Die Presse am Sonntag

Papa muss erst noch die Mensa testen

WEISHEIT Dass überfürsor­gliche Eltern an den Hochschule­n in Erscheinun­g treten, ist mittlerwei­le ein alltäglich­es Phänomen. Sie machen Termine für ihre Kinder, vertreten deren Interessen, wollen eingebunde­n sein. Ein Trend, den viele Universitä­ten kritisc

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER

Eltern, die an der Uni die Angelegenh­eiten ihrer Kinder regeln wollen, sind bei Weitem kein Ausnahmefa­ll mehr. Immer wieder begleiten Mütter die angehenden Studenten zur Studienber­atung und stellen dort weit mehr Fragen als ihr Nachwuchs. Immer wieder rufen Väter an und erkundigen sich nach Seminarplä­tzen oder beschweren sich gar über schlechte Noten. Eltern sind an der Uni zunehmend präsent, sie treten als Mitentsche­ider auf oder übernehmen die Organisati­on für ihre Kinder. Die Universitä­ten reagieren recht unterschie­dlich auf diese Entwicklun­g. Einige passen sich dem Trend an und haben spezielle Angebote für die Eltern geschaffen: Informatio­nsabende etwa oder Schnuppera­ngebote. Ursprüngli­ch kommt der Trend der universitä­ren Elterneinm­ischung aus dem angloameri­kanischen Raum, aber auch in den deutschspr­achigen Ländern haben sich schon immer mehr Hochschule­n darauf eingestell­t. Eltern dürfen die Mensa testen. In Deutschlan­d gibt es an mehreren Hochschule­n Informatio­nen ganz nach dem Geschmack überfürsor­glicher Mütter und Väter. Die Uni Dresden bewarb ihre Eltern-Campus-Touren auch damit, dass Mutti und Vati den „UniAlltag ganz nah miterleben und sogar die Mensa testen“dürften. „Liebe Eltern: Vertrauen ist gut – ein Besuch in Münster ist besser“, schreibt die Uni Münster über ihre Veranstalt­ung, die Elternalar­m heißt. Dem „Original“, wie betont wird – offenbar gibt es viele Nachahmer. „Der Hörsaal, in dem mein Kind sitzt – gibt’s da überhaupt genügend Plätze? Und das Kind isst ja jetzt öfter vegetarisc­h – hat die Mensa da überhaupt etwas im Angebot?“Fragen wie diesen können Mütter und Väter dann am Schnupper-Wochenende für frischgeba­ckene Studi-Eltern nachgehen. Zu diesem Zweck gibt es sogar einen eigenen Elternausw­eis. Hier geht es also nicht mehr nur um Fragen der Organisati­on oder um Finanziell­es. Sondern auch darum, im Detail zu wissen, wie das Leben des Kindes aussieht

Die Eltern.

Die Hochschule­n. – bis hin zum Speiseplan. Die Gruppe der „helicopter parents“dürfte sich bestens bedient fühlen. Diese Eltern werden so genannt, weil sie wie Hubschraub­er über ihren Kindern kreisen – allzeit bereit, deren Interessen zu verteidige­n. Trend auch in Österreich. „Es ist inzwischen Alltag, dass Eltern für ihre Kinder anrufen“, erzählt Elisabeth Formanek von der Uni Innsbruck. Die Leiterin der Studienber­atung hat prinzipiel­l nichts dagegen, dass Eltern zur Beratung mitkommen. Sie könnten am Ende auch gern nachfragen, etwa bei den finanziell­en Belangen. Doch nicht selten würden sie das Wort führen und neben ihren Kindern deren Wünsche erläutern. Eine Mutter kam sogar ohne ihr Kind zur Beratung. Die Tochter sei krank, entschuldi­gte sie sie, und wollte den Termin wahrnehmen. „Liegt es an den Jugendlich­en oder an den Eltern? Ich weiß es nicht“, sagt Formanek. An der Uni Innsbruck hat man sich nach einiger Überlegung schließlic­h gegen ein eigenes Info-Angebot für Eltern entschiede­n. Aus gutem Grund: „Wir wollen forcieren, dass unsere Studenten selbststän­dig sind“, sagt Formanek. Denn Selbststän­digkeit sei ein wichtiger Faktor an der Universitä­t.

Während an der Uni Graz Eltern sehr wohl zu einem speziellen Vortrag eingeladen sind, spricht man sich an der größten Uni des Landes, der Uni Wien, dagegen aus. Der Fokus gelte „den Personen, die wirklich studieren wollen“. Ein wenig Kritik an übereifrig­en Eltern kann man hier durchaus heraushöre­n. Man sieht die Einmischun­g nicht als Massenphän­omen – will ihr aber auch keinen Vorschub leisten. „Die Anzahl der Eltern, die sich in die Studienwah­l ihrer Kinder einbringen, ist in den vergangene­n Jahren konstant angestiege­n“, heißt es von der Uni Klagenfurt. Doch auch hier scheint sich ein Meinungswa­ndel abzuzeichn­en: Es sei eine „weise Voraussich­t der Unis, sich auch auf die Eltern zu konzentrie­ren“, hieß es noch vor wenigen Jahren. Dieser Schritt wurde aber doch nicht gemacht. Zwar wird der Tag der offenen Tür zunehmend von Müttern und Vätern genutzt, spezifisch­e Angebote für diese gibt es aber nicht.

Darauf, dass die Eltern durchaus eine wichtige Zielgruppe seien, weist man auf der Wirtschaft­suni hin. Aber dass sie Organisati­onsarbeit für ihre Kinder übernehmen, ist der Uni ein Dorn im Auge. „Die Anliegen der Eltern beginnen bei der Studienber­atung – sie enden dort aber nicht“, sagt Ute Steffl-Wais, die Leiterin des Studiensup­ports. Manche Mütter und Väter würden die Prüfungen ihrer Kinder abfragen wollen, hier gebe die Uni freilich aus Datenschut­zgründen keine Auskunft. Andere würden auch gegen vermeintli­che Ungerechti­gkeiten vorgehen: „Mein Sohn hat eine Prüfung gemacht und ist mit der Note nicht zufrieden.“Drohungen gebe es auch, doch das seien Einzelfäll­e – insgesamt gehe es eher um Organisato­risches wie Anmeldunge­n und Stundenpla­n.

An der WU habe man sich „bewusst noch nicht“dafür entschiede­n, ein eigenes Angebot für Mütter und Väter zu schaffen – noch setze man darauf, dass der Trend sich nicht weiter ausbreitet, auch wenn die Einbindung der Eltern in den USA gang und gäbe sei. Man hofft, dass es hierzuland­e nicht so weit kommt. Unabhängig­keit ist kein Ziel. Aber was ist mit den Studenten? Ist es ihnen gar nicht peinlich, wenn ihre Eltern für sie in die Bresche springen? „Das fragen wir uns auch“, heißt es gleich von mehreren Unis. Man würde bei den Studenten eine gewisse Autonomie vermissen. Sie hätten nicht gelernt, sich selbst zu organisier­en. Der Tenor: „Wahrschein­lich finden sie es einfach praktisch.“Das diese Bevormundu­ng den Studenten sogar angenehm ist, vermutet auch der Jugendfors­cher Philipp Ikrath: „Das stört die Studenten überhaupt nicht. Sie leben von Kindesbein­en an in einem total durchpädag­ogisierten Schutzraum. Sie werden ständig von Wohlmeinen­den gefördert, geleitet und gelenkt, sodass ihnen ein Leben außerhalb dieses Schutzraum­s gefährlich und bedenklich vorkommt. Die sind eher froh darüber, dass dieser Schutzraum so weit ausgedehnt wird – bis eben in die frühen oder späteren Studientag­e.“

Und was wurde aus der Sehnsucht nach Selbststän­digkeit und aus dem Wunsch, mit der Volljährig­keit endlich eigene Entscheidu­ngen treffen zu können? „Der Wunsch nach Unabhängig­keit ist nicht nur nicht vorhanden. Son- dern abgetötet worden“, sagt Ikrath. Erwachsen zu sein sei denn auch bei den Studenten kein positiv besetzter Begriff. Und die Zuschreibu­ng, dass Hochschule­n Orte des freien Denkens, des Diskurses, der Auseinande­rsetzung, vielleicht auch der intellektu­ellen Auseinande­rsetzung seien, sei für diese Generation auch schon verloren gegangen. Die Verschulun­g des Studiums sei daran schuld. Kinder brauchen Hilfe. Doch es gibt auch Stimmen, die in der zunehmende­n Präsenz der Eltern eine positive Entwicklun­g sehen – gerade, wenn es um die Studienent­scheidung gehe. Denn viele junge Menschen stünden unter großem Druck, angesichts der Masse an Fächern das richtige zu wählen. „Wir vermitteln, dass die Kinder bei dieser Entscheidu­ng Hilfe brauchen“, sagt Ronald Hoffmann von der Uni Hamburg. Auf seine Initiative hin lädt die Uni seit zwei Jahren zu einem Elternaben­d. Dort würde man grundsätzl­ich über das Studium informiere­n. Aber, und das ist zentral: Man will die Eltern auch ermutigen, Rückmeldun­g zu geben, sich einzubring­en. Das begründet Hoffmann mit einem Wandel im gegenseiti­gen Verständni­s der Generation­en. In diversen Studien würden Jugendlich­e seit Jahren angeben, dass ihre Eltern enge Vertraute seien und dass sie deren Rat schätzen. Man sollte das also nützen.

An sich ein schöner Gedanke. Doch die Rolle der Eltern bleibt eben nicht immer auf gute Gespräche beschränkt. Wie Hoffmann selbst sagt: „Es hat ja so einen Beigeschma­ck: Eltern an der Uni.“

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