Feindbild Spekulant
Vor einigen Jahren stiegen die Preise für Agrarrohstoffe in astronomische Höhen. Die Schuldigen waren schnell ausgemacht: die Finanzspekulanten. Heute sind die Preise im Keller. Aber gibt es deshalb weniger Hunger auf der Welt?
Mit Essen spielt man nicht.. Das war in den vergangenen Jahren sehr oft zu hören. Nichtregierungsorganisationen posaunten den Slogan lauthals heraus. Sie machten Banken und sogenannte Finanzspekulanten für die hohen Preise auf den Rohstoffmärkten in den Jahren 2007/2008 und 2010/2011 verantwortlich. Für manche Politiker war die Entwicklung ein gefundenes Fressen, für Globalisierungskritiker wie Jean Ziegler auch. Der 81-Jährige sagte Sätze wie diese: „Börsenspekulation auf Nahrungsmittel tötet Menschen.“
Doch seit den Preisspitzen von damals ist es weitgehend ruhig um das Thema geworden. Für die Organisationen steht nun anderes auf der Agenda. Glyphosat, TTIP und Co. Möglicherweise hat der veränderte Fokus aber auch mit einer anderen Entwicklung zu tun. Den Börsen. Denn dort rauschten agrarische Rohstoffe völlig unbemerkt in den Keller. Erst im Jänner fielen die Lebensmittelpreise im Index der Vereinten Nationen auf den tiefsten Stand seit fast sieben Jahren.
Was das bedeutet? Ein Scheffel Weizen kostete zuletzt rund 462 USCent. 2007 waren es mit 939 US-Cent noch mehr als doppelt so viel. Im Schnitt der 1990er-Jahre lag der Preis noch weiter darunter. Bei Soja zeigt sich in etwa das gleiche Bild.
Die Spekulanten an den Rohstoffbörsen sorgen also diesmal für niedrige Preise. Retten sie damit jetzt Menschenleben? Genauso wie sie einst „getötet“haben sollen? Es gibt „keinen einfachen, linearen Zusammenhang zwischen hohen Preisen und dem Anstieg des Hungers, zumindest nicht auf globaler Ebene“, sagt Josef Schmidhuber von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO. Hohe Preise seien bloß ein Faktor, aber nicht der einzige, gibt Schmidhuber zu bedenken. Ihre Auswirkungen auf Hunger und Ernährung müssten stets im länderspezifischen Kontext betrachtet werden. Weniger Hunger in China. Hunger habe nämlich auch etwas mit dem Einkommen von Menschen zu tun, sagt Thomas Glauben, Direktor des LeibnizInstitut für Agrarentwicklung. „Wir haben große Erfolge in der Hungerbekämpfung, vor allem in China.“Das sei das Resultat wirtschaftlicher Entwicklung. Denn wer einen Arbeitsplatz findet, könne das Elend umgehen und „das ist eng mit Hunger verknüpft“. Ein zentrales Problem der Entwicklungsländer sei häufig ihre klein strukturierte Landwirtschaft. „Was sich zunächst romantisch anhört, ist nichts anderes als eine Armutsfalle.“
Kleinstbetriebe erwirtschaften kaum Einkommen und haben deshalb kein Geld für Investitionen. Ihre Anbaufläche reicht in der Regel nicht aus, um neue Technologien sinnvoll einzusetzen. Doch nur dies würde ihre Chance auf bessere Erträge erhöhen. „Man muss also andere Strukturen schaffen.“ Ernte oder Missernte. Rückblick: „Die Banken müssen jetzt handeln und auf die Rohstoffgeschäfte vorsorglich verzichten – denn die Anhaltspunkte, dass diese Finanzgeschäfte zu Hungerkrisen beitragen, sind erdrückend“, schrieb die Organisation Foodwatch vor einigen Jahren. Und was sagen die selbsternannten „Essensretter“heute? „Der Hunger ist nach wie vor nicht bewältigt, auch wenn die Preise nicht so hoch sind wie früher“, heißt es auf Anfrage der „Presse am Sonntag“. Der Preisverfall auf den Agrarmärkten sei genauso ein Fluch wie hohe Preise, heißt es.
Im Grunde entstehen die Preise für Agrarrohstoffe heute genauso wie anno dazumal, nur auf globaler Ebene. Gute Ernte, schlechter Preis. Missernte, hohe Preise. Und vor allem in den vergangenen drei Jahren erzielten die Bauern weltweit regelrechte Rekordernten. Die Lager sind randvoll, die Preise fielen rasant. Noch vor fünf Jahren waren agrarische Güter sehr teuer.