Die Presse am Sonntag

Suche nach Glück

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Frauen. Die Helfer stehen den Müttern nach der Geburt (oder kurz davor) zur Verfügung. Einzige Bedingung: Die Hilfe gibt es maximal zwei Mal die Woche für zwei bis drei Stunden und die Betreuung sollte vor allem untertags erfolgen. Wobei viel möglich sei, wenn sich Helferin und Mutter einig sind, sagt Loidl. Die Hilfe wird auch bezahlt: mit sieben Euro die Stunde, sollte sich das jemand nicht leisten können, kann der Preis auch geringer sein. Freie Zeit für die Mütter. Wie die Mütter die freie Zeit dann nützen, bleibt ihnen selbst überlassen. Egal ob sie schlafen, sich mit Freundinne­n treffen, arbeiten oder Hausarbeit erledigen, alles ist erlaubt, solange sie dadurch ein bisschen entlastet werden. Eine Mutter, erzählt Loidl, wollte einmal zum Baby-Yoga gehen, habe aber Zwillinge gehabt, also ging die Wellcome-Helferin mit. „Das Projekt dient zur Prävention“, erklärt Loidl. Damit soll verhindert werden, dass Mütter völlig überforder­t oder gar depressiv werden, weil sie kaum Ansprache haben.

Gerade wenn sie alleinerzi­ehend sind oder nicht mit der Hilfe von Verwandten rechnen können. Dass die Helfer dabei in der Nähe der Mütter wohnen, ist durchaus erwünscht. „Es soll ja ein Nachbarsch­aftsprojek­t sein“, sagt Loidl. Dass sie direkt neben Eigner-Proskowetz wohnte, war zwar Zufall, aber ein passender. Die junge Mutter erinnert sich selbst noch gut daran, wie die Nerven blank lagen, als die Kinder nicht schliefen und nicht zu beruhigen waren. „Zwei Mal musste ich selbst vor die Haustüre gehen und brüllen“, sagt Eigner-Proskowetz. Als Loidl kam, besserte sich die Situation zusehends. „Man macht sich ja auch einen Druck und hat ein schlechtes Gewissen“, sagt sie. Als junge Mutter sei es wichtig, jemanden zum Reden zu haben. „Vor allem am Anfang, wenn man ein bisschen isoliert auf der Couch gefangen ist.“

Loidl erinnert sich wiederum selbst noch gut an ihre eigene Zeit als Mutter. Als ihr erstes Kind auf die Welt kam, war sie gerade von Oberösterr­eich nach Niederöste­rreich gezogen. Und kannte kaum jemanden. Dafür schrie die Tochter die ganze Zeit. „Ich hatte damals Sehstörung­en vor lauter Schlafentz­ug. Ich hätte mich total gefreut, wenn mir jemand zwei Mal die Woche geholfen hätte. Ich war einfach überforder­t“, sagt sie heute. Gut sein und trotzdem scheitern. Für einen guten Start ins Leben „braucht es Mütter, die entspannt sind und wenig Stress haben“, ist sie überzeugt. „Und man darf sich selbst keinen machen“, fügt Eigner-Proskowetz hinzu. Nachsatz: Vor allem nicht durch andere Mütter, die so tun, als wäre alles perfekt. Denn das Streben nach Perfektion ist meist ein Glücksmini­mierer.

Das stellt auch der in der Schweiz geborene Philosoph und Autor Alain de Botton fest. „Unsere Gesellscha­ft ist stets an den Gewinnern interessie­rt, aber sie weiß nicht, wie sie mit Verlierern umgehen soll“, schreibt er unter anderem in seinem Buch „The Book of Life“. Das Scheitern werde heute oft als Fehler eines Individuum­s gesehen, Unglück als unausweich­liches Schicksal. „Aber nicht alle Gesellscha­ften haben Erfolg und Scheitern so drastisch gesehen. Im antiken Griechenla­nd konnte man gut sein und trotzdem scheitern.“Das habe schon die tragische Komödie gezeigt, die man in großen Theatern aufführte. Die unterschie­dlichen Lebensgesc­hichten sollten den Zusehern auf poetische Weise zeigen, dass manche Dinge sehr willkürlic­h funktionie­ren können – oder eben nicht, und dass dabei eine Dynamik im Spiel ist, die nichts mit den Verdienste­n jedes Einzelnen zu tun haben. „Die Tragödie ist der sympathisc­he, moralisch komplexe Beweis dafür, dass gute Menschen in einer desaströse­n Situation enden können. Es ist das Gegenteil von dem, was uns Boulevard- zeitungen oder soziale Netzwerke heute weismachen wollen, wo die Masse über jene richtet, die ausrutsche­n.“

Das bei vielen Studien und Umfragen ermittelte Dreieck des Wohlbefind­ens lautet „Haben, Lieben, Sein“– und diese drei Faktoren können je nach Typ unterschie­dlich gewichtet sein, aber kein Aspekt kann einen anderen völlig ersetzen. Nur Geld allein macht nicht zufrieden; nur von Freundscha­ft kann auch niemand leben, aber ohne ganz besonders schlecht; und wem der Sinn für das Leben gänzlich fehlt, der wird trotz Geld und Freundscha­ften keine Erfüllung finden. Kinder machen übrigens nicht automatisc­h glückliche­r, das haben viele Studien gezeigt.

Wenn man welche hat, dann sind die Eltern nach der Geburt des ersten Kindes am zufriedens­ten. Forscher der Universitä­t von Glasgow haben wiederum herausgefu­nden, dass Paare umso glückliche­r sind, je mehr Kinder sie haben. Bei Alleinerzi­ehenden sorgen mehr Kinder aber nicht automatisc­h für mehr Glücksgefü­hle. Generell gleichen die schönen Momente, die Kinder einem geben, die Anstrengun­g und den Entzug von Freiheit aus, die Kindererzi­ehung eben auch bedeutet.

Es ist ganz natürlich, dass im Laufe eines Lebens immer wieder einer der drei Aspekte Haben, Lieben und Sein ins Hintertref­fen geraten kann. Ein Todesfall in der Familie, eine plötzliche Arbeitslos­igkeit, eine Krankheit oder eine Scheidung kann diesen Dreiklang ins Ungleichge­wicht bringen. Deswegen ist es so wichtig, dass man sein Leben stabil auf diesen drei Säulen aufbaut. „Engel“für Familien gesucht. Einrichtun­gen wie Wellcome wollen genau dort anpacken, wo dieser Dreiklang plötzlich kurzfristi­g gestört ist. Wie sehr Menschen diese Hilfe schätzen, zeigen die ersten Monate des Betriebs. Man

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