allgemeinplätze in gutes Englisch umzubiegen. „Alles, wofür wir gearbeitet hatten, war nun diskreditiert. Und dennoch fühlte ich mich irgendwie befreit. Ich ging an diesem Morgen ins Büro, ohne mich übergeben zu müssen oder sofort wieder nach Hause zurückzukehren. Alles war nun sinnlos, wieso also hätten wir es uns zu Herzen nehmen sol- len? Wenigstens war es jetzt lustig“, erinnert er sich in „The Speechwriter: A Brief Education in Politics“, seiner von der Kritik zu Recht für Scharfsinn und Humor gelobten Chronik der Jahre im State House.
„Meine Sicht auf Politiker, auch jene, die ich mag, ist heute ganz anders. Ich versuche, das mehr wie meine britischen Freunde zu betrachten, also wie einen Sport“, sagt Swaim fast sieben Jahre später an einem frischen Frühlingsmorgen in South Carolinas Regierungssitz Columbia im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Die Fernsehdebatten der Präsidentschaftskandidaten seien Theater, das er nun unterhaltsamer finde, weil er es nicht mehr so ernst nehme. „Man muss eine Kunstfertigkeit haben. Wenn man Wahlen gewinnen will, kann man nicht immer aufrichtig sein. Es gehört auch eine gewisse Verschlagenheit dazu.“
Der in Edinburgh promovierte Anglist Swaim spricht dabei nicht der Lüge in der Politik das Wort. Aber die Ernsthaftigkeit der politischen Rede sei von ihrem Publikum abhängig. „Wenn Sie einen Politiker vor Leuten reden sehen, die noch nicht vollständig von ihm überzeugt sind, bekommen Sie nachdenkliches Sprechen zu hören. Aber alle Nuancen verschwinden, wenn er ausschließlich vor seinen Anhängern redet, oder wenn die Medien das eigentliche Zielpublikum sind. Dann wird die Sprache verlogen.“ Entwertete Sprache. Das fundamentale Problem jedes Politikers in einer Demokratie liege darin, zu viel zu reden. „Sie müssen alles kommentieren, zu jedem Problem eine Meinung haben, weil die Regierung so viele Lebensbereiche berührt“, sagt Swaim. Präsident Barack Obama möge er zwar nicht, doch er halte ihn für einen guten Redner. „Aber wenn er heute nach Columbia käme, würde man erwarten, dass er etwas über Methamphetamin-Missbrauch und kriselnde ländliche Schulen zu sagen hat. Davon hat er keine Ahnung, wie sollte er auch?“Sein früherer Chef, Sanford, hielt durchschnittlich vier bis fünf Reden pro Tag. „Oft wusste er fünf Minuten vor seinem Auftritt weder, wo genau er war, noch vor wem er sprach.“
Wenn das öffentliche Sprechen zur Fließbandarbeit wird, setzen sich Schlagwörter und Floskeln wie Seepocken an der politischen Botschaft fest. Swaim hat vergebens versucht, Sanford Marotten wie „das spricht Bände“, „angesichts der Tatsache, dass“und „Perlen der Weisheit“auszutreiben. Auch der aktuelle Wahlkampf lässt zahlreiche Stilblüten sprießen. Ted Cruz, der republikanische Senator aus Texas, beispielsweise verwendet gern „trust, but verify“, also „vertrauen, aber prüfen.“Swaim findet das unsinnig. „Das bedeutet überhaupt nichts. Wenn Sie vertrauen, prüfen Sie nicht, und wenn Sie prüfen, vertrauen Sie nicht.“
Swaim rät dazu, Politikern mit Skepsis gegenüberzutreten – ganz besonders jenen, die man mag. „Es gibt gute Menschen in der Politik – aber je länger sie dabei sind, umso weniger. Denn sie stehen ständig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das ist wie eine Sucht. Darum können sie nicht loslassen.“Das trifft auch auf Mark Sanford zu. Nur drei Jahre nach seiner „Appalachen-Wanderung“wurde er ins US-Abgeordnetenhaus gewählt. „Alle misstrauen dem Kongress, denn das ist eine abstrakte Sache. Aber sie schicken immer wieder dieselben Leute dorthin“, seufzt Swaim. Barton Swaim (*1972) hat an der University of South Carolina studiert und in Edinburgh sein Doktorat in Englisch gemacht. 2007 bis 2010 war er Redenschreiber des damaligen Gouverneurs Mark Sanford. Sein Buch „The Speechwriter: A Brief Education in Politics“ist 2015 bei Simon & Schuster erschienen.