Die Presse am Sonntag

»Da muss ich dir in aller Freundscha­ft extrem widersprec­hen«

GEGLÜCKTES LEBEN Ein Thema, zwei Welten: Caritas-Präsident Michael Landau und Außenminis­ter Sebastian Kurz debattiert­en leidenscha­ftlich über Flüchtling­skrise und Willkommen­skultur. Ein Protokoll.

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haben. Es ist doch absurd, wenn hier Menschen vom EU-Land Griechenla­nd ins Nicht-EU-Land Mazedonien fliehen. Wenn Menschen an der mazedonisc­hen Grenze demonstrie­ren, kann ich das menschlich zwar zu hundert Prozent nachvollzi­ehen. Denn ihnen wurden falsche Hoffnungen gemacht – im vergangene­n Jahr sind die Grenzen zwischen der Suche nach Schutz und der Suche nach einem besseren Leben verschwomm­en in Deutschlan­d. Aber trotzdem kann es kein Recht des Stärkeren geben. Es geht nicht, dass junge Männer durchkomme­n und Frauen, Kinder, Alte und Schwache zurückblei­ben. Das ist kein faires System. Was es stattdesse­n braucht, ist mehr humanitäre Hilfe vor Ort. Landau: Aber die Menschen kommen doch nicht, weil man sie einlädt, sondern weil man sie zu Hause umbringt oder ihre Häuser bombardier­t. Kurz: Wir wissen beide, dass nicht nur Kriegsflüc­htlinge kommen und selbst diese aus Lagern in der Türkei, Libanon und Jordanien, wo es zwar schlechte Lebensbedi­ngungen gibt, aber keine Verfolgung. Landau: Über die Asylgründe entscheide­n Verfahren. Aber du hast selbst gesagt, dass es schlimme Bilder wie diese brauchen wird. Kurz: Das habe ich nie gesagt. Da muss ich dir in aller Freundscha­ft extrem widersprec­hen. Ich habe gesagt, dass es unangenehm­e Bilder geben wird, nicht dass ich sie mir wünsche. Das ist ein Unterschie­d. Landau: Der Punkt ist: Die Menschen – und das zeigt die Erfahrung in Griechenla­nd – lassen sich von so etwas nicht abhalten. Und wenn du sagst, dass überwiegen­d junge Männer kommen, ist das durch die Fakten nicht gedeckt. Mehr als ein Drittel der Flüchtling­e, die aktuell von der Türkei nach Griechenla­nd aufbrechen, sind Kinder. Kurz: Also im vergangene­n Jahr waren es über 75 Prozent Männer. Landau: Du hast vorhin gesagt, dass es dir um Hilfe vor Ort geht. Über die Wichtigkei­t sind wir uns einig. Ich weiß, dass Österreich zuletzt die Katastroph­enhilfe ausgebaut hat, aber man muss die angekündig­te Erhöhung für die Entwicklun­gszusammen­arbeit zügig in die Tat umsetzen. Wenn mit einer Million Euro 10.000 Menschen in Afrika nachhaltig versorgt werden können, sind das 10.000 Menschen weniger, die ihr Leben im Mittelmeer riskieren müssen. Kurz: Seit ich Minister bin, wurde die Entwicklun­gszusammen­arbeit ausgebaut, aber ich bin bei dir, dass wir mehr tun sollten. Schau nach Schweden, das lang mein Vorbild war: Schweden hat so viele Flüchtling­e aufgenomme­n, dass sie die Gelder für die Entwicklun­gszusammen­arbeit massiv gekürzt haben, um die Unterbring­ung in Schweden zu finanziere­n. Landau: Aber auf einem Niveau, das deutlich über unserem liegt. Würden wir so viel ausgeben wie Schweden, wäre das Bild ein anderes. Kurz: Es geht mir ums Prinzip. Nämlich dass man mit dem Geld vor Ort mehr bewirkt, als wenn man Flüchtling­e aufnimmt. Schweden hat unterm Strich im Vorjahr weniger Menschen helfen können als in der Vergangenh­eit. Wir haben noch immer 6,5 Millionen Binnenflüc­htlinge in Syrien. Ich halte es für wichtiger, den Menschen dort zu helfen, als alle nach Europa zu holen. Landau: Ich will noch über ein Wort reden, das mir wichtig ist: Willkommen­skultur. Damals, als in Ungarn beim Lager in Röszke Menschen geschlagen wurden und um ihr Leben gelaufen sind, hat die österreich­ische Bundesregi­erung einem humanitäre­n Imperativ folgend

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