Ohne Kunst? In
HOCHKULTUR hat heute immer den negativen Beigeschmack von Exklusivität, von Ausschluss. Gerade wenn ich an unser Metier, das Theater, denke, wünsche ich mir, den Begriff auch wieder positiv zu sehen. Die Vorsilbe HOCH hat mit wachsen zu tun, und die Worte HOCHzeit, HOCHamt sind positiv konnotierte Begriffe, die den Festcharakter zum Ausdruck bringen. Auch das Theater ist etwas Festliches: Menschen versammeln sich, um gemeinsam einem Spiel zuzuschauen. Jenseits religiöser Definitionen ist es Ritus, Liturgie. Und im besten Fall wachsen Menschen an einem Theaterabend – sie wachsen gleichsam als Erlebnisgruppe zusammen und als Einzelne über ihre Alltagssituation hinaus. Der moderne Staat hat völlig zu Recht erkannt, dass Hochkultur nicht Ausschluss bedeuten darf, und leistet sich daher Theater, Oper, Museen. Denn die Menschheit hat den Anspruch und die Sehnsucht zu wachsen, auch jenseits ökonomischer Begriffe. Theater sind, wie Kultureinrichtungen überhaupt, durchaus systemrelevant. Und die Möglichkeit der Teilhabe an der HOCHkultur hat mit dem Grundgedanken von Demokratie zu tun. Aber vielleicht ist es heute zeitgemäßer, von weltoffener Kultur zu sprechen. Als Bedürfnis nach aufmerksamer und offener Begegnung mit Kunst, wofür bewusst der Rahmen des Alltäglichen verlassen wird, um ihr Zeit und Raum zu widmen und sie nicht auf ein leicht konsumierbares Nebenher zu reduzieren. Aber: Wir Kunstschaffenden sollten uns diese Frage gar nicht stellen. Ein anbiederndes Hinunternivellieren von Kunst, um Menschen „dort abzuholen“, wo man sie selbst etwas überheblich vermutet, wird am Ende wenig bringen. „Das Volk ist nicht tümlich“(Brecht), und auch Shakespeare hat beim Produzieren seiner Stücke wohl vor allem an ein zahlreiches (und zahlendes) Publikum gedacht. Hochkultur, die primär als Attribut sozialer Distinktion wahrnehmbar ist, kann nicht mehr als zeitgemäß gelten. Alle Institutionen, die – im soziologischen Gegensatz beispielsweise zu Subkultur oder Volkskultur – unter den Begriff „Hochkultur“fallen, wie Museen, Opernhäuser und Theater, sind angehalten, neue Publikumsschichten zu gewinnen. „Splendid isolation“würde den Weg in die Zukunft rasch zur Sackgasse machen. Kunst – in meinem Fall konkret Theater und Literatur – darf, soll, muss intelligent, verbindlich und mit Haltung gemacht und an den Zuschauer als Zoon politikon adressiert sein. Aber das muss nicht zwingend mit tagespolitischen Parolen einhergehen. Dass sich Theater politisch auch im Sinn affirmativer Propaganda missbrauchen lässt, ist hinlänglich bekannt; die Bühne darf nicht indoktrinieren. Theater sollte den Zuschauer nicht einlullen, sondern ihn wach, mit neuen Fragen (an sich selbst) und mit der Lust am Hinterfragen entlassen. Im Spielplan spiegelt sich weniger meine persönliche Meinung, sondern mehr jene des Theaters zur Welt. Mal ganz konkret, wie in Jelineks „Die Schutzbefohlenen“, mal ganz poetisch, wie derzeit in Handkes „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“. Politik beginnt beim Handeln oder Nichthandeln jedes Einzelnen. Die Menschen sollten die Welt verändern. Wenn die Kunst ihnen dafür Anregungen liefert, ist viel erreicht. Aber (siehe oben): Kunst ist nicht per se unschuldig. Bevor ich detailliert antworte: Woher soll ich wissen, was Kunst muss? Meiner Ansicht nach muss Kunst nichts. Denn in Abwandlung von Heideggers „das Nichts nichtet“, „kunstet die Kunst“, und es ist dabei gleichgültig, ob ihre Hervorbringungen gebraucht, gewünscht, zeitgemäß oder nützlich sind. Das entscheidet am Ende das Publikum, und auch das kann irren. Die Kunst ist allerdings, wenn sie sich zu sehr auf ihre Verwertbarkeit konzentriert, bald einmal ein Symptom der Krankheit, die sie zu diagnostizieren oder gar zu therapieren meint. Da wir alle mitsamt Zeitgenossen sind, ist die Kunst bzw. sind die Hervorbringungen von Künstlern, die in diesem Augenblick leben, zwangsläufig „zeitgemäß“. Wer soll denn bestimmen, was der Zeit gemäß ist? Vielleicht sitzt auf einem schroffen Berg ein(e) einsame(r) MahnerIn, der oder die uns in bezaubernden Worten die Leviten liest, und zwar höchst unzeitgemäß. Ich kann nicht entscheiden, ob der oder die hinter dem Mond lebt oder „mittenmang“, wie man in Deutschland sagt, also mittendrin. Und seien wir ehrlich, wie viele KünstlerInnen laufen herum, die in der Lage sind, sachdienliche Hinweise für die Behebung von Übelständen zu liefern? Die Fähigkeit, die Welt in düsteren Farben zu sehen, hat doch inzwischen jede/r. Bei den meisten führt dies auf dem direkten Weg in den Bioladen, aber nur wenige sind in der Lage, die Welt auch in den düstersten Farben zu malen! Die Frage ist doch wohl, ist Kunst auch Kunst, wenn die anderen es nicht finden? Meiner Ansicht nach ja. Aber wie waren nochmals die Fragen? Ach so. Das Wort Hochkultur legt nahe, dass es auch eine Niederkultur oder Tiefkultur gibt, eigentlich ein Widerspruch in sich. Aber da inzwischen sogar Unternehmen eine „Unternehmenskultur“, manche sogar eine „Unternehmensphilosophie“haben, ist der Begriff ganz stimmig. Die Tiefkultur ist in 97 % aller Fernsehkanäle 24 Stunden am Tag zu bestaunen. Die ist unbedingt zeitgemäß, aber völlig überflüssig. Hochkultur ist selbstverständlich nicht zeitgemäß, aber dringend notwendig. Die Begriffe „zeitgemäß“und „Hochkultur“sind zugleich so unpräzise wie aufgeladen, dass man die Frage eigentlich nicht beantworten kann. Kunst kann und darf politisch sein, sie soll oder muss es aber nicht. Soll ich jetzt aufhören, Rilke zu lesen wegen eines Freihandelsabkommens mit Neuguinea?
In meinem Spielplan spiegelt sich das „Kann und Darf“wider, aber nicht das „Soll und Muss“. Das beschränkt sich übrigens nicht nur auf meinen Spielplan. Ja, unbedingt. Natürlich nicht, wie sie sich das selbst vorstellt. Das sind doch sehr verschlungene Wege, auf denen irgendwelche Dinge in das Bewusstsein tröpfeln und sich dann in Zeitgeist oder Ungeist niederschlagen. Wenn wir die Geschichte betrachten, dann erscheinen uns seltsamerweise die Erzeugnisse der Kunst wesentlicher als alle politischen, wirtschaftlichen und sonst wie gearteten Verwerfungen und Entwicklungen. Wenn in 100 Millionen Jahren die ersten Marsmenschen über unseren von Neutronenbomben entvölkerten Erdball gehen, werden sie vermutlich nicht über die Buchhaltung der Vereinigten Sparkassen staunen, sondern über Rembrandt und Bach und von mir aus die Beatles.
Glanz und Glamour der großen Oper: Günther Groisböck (rechts) bei den Salzburger Festspielen 2014/15 als Herr Baron a Zum einen ist die Hochkultur wie eine Brille, die uns die Vergangenheit näher bringt und uns dadurch auch hilft, unsere Gegenwart zu reflektieren, zu analysieren und zu verstehen. Somit sehr zeitgemäß. Zum anderen ist Hochkultur aber auch selbst ein Ergebnis von Entwicklungen in der Gesellschaft. Und es gab im Lauf der Geschichte immer eine dialektische Verknüpfung zwischen der Hochkultur und der jeweiligen Gegenwart: Künstler schaffen in ihren Werken – hier deutlicher, dort weniger offensichtlich – Verbindungen zu Phänomenen ihrer Zeit. Schließlich: Große Kunst, quasi das Idealprodukt der Hochkultur, ist zeitlos und somit zu jeder Zeit zeitgemäß. Oder jedenfalls nicht unzeitgemäß. Es gibt viele Kunstwerke, die sehr politisch im engeren Sinn sind. In der Oper, um nur ein Beispiel zu nennen, „Le nozze di Figaro“. Kunst kann dabei helfen, eine politische Situation zu verstehen, Zustände und Entwicklungen zu kritisieren oder aktiv zu propagieren. So ist im „Figaro“das prärevolutionäre Element ein wesentlicher Aspekt. Wenn dieser in einer Bühnenproduktion nicht zu sehen und zu hören ist, bleibt nur Vaudeville übrig – „Figaro“ist aber viel mehr. Ich habe nichts dagegen, wenn in einer Neuinszenierung, als Transposition ins Heute, Parallelen zwischen einer politischen Opernfigur und einem zeitgenössischen politischen Exponenten hergestellt werden, etwa als Karikatur. Zwang besteht allerdings aus meiner Sicht keiner. Schwierig finde ich es, wenn einem Stück eine politische Aussage künstlich oktroyiert wird. Meine persönliche Meinung findet sich sicher nicht im Spielplan wieder. Ich erstelle ihn für die Zuschauer. Wir Direktoren und Intendanten sind Ermöglicher: In unserem reproduzierenden Kunstbereich können Künstler ihren Zugang und dadurch auch ihre Sicht auf ein Werk ausdrücken. Dabei deckt sich meine Meinung sicher nicht immer mit jener des jeweiligen Künstlers. Es ist natürlich ein Traum, dass Kunst die Welt zum Besseren verändert. Und dieser Traum wird sicherlich oft wahr. Bei aller Positivität darf man aber nicht vergessen, dass es in der Geschichte Momente und Perioden gab, da Kunst missbraucht wurde, dazu beitrug, die Welt eher zum Schlechteren zu verändern. Denken wir an die NaziZeit mit ihren Opfern und Tätern auch im Bereich der Kunst, an die „entartete Musik“verfemter Komponisten einerseits, an Propagandakunst ideologischer Aushängekünstler andererseits – Phänomene, die in verschiedenen Diktaturen der Vergangenheit und Gegenwart wiederkehren. Es ist Illusion zu glauben, ein großer Künstler sei zwangsläufig ein ausgezeichneter Mensch. Er kann aber ethisches Vorbild sein, kann gute Ziele verfolgen und so ein Stück weit die Welt zum Positiven verändern. Denken wir an Daniel Barenboim, der sich mit seinem West-Eastern Divan Orchestra für Frieden im Nahen Osten einsetzt. Oder an Juan Diego Florez,´ der mit dem Projekt Sinfonia por el Peru` benachteiligte Kinder seines Heimatlandes unterstützt. Kunst kann also die Welt positiv verändern: sei es, indem durch sie Mittel für Menschen in Not generiert werden, sei es durch ihre Botschaft oder ihre direkte Wirkung – als Bereicherung, als Trost, als Erbauung, als Freude.
Dominique Meyer
Anna Badora
Wie immer man auch den Begriff definiert: Hochkultur als Anspruch ist für mich der intellektuelle Maßstab, an dem sich die Gegenwart messen lassen muss und der uns historische Orientierung – im Moment so wichtig wie selten zuvor – geben kann. Es käme einer zivilisatorischen Verwahrlosung gleich, Hochkultur nicht zu pflegen. Es muss für jeden Menschen, besonders auch für bildungsferne Schichten, das Angebot zur Nachfrage bereitgehalten werden, sich etwa den Weg der Theaterdramen von Aischylos über Shakespeare bis zu zeitgenössischen Autoren zu erschließen, um zumindest exemplarisch zu erfahren, woher wir kommen, zu wissen, warum wir im Abendland die sind, die wir sind, und in welcher Welt wir jetzt leben. Theaterstücke können dem Zuschauer aber auch eine ästhetische und existenzielle Ahnung davon geben, wie tief menschliche Existenz empfunden, gelebt, gestaltet werden kann. „Hochkultur“ist überaus zeitgemäß. Darum tut der Staat auch gut daran, dieses vielfältige Angebot für alle an Hochkultur Interessierte durch verlässliche finanzielle Unterstützung sicherzustellen, auch wenn wir wissen, dass wir nur das Angebot, kaum aber die Nachfrage steuern können. Politisch sind am Theater nicht nur aufgegriffene Themen, sondern auch das Spielerische: Grenzen verrücken. Der Spielplan des Volkstheaters weist uns als Forum für gesell-