Die Presse am Sonntag

Wer regiert Österreich?

Die Sozialpart­nerschaft ist eine nicht demokratis­ch legitimier­te Nebenregie­rung. Sie hat in diesem Land viele Probleme gelöst. Nun wäre es wieder Zeit für ein neues Erfolgserl­ebnis.

- VON CLAUS RAIDL

Die österreich­ische Sozialpart­nerschaft ist für unsere Rechtsordn­ung ein Unikum. So wie das englische Verfassung­srecht beruht auch die österreich­ische Sozialpart­nerschaft auf verschiede­nen vertraglic­hen Grundlagen (Briefen!) und nicht auf einem einmaligen (konstituti­ven) Rechtsakt.

Grundlage dieses Gebildes ist ein Brief zwischen dem damaligen Bundeskanz­ler, Julius Raab (der vorher Präsident der Wirtschaft­skammer war), und dem Präsidente­n des ÖGB, Johann Böhm, aus dem Jahr 1957, in dem die Paritätisc­he Kommission für Preis- und Lohnfragen gegründet wurde.

Die Sozialpart­nerschaft hat viele Probleme gelöst und in Gesetzesvo­rschläge gebracht, die im parteipoli­tischen Getriebe offensicht­lich nicht zu bewältigen waren.

Diese Tatsache beinhaltet aber auch den Vorwurf, dass die Sozialpart­nerschaft eine demokratis­ch nicht legitimier­te Nebenregie­rung ist, die das Parlament zur reinen Abstimmung­smaschine degradiert. Da die wichtigste­n Vertreter der Sozialpart­ner auch Abgeordnet­e im Parlament waren und sind, stellt sich somit die Frage: „Wer regiert Österreich?“Kein Beirat oder Ausschuss, in dem nicht die Sozialpart­ner vertreten waren oder sind; vom Ausfuhrför­derungsbei­rat bis zum Zuckerbeir­at. Aufgrund dieser fast schon krakenhaft­en Umfassung vieler Einrichtun­gen dieser Republik müssen sich die Sozialpart­ner den Vorwurf gefallen lassen, in alle Lebensbere­iche regelnd ein- greifen zu wollen, um mit dieser Macht vor allem die eigene Position (in welcher Frage auch immer) zu festigen.

Die Kritik am System der Sozialpart­ner geht in zwei Richtungen: Der erste Kritikpunk­t sind die Institutio­nen selbst.

Die Träger der Sozialpart­nerschaft sind die drei Kammern mit Pflichtmit­gliedschaf­t und der ÖGB. Der ÖGB als Verein muss durch seine Arbeit die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er überzeugen beizutrete­n und Mitgliedsb­eiträge zu bezahlen. Durch die Pflichtmit­gliedschaf­t fehlt bei den Kammern dieser Druck, Mitglieder zu werben und es fehlt auch jeder Druck auf Sparsamkei­t, Wirtschaft­lichkeit und Zweckmäßig­keit. Die verfassung­srechtlich­e Absicherun­g aller Kammern hat die Gefahr erhöht, dass aus der Selbstverw­altung der Kammern eine Selbsterha­ltung der Funktionär­e wird. Wer zahlt am Ende die Rechnung? Der zweite Kritikpunk­t ist die Frage: Wem nützen die Lösungen der Sozialpart­ner und wer zahlt letztlich die Rechnung? Nehmen wir als Beispiel die Ladenöffnu­ngszeiten: Das Verbot der Öffnung der Geschäfte am Sonntag ist ein reiner Willkürakt von Wirtschaft­skammer, ÖGB und katholisch­er Kirche. Diese Regelungen sind ein gutes Beispiel, wie Funktionär­e entscheide­n, was ihnen passt, was aber eindeutig zulasten der Konsumente­n geht. Ein anderes Beispiel: die steuerlich begünstigt­e Behandlung von Überstunde­nzuschläge­n. Statt höhere Zuschläge zu bezah-

Claus Raidl

Beruflich

1991–2010

Seit September 2008 len, hat man gesagt, machen wir eine steuerlich­e Sonderrege­lung, um mehr netto vom Brutto zu erreichen. Wer zahlt diesmal die Rechnung? Jeder Steuerzahl­er, weil diese Sonderbeha­ndlung die Steuereinn­ahmen reduziert und daher der allgemeine Steuersatz höher sein muss.

Wenn man von Entfesselu­ng der Wirtschaft spricht, könnte man bei der Gewerbeord­nung beginnen und viele Gewerbe von den Fesseln eines gebundenen Gewerbes befreien und es dem Markt überlassen, ob eine Leistung akzeptiert wird oder nicht. Wir müssen froh sein, wenn jemand das Risiko eingeht, sich selbststän­dig zu machen.

Zurzeit hat die Sozialpart­nerschaft offensicht­lich die Fähigkeit verloren, mit Lösungsvor­schlägen in das politische Geschehen einzugreif­en. In der Bildungspo­litik, in der in der „großen“Politik trotz gemeinsame­r Erklärunge­n totaler Stillstand herrscht, könnte es (unter Einschluss der Industriel­lenvereini­gung) möglich sein, dass die Sozialpart­ner den entscheide­nden Anstoß geben.

Die Sozialpart­nerschaft steht an einer entscheide­nden Wende. Entweder es gelingt ein Durchbruch bei typischen Sozialpart­nerthemen (Arbeitszei­tgesetz, Flexibilis­ierung bei den Überstunde­n, Lockerung bei den übertriebe­nen Maßnahmen des Arbeitsins­pektorates) oder die Sozialpart­nerschaft hat ihre Berechtigu­ng verloren.

Wir warten auf ein Entfesselu­ngsund Entlastung­spaket der Sozialpart­ner unter Einschluss der Senkung der Pflichtbei­träge zu den Kammern.

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