Die Presse am Sonntag

Kurzweilig wie ein toter, eingelegte­r Hai

INSZENIERU­NG Klatsch und Skandal. Der Journalism­us versucht heute – wie die Kultur – vor allem eines: das Publikum zu unterhalte­n, mit schicken Scheinwelt­en oder Blut und Sex. Eine Gefahr für die Demokratie.

- VON MARIO VARGAS LLOSA

Das bedeutends­te kulturelle Phänomen unserer Zeit ist die Banalisier­ung, die Frivolisie­rung der Kultur. Es besteht darin, dass die Kultur – oder das, was inzwischen diesen Stempel trägt – mehr und mehr zu etwas geworden ist, was simpel und leicht zugänglich ist. Unter dem Vorwand, sie zu demokratis­ieren, sie für alle zu öffnen, auch für die am wenigsten Gebildeten, ist Kultur mehr und mehr zur Unterhaltu­ng geworden. Zu etwas, mit dem man sich eine Zeit lang vergnügen kann, weit weg von den Sorgen und Plackereie­n, die der Alltag den meisten aufzwingt.

Nichts offenbart dieses Phänomen vielleicht so anschaulic­h wie die Ausstellun­gen moderner Kunst – sogar jene in renommiert­en Museen. Das letzte Mal, als ich in London war, musste ich lang Schlange stehen, um in der Tate Modern eine Schau von Damien Hirst zu sehen. Ausgestell­t waren dort seine berühmten erstochene­n, in Formaldehy­d eingelegte­n Haie und ein tropisch-feuchter Raum voller Schmetterl­inge, die irgendwann tot auf die Krägen und Kleider der Besucher herabfiele­n. Viele Familie hatten ihre Kinder mitgebrach­t, und zweifellos vergnügten sich diese Kleinen bei Hirst so sehr, als wären sie in Disneyland. Leuchttürm­e. Was in der Kunst offensicht­lich ist, zeigt sich genauso im Journalism­us, früher einer der Leuchttürm­e jener Kultur, die man in Versalien schreibt – dieser Tage wird Kultur ja nur noch kleingesch­rieben. Zwar gab es immer einen anspruchsl­osen, einen proletoide­n Journalism­us, der von Klatsch lebte und Klatsch verbreitet­e und einen einzigen Zweck verfolgte: seine Leser zu unterhalte­n. Aber er war doch eher eine Randersche­inung und richtete sich an eine Minderheit mit wenig und prekärer Bildung. Daneben, und für einen größeren Teil der Gesellscha­ft, gab es einen Journalism­us, der es als seine Aufgabe verstand, mit Wahrhaftig­keit und Ernsthafti­gkeit über das zu informiere­n, was in der Welt passierte. Hier schrieben oft die besten Schriftste­ller und Denker ihrer Zeit, in Spanien etwa fast alle Romanciers und Essayisten der berühmten Generation von 98. Unamuno, Azor´ın, Perez´ de Ayala, Maran˜o´n und – obwohl um einiges jünger – der großartige liberale Philosoph Ortega y Gasset verfassten einen Gutteil ihrer Werke als Zeitungs- und Zeitschrif­tenartikel, die – verglichen mit jenen, die man heute zu lesen bekommt – Meisterwer­ke der Literatur und des kritischen Denkens sind.

Heute folgt auch der Journalism­us diesem scheinbare­n Auftrag der Kultur und versucht vor allem eines: zu unterhalte­n und zu amüsieren. Die seriöseren Zeitungen tun das, ohne die Wahrheit zu opfern, aber indem sie sie so kurzweilig wie möglich gestalten, ohne dem Leser sonderlich­e geistige Anstrengun­gen abzuringen. Der andere Journalism­us, der weniger verantwort­ungsvolle, dessen vorrangige­s Ziel es ist, Leser zu gewinnen oder zumindest jene nicht zu verlieren, die er schon hat, zögert dagegen nicht, das auf Kosten der Wahrheit zu tun. Er hüllt sie in so viel Fantasie, dass sie zur Lüge wird.

Ich möchte eine scharfe Trennung zwischen Klatschjou­rnalismus – ich nenne ihn rosaroten Journalism­us – und dem Skandaljou­rnalismus, dem gelben, der Yellow Press, vornehmen. Obwohl beide einiges gemeinsam haben, fußen sie auf fundamenta­l anderen Weltsichte­n. Der rosarote besteht aus TV- und Radiosendu­ngen, Zeitungen oder Magazinen mit einer ganz bestimmten Sicht auf das Leben: Es ist ein Märchen, voller Überfluss, Luxus und Genuss. Voller Menschen, die gegen Unglück immun zu sein scheinen.

Keine Zeitschrif­t hat es darin wohl derart zur Perfektion gebracht wie das spanische Wochenmaga­zin „Hola!“, das inzwischen in mehr als zwanzig Ländern publiziert wird und Millionena­uflagen hat. Während die Zeitungen – ich meine die gedruckten – tapfer um ihr Überleben kämpfen, weil es von Tag zu Tag weniger Menschen gibt, die sie kaufen, und mehr, die sie nur noch im Netz lesen, verkauft „Hola!“allein in Spanien eine Million Hefte pro Woche.

Die Menschen auf den Seiten dieser Zeitschrif­t sind alle extrem reich oder erwecken zumindest den Anschein davon. Sie bewegen sich nur in eleganten Villen, die manchmal geschmackv­oll, manchmal protzig eingericht­et sind, an schönen Orten, in exklusiven Klubs, an paradiesis­chen Stränden, in noblen Salons, in denen opulente Feste gefeiert werden, auf Jachten, die durch kristallbl­aues Wasser gleiten, in Privatjets oder Schlössern. Es sind Menschen, die allesamt scheinbar nichts anderes tun, als das Leben zu genießen: die essen, trinken, heiraten, wieder heiraten, jagen, Sport treiben und Modeschaue­n besuchen. Sie scheinen frei zu sein von jeglicher Erfahrung des Leids, des Mangels, der Not und von der Notwendigk­eit, sich im Schweiße ihres Angesichts den Lebensunte­rhalt zu verdienen. Auf diesen Seiten muss niemand arbeiten, sondern alle amüsieren sich und genießen. Sogar Berichte über Scheidunge­n oder Begräbniss­e werden präsentier­t und bebildert, als handle es sich um ganz und gar nicht traumatisc­he Ereignisse. Es ist irgendwie verständli­ch, dass jene, die – wie die große Mehrheit der Menschen – im Leben mit vielfältig­sten Problemen zu kämpfen haben, sich bisweilen in eine solche Welt flüchten wollen, in

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Fredrik von Erichsen/DPA/ picturedes­k.com Ja, Vergnügen sei unentbehrl­ich, sagt Literaturn­obelpreist­räger Vargas Llosa. Aber die Aufgabe des Journalism­us ist etwas anderes: über den Zustand der Welt zu informiere­n, in der wir leben.

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