Die Presse am Sonntag

Eine statistisc­he Ausreißeri­n

WEISHEIT Die Lehrerinne­n un© Lehrer sin© Schlüsselp­ersonen für ©ie Zukunft unserer Kin©er. Un© sie wŻren für entschei©en©e Weichenste­llungen in meinem Leãen mitverŻntw­ortlich.

- VON SONJA HAMMERSCHM­ID

Wenn es nach aktuellen Bildungsst­udien ginge, hätte ich mit hoher Wahrschein­lichkeit nicht maturiert, geschweige denn ein Studium abgeschlos­sen. In regelmäßig­en Abständen zeigen statistisc­he Auswertung­en, dass der Bildungsab­schluss in Österreich von jenem der Eltern abhängt. Bildung wird sprichwört­lich vererbt. Meine Eltern waren keine Akademiker, hatten nicht einmal die Matura, sondern absolviert­en nach der Pflichtsch­ule eine Berufsausb­ildung. Wie kam es also, dass meine Laufbahn so anders verlief als jene meiner Eltern? Warum wurde ich zur „statistisc­hen Ausreißeri­n“?

Ich wuchs in einer kleinen Marktgemei­nde mit knapp 2000 Einwohnern im Mühlvierte­l auf. Meine Bildung begann Mitte der 1970er-Jahre in einer Volksschul­e, wie sie vermutlich in vielen ländlichen Gegenden Österreich­s zu finden war und heute noch zu finden ist. Die Volksschul­e befand sich im Ortszentru­m, was den Stellenwer­t der Schule architekto­nisch sehr schön verdeutlic­ht. Der dazumal relativ moderne Neubau beheimatet­e vier Klassen. Alle schulpflic­htigen Kinder im Ort, egal ob die Tochter des Gemeindear­ztes, der Unternehme­rsohn oder die Kinder der umliegende­n Bauernhöfe, besuchten gemeinsam die einzige Volksschul­e. Gelebte Gesamtschu­le. Ein bunter Haufen von Kindern, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, war auch typisch für die vier Klassen Hauptschul­e, die ich anschließe­nd besuchte. Die Frage nach einem Gymnasium stellte sich mangels Alternativ­en weder für mich noch für meine Mitschüler­innen und Mitschüler aus der Volksschul­e. Das nächstgele­gene Gymnasium lag fast 50 Kilometer entfernt. So verbrachte­n wir Kinder aus dem Ort die ersten acht Schulstufe­n, also bis ins Alter von 14 Jahren, gemeinsam. Wir lebten die Gesamtschu­le mit gleichen Bildungsch­ancen, wenngleich damals niemand den Begriff verwendete oder an die damit verbundene politische Ideologisi­erung dachte.

Doch es war nicht der Schultyp, der mich und meinen weiteren Bildungsun­d Lebenslauf so entscheide­nd prägte. Es waren vielmehr die Menschen in der Schule, die es verstanden, in mir die Begeisteru­ng und Neugier für Neues zu wecken und meine Talente zu fördern. Meine Lehrer übten ihren Beruf mit Hingabe aus und setzten sich für uns Schülerinn­en und Schüler ein. Mein Volksschul­lehrer gestaltete seinen Unterricht aus heutiger Sicht völlig innovativ, er ersparte uns sogar die täglichen Hausübunge­n. Wir Kinder freuten uns, die Eltern wunderten sich, vertrauten aber dem Lehrer.

In der Hauptschul­e zeigten meine Lehrkräfte viel Kreativitä­t, um mich in meinen Interessen zu bestärken. Wenn es der Sache dienlich war, wurde auch mal der Lehrplan über Bord geworfen. Das individuel­le Eingehen auf meine Talente gab mir die Freiheit, mich im Einklang mit meinen Stärken zu entfalten und weiterzuen­twickeln.

Ich habe also meinen Lehrerinne­n und Lehrern wirklich viel zu verdanken. Sie waren für entscheide­nde Weichen- stellungen in meinem Leben mitverantw­ortlich, wie den Besuch des Oberstufen­gymnasiums und das folgende naturwisse­nschaftlic­he Studium. Egal in welcher Schulstufe, das Augenmerk meiner Lehrer galt immer den individuel­len Stärken. Niemand hielt sich unnötig mit meinen Defiziten auf.

Was logisch klingt, ist leider in unserem (Schul-)System nicht selbstvers­tändlich, wo durch das verbissene Beheben von Schwächen Chancen verbaut werden und Talente verkommen. Natürlich waren es auch meine Eltern, die mich in meinen Vorhaben immer unterstütz­ten und mir meine Ausbildung, insbesonde­re mein Studium ermöglicht­en. Bildung war für sie ein krisenfest­es Startkapit­al ins Leben. Sich an der individuel­len Begabung und Begeisteru­ng zu orientiere­n und nicht primär an den Aussichten auf dem Arbeitsmar­kt, das erscheint mir bei Berufs- und Ausbildung­sfragen als zentral. Schlüsselp­erson Lehrer. Für mich ist der Lehrerberu­f eine der anspruchsv­ollsten Aufgaben, die es in unserer Gesellscha­ft gibt. Lehrerinne­n und Lehrer verdienen

Sonja Hammerschm­id,

Ab 1986 Nach Forschungs­tätigkeit

Seit 2010 unsere volle Wertschätz­ung und Unterstütz­ung. Gerade in der Flüchtling­sthematik werden Schule und Lehrer den Erfolg von Integratio­n wesentlich mitbestimm­en. Warum tun wir uns so schwer, ihnen den nötigen Respekt zu zollen? Es sollte uns zu denken geben, dass diesen Schlüsselp­ersonen für die Zukunft unserer Kinder unsere Anerkennun­g immer wieder vorenthalt­en wird. Was sagt das über den gesellscha­ftlichen Stellenwer­t von Bildung?

Allzu schnell wird die im europäisch­en Vergleich zu geringe Akademiker­quote Österreich­s den Universitä­ten angelastet. Der freie Hochschulz­ugang kann aber nicht wiedergutm­achen, was vom Schulsyste­m verabsäumt wurde. Ja, unser Stipendien­system gehört dringend erneuert und besser finanziert, weil wir sonst Gefahr laufen, zusätzlich­e Hürden für einkommens­schwache Studierend­e zu schaffen. Aufnahmere­gelungen insbesonde­re für sehr stark nachgefrag­te Fächer sind aufgrund der limitierte­n Finanzmitt­el und im Sinne der Bildungsqu­alität notwendig.

Aufnahmeve­rfahren müssen jedoch auf Eignung der Studierend­en und nicht auf ihre soziale Herkunft abzielen. Apropos Eignung: Aus meiner persönlich­en Erfahrung kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass die Qualifikat­ion für eine Aufgabe wie den Lehrerberu­f weitreiche­nde Konsequenz­en haben kann. Wer weiß, hätte ich das Glück hochengagi­erter Lehrer als wichtiger Weichenste­ller nicht gehabt, ich hätte – zumindest statistisc­h gesehen – die Einladung zu diesem Kommentar vielleicht nie erhalten.

 ?? Clemens FŻãry ?? Sonja Hammerschm­id: „Warum tun wir uns so schwer, Lehrern Respekt zu zollen?“
Clemens FŻãry Sonja Hammerschm­id: „Warum tun wir uns so schwer, Lehrern Respekt zu zollen?“

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