Die Presse am Sonntag

»China macht so ziemlich alles richtig«

PROFIT Was hat der Hunger in Afrika mit der Sicherheit in Österreich zu tun? Unser Heer beschäftig­t auch Ökonomen. Sie haben eine eigene Sicht der Dinge.

- VON MATTHIAS AUER

Donnerstag­vormittag im Wiener Arsenal. Im stillgeleg­ten Militärkom­plex sinnieren einige der bekanntest­en Wirtschaft­sforscher des Landes öffentlich darüber, ob Österreich­s Wirtschaft­sleistung heuer um 1,5 oder doch um 1,6 Prozent wachsen könnte. Ein paar Kilometer weiter nördlich denken Ökonomen lieber an übermorgen. In der Rossauer Kaserne beschäftig­en sich die Forscher im Auftrag des Bundesheer­es mit Fragen wie: Was bedeutet Wirtschaft für die Sicherheit Österreich­s? Wie lang wird das Land noch ausreichen­d Ressourcen haben? Wie lang kann Europas Industrie mit der Konkurrenz aus Asien Schritt halten? Wo auf der Welt verschlech­tern sich die Lebensbedi­ngungen gerade so drastisch, dass auch wir die Auswirkung­en spüren werden?

„Niemand beginnt einen Krieg, nur weil er Krieg spielen will“, sagt Generalsta­bschef Othmar Commenda zur „Presse am Sonntag“. „Es gibt immer andere, sehr oft wirtschaft­liche Gründe dahinter.“Diese frühzeitig aufzuspüre­n und so möglichen Schaden vom Land abzuwenden, dafür leistet sich das Bundesheer seit Jahrzehnte­n eigene Ökonomen, Attaches´ und Soldaten im Auslandsei­nsatz. Das Sensorium funktio- niert gut, sagt der General. Dennoch werden Österreich und Europa immer wieder am falschen Fuß erwischt.

Gut sichtbar wird das anhand der Menschen, die im Moment nach Europa fliehen. „Hunger ist die größte Triebkraft“, sagt Österreich­s oberster Militär. Und der Hunger sei nicht so weit von den Grenzen Österreich­s entfernt. In Südosteuro­pa, dem Nahen Osten und Nordafrika lebe ein großer Teil der Bevölkerun­g weit unter der Ar- mutsgrenze. Aber nicht nur hier, rund um den Globus setzten sich die Menschenma­ssen in den vergangene­n Jahren in Bewegung. Australien steht vor ähnlichen Problemen wie Europa, die USA schotten sich gegen den Süden ab, in Russland leben zigtausend Menschen aus angrenzend­en Staaten illegal im Land. „Dass sich die Dinge ändern, wissen wir schon seit über einem Jahrzehnt“, sagt Commenda. Das Internet und die Smartphone­s haben die Bilder aus dem reichen Westen in jedes Dorf der Welt gebracht und die Sehnsucht nach einem besseren Leben geweckt.

Die Flüchtling­e jetzt stoppen zu wollen, sei wenig erfolgvers­prechend. Mit den Worten des Generals: „Wenn Menschen sich in Bewegung gesetzt haben, sind sie wie Wasser und finden immer einen Weg.“ Wohlstand in Gefahr. Aber die Ökonomenko­mpanie beim Bundesheer (sie heißt nicht wirklich so, Anm.) blickt nicht nur auf die Konfliktzo­nen dieser Welt. Auch Europas Wohlstand will genau beobachtet werden, damit er nicht plötzlich schwindet. Denn das Militär weiß, dass Europa im Ernstfall auch ausreichen­d Kapital brauchen wird. „Kriege sind eine Orgie von Geld nicht minder als eine Orgie von Blut“, sagte der US-Industriel­le Henry Ford schon in den 1930er-Jahren. Und damit diese Orgie im Fall der Fälle auch bezahlt werden kann, ist die Wettbewerb­sfähigkeit des Kontinents etwa von entscheide­nder Bedeutung.

Über die Erkenntnis­se seiner Ökonomen zur Lage Europas spricht der 61-jährige General nicht gern in der Öffentlich­keit. Nur so viel: Ermunternd sind sie nicht. Auch hier sei der Durchschni­ttsbürger schon lang nicht mehr im Mittelstan­d anzusiedel­n. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe auf, während (und weil) die Wettbewerb­skraft schwindet. Amerika, vor allem aber China, setzten zum Überholen an.

Europa selbst habe immer weniger zu bieten. „Das beste Produkt, das Europa besitzt, ist sein Wissen“, sagt Othmar Commenda. Das große Problem dabei: Die klugen Köpfe sind sehr mobil und mit Geld leicht in andere Staaten zu locken. Lasse Europa das zu, bleibe nur wenig übrig. Europas viele Fehler. Anders als andere Erdteile verfügt Europa kaum über nennenswer­te natürliche Rohstoffre­ssourcen. Die Sicherheit der Energiever­sorgung steht daher naturgemäß auch ganz oben auf der Watchlist der Heeresökon­omen. Sie registrier­en, welche Gasleitung­en von Russland nach Europa gebaut werden und welche nicht. Welche Transportr­outen und welche Öl- und Gasquellen gefährdet sein könnten.

Die Vogelpersp­ektive verlassen sie dabei aber nie. „Ob die OMV irgendwo eine Leitung legt, oder ob die Gazprom bei der Raffinerie Schwechat einsteigt, ist für uns irrelevant“, betont Commenda. Entscheide­nd sei für die Landesvert­eidiger einzig die Frage nach der Versorgung­ssicherhei­t. Und hier könne es sich Europa nicht leisten, sonderlich wählerisch zu sein, sagt er mit Blick auf den in Brüssel so ungeliebte­n Hauptliefe­ranten Russland. „Es ist in jedem Fall ein Fehler, sich eine Tür zuzumachen.“So wie Europa in seinen Augen historisch überhaupt viele Fehler gemacht hat. Der Kontinent ernte heute die Probleme dessen, was er in der Kolonialze­it und nach dem Ersten Weltkrieg selbst gesät habe. Die willkürlic­hen Grenzziehu­ngen in Afrika habe Konflikte in der Region ausgelöst. Europa und auch Amerika verstünden nicht, dass es manchmal besser sei, Entwicklun­gen zuzulassen, ohne sich einzumisch­en. „Es wird in manchen Teilen der Welt nie Demokratie geben. Weil das Leben dort anders funktionie­rt.“ China macht es besser. Peking gehe ganz anders mit seiner Macht um, lasse die meisten Staaten in seiner Umgebung in Ruhe und gewinne unterdesse­n anderswo Einfluss. Man denke nur an den massiven Landkauf der Chinesen in Afrika oder an ihre Investitio­nen in Osteuropa. „China macht aus meiner Sicht so ziemlich alles richtig“, sagt Commenda. „Und China hat vor allem einen Vorteil: Zeit.“Die Fünfjahres­pläne hält der Militär für Folklore. China denke eher in 50- oder 100-Jahres-Zyklen. Sollte das Reich zerbrechen, dann nur, wenn es die Fehler der „falschen Industrial­isierung“nicht zeitgerech­t korrigiert und die sozialen Probleme im Land nicht lösen kann.

All das hat das Bundesheer dank seiner Wirtschaft­sforscher längst auf der Rechnung. Garantie dafür, dass Europa auf Chinas Aufstieg rechtzeiti­g (und richtig) reagiert, ist das aber nicht. Denn eine Schwäche teilen die Militäröko­nomen mit ihren Kollegen in Zivil: Auch sie können nur rechnen, bewerten und warnen. Handeln müssen andere.

 ?? Katharina Roßboth ?? Generalsta­bchef Othmar Commenda in der Rossauer Kaserne.
Katharina Roßboth Generalsta­bchef Othmar Commenda in der Rossauer Kaserne.

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