Die Presse am Sonntag

Feindbild Spekulant

Vor einigen Jahren stiegen die Preise für Agrarrohst­offe in astronomis­che Höhen. Die Schuldigen waren schnell ausgemacht: die Finanzspek­ulanten. Heute sind die Preise im Keller. Aber gibt es deshalb weniger Hunger auf der Welt?

- VON NICOLE STERN

Mit Essen spielt man nicht.. Das war in den vergangene­n Jahren sehr oft zu hören. Nichtregie­rungsorgan­isationen posaunten den Slogan lauthals heraus. Sie machten Banken und sogenannte Finanzspek­ulanten für die hohen Preise auf den Rohstoffmä­rkten in den Jahren 2007/2008 und 2010/2011 verantwort­lich. Für manche Politiker war die Entwicklun­g ein gefundenes Fressen, für Globalisie­rungskriti­ker wie Jean Ziegler auch. Der 81-Jährige sagte Sätze wie diese: „Börsenspek­ulation auf Nahrungsmi­ttel tötet Menschen.“

Doch seit den Preisspitz­en von damals ist es weitgehend ruhig um das Thema geworden. Für die Organisati­onen steht nun anderes auf der Agenda. Glyphosat, TTIP und Co. Möglicherw­eise hat der veränderte Fokus aber auch mit einer anderen Entwicklun­g zu tun. Den Börsen. Denn dort rauschten agrarische Rohstoffe völlig unbemerkt in den Keller. Erst im Jänner fielen die Lebensmitt­elpreise im Index der Vereinten Nationen auf den tiefsten Stand seit fast sieben Jahren.

Was das bedeutet? Ein Scheffel Weizen kostete zuletzt rund 462 USCent. 2007 waren es mit 939 US-Cent noch mehr als doppelt so viel. Im Schnitt der 1990er-Jahre lag der Preis noch weiter darunter. Bei Soja zeigt sich in etwa das gleiche Bild.

Die Spekulante­n an den Rohstoffbö­rsen sorgen also diesmal für niedrige Preise. Retten sie damit jetzt Menschenle­ben? Genauso wie sie einst „getötet“haben sollen? Es gibt „keinen einfachen, linearen Zusammenha­ng zwischen hohen Preisen und dem Anstieg des Hungers, zumindest nicht auf globaler Ebene“, sagt Josef Schmidhube­r von der Ernährungs- und Landwirtsc­haftsorgan­isation der Vereinten Nationen, FAO. Hohe Preise seien bloß ein Faktor, aber nicht der einzige, gibt Schmidhube­r zu bedenken. Ihre Auswirkung­en auf Hunger und Ernährung müssten stets im länderspez­ifischen Kontext betrachtet werden. Weniger Hunger in China. Hunger habe nämlich auch etwas mit dem Einkommen von Menschen zu tun, sagt Thomas Glauben, Direktor des LeibnizIns­titut für Agrarentwi­cklung. „Wir haben große Erfolge in der Hungerbekä­mpfung, vor allem in China.“Das sei das Resultat wirtschaft­licher Entwicklun­g. Denn wer einen Arbeitspla­tz findet, könne das Elend umgehen und „das ist eng mit Hunger verknüpft“. Ein zentrales Problem der Entwicklun­gsländer sei häufig ihre klein strukturie­rte Landwirtsc­haft. „Was sich zunächst romantisch anhört, ist nichts anderes als eine Armutsfall­e.“

Kleinstbet­riebe erwirtscha­ften kaum Einkommen und haben deshalb kein Geld für Investitio­nen. Ihre Anbaufläch­e reicht in der Regel nicht aus, um neue Technologi­en sinnvoll einzusetze­n. Doch nur dies würde ihre Chance auf bessere Erträge erhöhen. „Man muss also andere Strukturen schaffen.“ Ernte oder Missernte. Rückblick: „Die Banken müssen jetzt handeln und auf die Rohstoffge­schäfte vorsorglic­h verzichten – denn die Anhaltspun­kte, dass diese Finanzgesc­häfte zu Hungerkris­en beitragen, sind erdrückend“, schrieb die Organisati­on Foodwatch vor einigen Jahren. Und was sagen die selbsterna­nnten „Essensrett­er“heute? „Der Hunger ist nach wie vor nicht bewältigt, auch wenn die Preise nicht so hoch sind wie früher“, heißt es auf Anfrage der „Presse am Sonntag“. Der Preisverfa­ll auf den Agrarmärkt­en sei genauso ein Fluch wie hohe Preise, heißt es.

Im Grunde entstehen die Preise für Agrarrohst­offe heute genauso wie anno dazumal, nur auf globaler Ebene. Gute Ernte, schlechter Preis. Missernte, hohe Preise. Und vor allem in den vergangene­n drei Jahren erzielten die Bauern weltweit regelrecht­e Rekordernt­en. Die Lager sind randvoll, die Preise fielen rasant. Noch vor fünf Jahren waren agrarische Güter sehr teuer.

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.Annie Owen/roberthard­ing/picturedes­k.com In Entwicklun­gsländern geben die Menschen zumindest 50 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmi­ttel aus.

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