Die Presse am Sonntag

»Ich komme nicht mehr mit«

Ich kŻnn ©Żs Lei© Żuf ©iesem PlŻneten nicht verŻrãeite­n. Ich ãemühe mich, Żlles richtig zu mŻchen, un© hŻãe trotz©em ein schlechtes Gewissen. Aãer ©ie Armen sin© jŻ eh glücklich, o©er?

- VON URSULA STRAUSS

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber mir wird das alles manchmal einfach zu viel. Ich habe ein latent schlechtes Gewissen und finde kein Gegenmitte­l. Ich gehe durch die Welt und versuche, sie mit offenen Augen zu sehen, aber mein Blick ist so trüb, und irgendwie hab ich oft das Gefühl, ich brauchte eine Brille. Ich mag dieses Gefühl nicht. Ich würde gern klar sehen, klar und scharf, würde gern verstehen, was mit dieser Welt passiert, warum sie so schieflieg­t, möchte hinter die Kulissen blicken, in den Büros der Mächtigen Mäuschen spielen.

Ich kann mir die Nachrichte­n nicht mehr anschauen, obwohl sich das doch eigentlich als denkender, verantwort­ungsbewuss­ter Mensch so gehört. Ich spüre es nicht mehr so stark stechen, wenn ich Bilder aus Kriegsgebi­eten sehe, wenn Menschen leiden, hungern, fliehen. Warum ist das so? Ich will das nicht. Ich bin keine Zynikerin, und trotzdem ziehe ich mich zurück.

Ich kann das Leid auf diesem Planeten nicht verarbeite­n, ich kann es nur mehr zur Kenntnis nehmen. Hilf mir doch bitte einer zu verstehen, hilf mir doch einer zu entscheide­n, welchem Thema ich mich emphatisch nähern soll, für welche der vielen Organisati­onen ich mich breitmache­n soll, wer oder was gerade am meisten Unterstütz­ung braucht. Wer gerade von den Armen am ärmsten ist. Manchmal Kiwi. Ich bemühe mich, alles richtig zu machen, etwas gut zu machen innerhalb der bescheiden­en Möglichkei­ten, die mir zur Verfügung stehen. Ich kaufe bewusst ein, heimisches Obst und Gemüse – ja gut, hin und wieder ist auch eine Banane dabei, oder eine Kiwi, da hab ich dann ganz kurz ein ganz ungutes Kribbeln im Bauch, aber dann greif ich zu und denke mir: Bevor es schlecht wird.

Aber das ist natürlich nur ein Beispiel für das Bemühen, ein verantwort­ungsvoll handelnder Bürger zu sein, in dieser Welt, in der ein winzig kleiner Bruchteil der Menschheit sich den Reichtum teilt, der einem ziemlich großen Rest fehlt. Was stand vor Kurzem in der Zeitung, 62 Menschen sind es, die sich die Hälfte des Reichtums teilen, und wie viele sind es, für die die andere Hälfte bleibt? Aber die Armen sind ja eh so glücklich, oder? Das sagt man doch immer, die Armen, die sind ja so glücklich und so fröhlich und sind zufrieden mit dem, was sie haben beziehungs­weise nicht haben. Das ist ja beruhigend. Na, dann passt es doch, oder?

Dann muss ich doch gar nicht so ein schlechtes Gefühl haben, wenn ich mal wieder in ein Geschäft gehe und mir um einen absurd kleinen Betrag einen Fetzen kaufe, der meiner Individual­ität Ausdruck verleiht. Ich versuche auch da, Entscheidu­ngen zu treffen, hinter denen ich stehen kann, nicht immer, natürlich, aber hinter den meisten T-Shirts kann ich stehen, bei den meisten Hosen hab ich nicht permanent das Gefühl, dass ein Mensch aufgrund der „schwierige­n“Arbeitsbed­ingungen sein Leben dafür gelassen hat, dass ich das schicke Kleidungss­tück in strahlende­n Farben tragen kann, das mich glücklich macht, kurz. Ja, manchmal macht einen Besitz überaus zufrieden. Anderersei­ts, was man nicht hat, kann man auch nicht verlieren, und mit dem Besitz kommt ja bekanntlic­h die Verantwort­ung und folglich auch das Unglück. Da müssen ja 62 unserer Mitbürger ziemlich unglücklic­h sein. Die Armen.

Wie auch immer, bewusstes Einkaufen, eine Plastikfla­sche weniger in den Meeren der Welt. Na ja, Kleinvieh macht auch Mist, denk ich mir. Natürlich vorausgese­tzt, man kann sich das leisten. Man muss es sich schon leisten können, ein bewusster Konsument zu sein. Wissen Sie, wie viele Menschen es sich leisten können, sich darüber Gedanken zu machen? Global gesehen meine ich, wie viele sind es, die sich ein Gewissen leisten können? Ich weiß es nicht, ich meine, ich kenne die Zahlen, aber was sind schon Zahlen. Zahlen

1974

1999

2008

Zurzeit sind so ungreifbar, große Zahlen vor allem, ungreifbar und unvorstell­bar.

Der Mensch strebt nach Entwicklun­g, nach immer mehr und immer schneller und weiter und besser. Ich komme nicht mehr mit, liegt vielleicht an mir und daran, dass ich keine Atomphysik­erin geworden bin, sondern Geschichte­nerzähleri­n. Selbst schuld, nicht am Puls der Zeit, zu langsam für den großen Fortschrit­t, zu ängstlich für die große Verknüpfun­g, zu wenig Vorstellun­gskraft für diese Welt, die vercybert und bis in den kleinsten Winkel vernetzt ist. Kriege der Macht. Meine Fantasie reicht nicht so weit. Meine Fantasie ist immer noch damit beschäftig­t zu verstehen, warum es Kriege geben muss – Kriege des Glaubens, Kriege der Macht –, das Wesen Mensch zu verstehen, mich selbst zu verstehen. Der genetische Zufall hat mich zur Frau gemacht, und die sind ja bekanntlic­h sehr schwer zu verstehen. Schwer auszuhalte­n und komplizier­t, diese Wesen, die es wagen, auch was sagen wollen dürfen, zu dieser Gesellscha­ft, die sie mittragen.

Aber halt, man kann nicht alles haben, das haben wir schon in den Kinderstub­en gelernt, alles kann man nicht haben, das wäre vermessen. Man muss alles leisten, das ist klar. Leistung ist wichtig, vor allem als Frau, das Recht muss man sich verdienen, geachtet zu werden für das, was man kann und tut. Also bitte nicht zu viel fordern, nicht zu viel auf einmal, das wäre vermessen, nicht angebracht, in einer Gesellscha­ft die noch nicht so weit ist, Geschlecht­er, Hautfarben oder Herkünfte einfach hinzunehme­n, wie sie sind, die tiefer blickt, sich in die Augen blickt und zumindest versucht, sich gegenseiti­g zu respektier­en, voneinande­r zu lernen.

Viel verlangt, ja, ich weiß. Viel verlangt in unserer Welt, in der alle eingerisse­nen Zäune um viel Geld wieder aufgestell­t werden. In der viel gesprochen und sich wenig getraut wird. Aber der Mensch ist halt nur ein Mensch, und die Erde dreht sich weiter, und mir ist ganz schwindeli­g, und da hilft auch keine Brille. Obwohl, wenn’s eine schöne ist, dann kauf ich sie vielleicht . . .

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