Der Kampf um die Jugend mit Fäusten und Knien
In den USA ist MMA ein Massenspektakel. Auch in Österreich wächst die Lust an der umstrittenen Kampfsportart. Eine Annäherung zeigt: Hier wird nicht zuletzt um Integration gerungen.
Die Musik dröhnt, die Lichtshow blendet, der Ringsprecher zieht die Namen genregerecht in die Länge. Gegen Ende der dritten Runde schaut es gut für den Österreicher aus: Manuel „Sugar“Bilic kniet auf seinem Kontrahenten, bearbeitet ihn von oben mit seinen Fäusten. Bis er in einem Kraftakt seinen Körper zusammenrollt, frei ist, aufspringt – und gewonnen hat.
Es war der erste Mixed-MartialArts-Kampf des Abends bei der Final Fight Championship im Multiversum Schwechat – und er zeigte das, was viele an der neuen Kampfsportart MMA verstört: dass mit allen Mitteln gearbeitet wird – auch, wenn der Gegner schon auf dem Boden liegt. Er zeigte auch, was dessen Verteidiger sagen: dass man auch dann immer noch Mittel hat.
Das Interesse der Massen hielt sich am Freitagabend freilich in Grenzen – zumindest vor Ort: Dank der Kameras begrüßte der Sprecher auch „Millionen Zuschauer weltweit“. Der Zuspruch wächst schnell. Und auch in Österreich taucht MMA inzwischen in der Populärkultur auf. Etwa in Stefan Ruzowitzkys aktuellem Filmprojekt „Die Hölle“. Darin ist die türkischstämmige, muslimische Heldin im Brotjob Taxifahrerin, daneben trainiert sie MMA. Gut, wenn man von einem Serienkiller verfolgt wird. Das Drehbuch stammt von Martin Ambrosch, der auch „Das finstere Tal“geschrieben hat.
MMA vereint so ziemlich alles, was man in einem Kampf brauchen kann: Schlagen, Treten und Ringen, grob gesprochen. Konkret setzen sich die Mixed Martial Arts aus den Schlagund Tritttechniken von Boxen, Kickboxen, Taekwondo, Muay Thai und Karate zusammen. Brazilian Jiu-Jitsu, Ringen, Judo und Sambo steuern Bodenkampf- und Ringtechniken bei. Die
MMA
In der Antike
Das moderne MMA Kämpfer selbst kommen meist von einer der genannten Sportarten – und versuchen, ihre Stärken zu nützen und Schwächen auszugleichen. Philosophischen Überbau gibt es (außer Respekt) keinen.
Das reizt nicht nur Profi-Kämpfer. „MMA wird immer populärer, weil die Leute nicht mehr fad ins Fitnesscenter gehen und an den Geräten ihre Muskelgruppen trainieren wollen“, sagt Nicolas Löckel vom Club MMA Vienna. „Da trainieren sie lieber in der gleichen Zeit MMA, werden fit und haben auch noch Spaß dabei.“95 Prozent würden nie mehr als Sparring betreiben. Zunehmend kämen auch Frauen, die sich „sicherer fühlen“wollen. „Sie können dann im Ernstfall zumindest reagieren.“
Tatsächlich ist an diesem frühen Nachmittag ein Mädchen mit geflochtenen Haaren die erste, die schon einmal Bandagen wickelt. Später wird sie mit einer Gruppe junger Männer, von denen viele aussehen, als wären sie im Studentensportkurs, kleine Gummiund große Medizinbälle werfen, im Kreis laufen, Liegestütze schinden, mit bunten Hütchen Abstände trainieren. Disziplin. Löckel, Typ freundlicher Fitnesstrainer im Kapuzenpulli, kommt selbst eigentlich vom Football – das ruppiger als der Kampfsport sei: „Ich hab mir die Schulter gebrochen, sodass das Schlüsselbein rausgestanden ist, dazu Gehirnerschütterungen ohne Ende.“Früher hat er in einer Bank gearbeitet, 2009 dann in einer einstigen Bankfiliale in der Favoritenstraße Wiens ersten MMA-Club gegründet. Er schimpft über die FPÖ, die Flüchtlingskrise tut ihm „im Herzen weh“. Er findet aber auch, dass ein paar Meter weiter, jenseits des Gürtels, wo die Favoritenstraße nicht mehr durch Wieden, sondern durch Favoriten führt, eine andere Welt beginnt. Dass Facebook gefährlich ist und dass, hätte er Töchter und nicht nur zwei Söhne, er sie im Kampfsport unterrichten würde.
Spätestens hier wird klar, dass MMA viel mit der heutigen Zeit zu tun hat. Da geht es um Fitness und Körperkult, Selbstvertrauen und Selbstverteidigung, um Rollenbilder, um kaputte Familien und fehlende Väter, um Spektakel, aber auch viel um hart zu erkämpfende – und manchmal auch gescheiterte – Integration.
„Disziplin ist das Wichtigste“, sagt Branimir Radosavljevic, kurz Brane, breite Oberarme, kurzgeschorene Haare, buschiger Bart. Er wirkt auf den ersten Blick wortkarg, aber erzählt viel, wenn er zu reden beginnt. Was er sagt, ist der Stoff, aus dem Hollywood Filme macht. Von 35 Kindern, die er trainiert, kommen nur sieben aus Österreich. „Mindestens zwölf“, sagt er, seien gemobbt worden. Sie dürfen ihre Peiniger „zum Sparring einladen“– dieser Spruch hilft. Gesprochen wird Deutsch, „alles andere ist den anderen gegenüber unhöflich, und außerdem: Wohin will man später einmal kommen, wenn man die Sprache nicht kann?“
Wer schlechte Noten bringt, darf nicht mehr trainieren, wer Hilfe braucht (und Willen zeigt), bekommt sie. Brane deutet auf einige Buben – einer muss Schönschreiben üben, einer Mathematik, der dritte muss Zusammenfassungen von „Harry Potter“-Kapiteln liefern. Nicht aufgeben, das lerne man hier. Älteren hilft Brane bei der Jobsuche, geht mit zum Magistrat, vermittelt bei Konflikten, „weil ausländische Eltern oft einfach nicht auf ihre Kinder hören“. Auch dann nicht, wenn die Kinder gar nicht kämpfen wollen. Brane genießt Respekt, weil er Kickboxbundestrainer ist. „Wollt ihr Tschuschen bleiben oder Magister werden?“, fragt er seine Schüler und besteht darauf, dass bei Wettkämpfen die österreichische Fahne geschwenkt wird. „Wir sehen uns als Pädagogen“, sagt er, aber freilich dächten nicht alle Trainer so. Diskussionen über Religion und Politik sind im MMA Vienna verpönt, diskrete Ausübung der Religion erlaubt. Hinten in der Küche liegt ein Gebetsteppich, den sich wenig später einer der Trainer in Richtung Mekka ausrichtet. Tschetschenischer Held. Gläubiger Moslem und Held der Kinder ist Mairbek Taisumov. Der Tschetschene trainiert im MMA Vienna – wenn er in Wien ist und nicht wie jetzt in Thailand, wo er sich gerade auf einen Kampf Mitte April in Zagreb vorbereitet. Taisumov ist der einzige österreichische Kämpfer, der in der UFC mitmischt, und das explizit aus Wien heraus. UFC, das ist die Ultimate Fighting Championship, die Königsklasse aus dem MMA-Mutterland USA. Taisumov ist auch einer jener Namen, die immer wieder fallen, wenn im Internet über die auffällige Stärke und Brutalität der Tschetschenen gemutmaßt wird. Von einem wehrhaften Kaukasusvolk ist da die Rede, von der traumatischen Kriegsvergangenheit, von Kindern, die inmitten von Gewalt aufgewachsen sind, aber auch von einer Tradition des Kampfsports, speziell Ringen sei dort wie Fußball hier.
Jenseits des Atlantiks, in den USA, ist MMA, das aus dem wirklich regellosen Free Fight entstanden ist, inzwischen ein Multimillionendollarmarkt. Es ist die schnellstwachsende Zuschauersportart, mit „pay per view“wird ein Vermögen gemacht, wenn die „modernen Gladiatoren“(Löckel) zu sehen sind. Der Sport ist längst im Mainstream angekommen. Bestsellerautor Nicholas Sparks („The Notebook“) lässt in seinem neuesten Roman seinen geläuterten Bad-BoyHelden bei MMA-Kämpfen Aggressionen abbauen; Ronda Rousey, JudoOlympiamedaillengewinnerin und weibliches MMA-Idol, durfte auf der Couch von Ellen DeGeneres Schwäche zeigen und weinen, als sie schilderte, wie sie im November ganz gegen ihre sonsti-