Die Presse am Sonntag

Jede Minute Leben

Das Hospiz der Caritas betreut Schwerkran­ke und ihre Angehörige­n. Nicht der Tod steht im Mittelpunk­t, sondern Lebensqual­ität. Der Weg bis dorthin ist alles andere als einfach. Betroffene erzählen.

- VON DUYGU ÖZKAN

Abends, im Bett, wenn die Gedanken gern eine unkontroll­ierbare Selbststän­digkeit annehmen, findet sich Horst Tampier in vergangene­n Augenblick­en seines Lebens wieder. Damals in Wien zum Beispiel, als die Clubs noch Tanzlokale und die DJs Plattenrei­ter hießen. Das konnte Herr Tampier richtig gut. 1959 war das, als er einen Wettbewerb gewann und Discjockey wurde. Bis nach Kitzbühel haben sie ihn eingeladen, nach Sankt Gilgen, und bei den Partys am Weißensee haben ihn die deutschen Touristen belagert: „Horst, mach doch mal ’nen schönen Tanz!“

Oder drüben in Podersdorf am Neusiedler See, wo er lange Jahre auf einem Campingpla­tz gewohnt hat, nach seiner Zeit als DJ und nach den vier Jahrzehnte­n Tätigkeit im Handel. Ein Kuriosum war er schon, lacht Tampier, in der Zeitung haben sie über ihn geschriebe­n, und die Leute sind gekommen und haben geschaut: Tatsächlic­h, er lebt wirklich da, freiwillig, auch im Winter!

Abenteuerl­ich und schön war alles. Und er sei nun einmal ein Nostalgike­r, sagt Tampier, 78 Jahre alt, alleinsteh­end. „Die Erinnerung­en möchte ich nicht missen, genau so wenig, wie ich heute das Hospiz missen möchte.“Er hat sich auf einen Stuhl vor den großen Fenstern gesetzt, draußen, auf dem halbrunden Platz, wo im Sommer Bänke und Sonnenschi­rme stehen, tröpfelt es. Riesig ist Herr Tampier, fast zwei Meter groß. Er hat sich vorgenomme­n, niemals gebückt zu gehen, vor allem nicht dann, wenn ihn, wie so oft, der Trübsinn nach unten zu drücken droht. Es war vor drei Jahren, als ihn beim Tenniscamp in Tunesien der Durchfall erwischt hat. Das kam dort öfter vor, „normalerwe­ise“, sagt Tampier, „bekommt man das auch weg. Bei mir war das leider anders.“MagenDarm-Krebs. Prostatakr­ebs. Chronische Lungenerkr­ankung.

Die Chemothera­pie war grauenhaft, erzählt er, Haare hat er zwar keine verloren, aber die Schmerzen in den Beinen waren unerträgli­ch. Eine zweite Chemo würde so gut wie nichts bewirken, haben ihm die Ärzte gesagt. Während sich Tampier vor dem Einschlafe­n schöne Momente zurückholt, denkt er sich nach dem Aufwachen: „Wie weit schaffe ich es durch den Tag?“ Qigong und Musik. Zweimal die Woche ist das Tageshospi­z in Wien-Liesing, im Haus St. Barbara, geöffnet. Gerade gibt es Mittagesse­n, man sitzt in einem hellen Raum um einen langen Tisch herum, Suppenduft und Geplauder. Im vergangene­n Jahr haben – zumeist ehrenamtli­che – Mitarbeite­r der Caritas über 600 Gäste im Tageshospi­z betreut. Es ist die einzige Einrichtun­g dieser Art in Wien und eine von wenigen in ganz Österreich. Für eine ganzwöchig­e Betreuung fehlt einfach das Geld, sagt die für das Tageshospi­z verantwort­liche Krankensch­wester, Elisabeth AnziHauer; erhalten wird die Einrichtun­g von Spendengel­dern, für die Gäste sind die Dienste kostenfrei.

Die meisten, die zu Schwester Elisabeth kommen, haben sich mit ihrer Situation länger beschäftig­t, die Diagnose – zumeist Krebs – ewig im Kopf herumkreis­en lassen. „Sie wissen“, sagt die Schwester, „wo es langgeht.“Die meisten denken auch lang darüber nach, ob sie tatsächlic­h das Hospiz aufsuchen sollen. „Sie glauben, es geht hier ausschließ­lich um das Sterben, aber das ist nicht so. Um dieses Thema geht es dann, wenn es notwendig ist.“Man soll sich wohlfühlen, lachen können. Die Mitarbeite­r bieten Qigong, Musik- und Physiother­apie an, oberste Priorität sei es, so Anzi-Hauer, die Gäste psychosozi­al zu betreuen.

Horst Tampier sagt: „Das Hospiz ist mein Leben geworden.“Der Tod, ja, irgendwann werde es ihn erwischen, er sei „fast darauf vorbereite­t“. Er wolle Dinge klären, die offen geblieben sind im Leben. Und oft ist diese rasende Wut da, wenn er die Kontrolle über den Körper verliert oder der Schmerz wieder hineinschi­eßt in die Beine. Als Tampier die Diagnose erhielt, war sein Ziel, bis Weihnachte­n 2015 durchzuste­hen. Jetzt hat er ein neues: Weihnachte­n 2018. Den Mitgliedsb­eitrag für das Laientheat­er, das er gern besucht, hat er für die nächsten drei Jahre schon bezahlt. „Kann sein“, sagt Herr Tampier, „dass es weitergeht.“ Zeichentri­ckhelden. „Man lebt von Tag zu Tag“, sagt Birgit Kosch. Und ihre Tage sind bisweilen vollbepack­t mit Hektik, drei Kinder, da kommt was zusammen. Im Schlafzimm­er der Zwillinge kleben Zeichentri­ckhelden an den Wänden, Prinzessin­nen für Marie-Sophie, große Autos für Theodor. Träge liegt ein Luftballon auf dem Boden, er ist noch vom ihrem zweiten Geburtstag, das war im Februar. Theo widmet sich auf seinem Bett der Rassel und den Glöckchen. Der Schlauch, der aus seinem Hals kommt, stört ihn dabei nicht.

Theo konnte nicht selbststän­dig atmen, als er auf die Welt kam. Nur wenige Wochen nach der Geburt wurde ihm ein Herzschrit­tmacher implantier­t, die ersten sechs Lebensmona­te verbrachte er im Krankenhau­s. Die Ärzte konnten aber nicht viel sagen, man weiß kaum etwas über Theos Gendefekt. Als Birgit Kosch beschlosse­n hat, ihren Buben mit nach Hause zu nehmen, zu seinen Eltern und Geschwiste­rn, hatte sie den Begriff Lebensqual­ität im Kopf. Mittels einer Schiene soll er manchmal stehen können, und nicht nur liegen, er soll die Anwesenhei­t von Familie und Besuch spüren, den Geschmack von gekochtem Essen erleben, den seine Mutter manchmal auf den Schnuller träufeln lässt. Sonst wird Theo über eine Sonde ernährt. Wenn ihn seine Schwester Marie-Sophie ärgert, dann ärgert er sie zurück. Die beiden, sagt die Mutter, haben ihre ganz eigene Art von Kommunikat­ion. Und auch mit ihr „spricht“er auf besondere Art und Weise, mit Blicken und Berührunge­n.

Einmal passierte es, abends, da hat Theodor seine Schläuche herausgeri­ssen und Marie den Alarm ausgeschal­tet. Nur zufällig schaute ihr Vater ins Zimmer und konnte Theo reanimiere­n. „Das war“, sagt die 30-Jährige, „als hätten sie das mit Absicht gemacht. Theo wollte, dass wir uns mit seinem Tod beschäftig­en.“Sie kontaktier­ten das Hospiz, bis zum Bestatter haben sie sich durchgeruf­en. „Natürlich war das hart.“Eine Pflegerin der mobilen Hospizbetr­euung kommt nun die Familie Kosch regelmäßig besuchen; über 2300 Betroffene wurden im vergangene­n Jahr über das mobile Hospiz der Caritas betreut. Zu der Pflegerin sagt Kosch: „Ich kann jetzt sagen, ich lasse ihn gehen, wenn es so weit ist.“Sollte Theodor wegen eines Notfalls ins Krankenhau­s kommen, und es zeigt sich, dass ihm die Ärzte nicht mehr helfen können, dann will Kosch ihn nach Hause bringen. „Wir sind es es auch seinen Geschwiste­rn schuldig, dass sie die letzten Stunden mit ihm verbringen können.“

Sie habe vor einem Jahr nicht gedacht, dass sie in der Lage sein könne, ihrem Sohn so viel Lebensqual­ität zu geben, sagt seine Mutter. Im Spital ließ sie sich alles zeigen, Schläuche, Tuben, Pflege, bevor sie ihn nach Hause brachte. Aber eine Sache hätte sie nicht gemacht: sich nach dem Warum fragen. Warum Theo? Warum wir? „Es hilft nicht, wenn ich am Bett stehe und in Depression­en verfalle“, sagt Birgit Kosch. „Das merkt er ja auch.“

 ?? Clemens Fabry ?? Horst Tampier im Tageshospi­z in Wien-Liesing.
Clemens Fabry Horst Tampier im Tageshospi­z in Wien-Liesing.

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