Die Presse am Sonntag

»Der klassische Karrierety­p ist ein Auslaufmod­ell«

Eine große Unsicherhe­it kennzeichn­et die Studenten heute, sagt Jugendfors­cher Philipp Ikrath. Sie wollen vor allem unabhängig sein.

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER

Ganz prinzipiel­l: Haben die Studenten heute Angst vor der Zukunft? Ich würde das nicht Angst nennen, das ist zu konkret. Was die Studenten aber ganz stark miteinande­r verbindet, ist das Gefühl einer großen Unsicherhe­it. Es entsteht daraus, dass die Vergangenh­eit als Lehrmeiste­r ausgedient hat und die Zukunft als weites, unübersich­tliches Feld wahrgenomm­en wird, in dem es wenig Orientieru­ngspunkte gibt. Planen die Studenten quasi als Gegenmaßna­hme ihr Leben und ihre Karriere? Nicht das ganze Leben, aber das Studium. Sie wachsen unter der Ideologie auf, dass man jederzeit seine Chancen ergreifen muss, flexibel und mobil sein muss. Und sie wissen: Lebensplän­e, wie es sie früher gegeben hat, gehen heute nicht mehr auf. Trotzdem sind sie sehr zielstrebi­g und wollen den Erfolg, würde ich jetzt einmal sagen. Was ist das für ein Erfolg, den sie wollen? Geld? Selbstverw­irklichung? Macht? Grob vereinfach­t gibt es unter den Studenten drei verschiede­ne Typen. Der klassische Karrierist, dem es um Geld, Statussymb­ole und eine steile Karriere geht, wirkt auch für die Ambitionie­rten wie ein Auslaufmod­ell – weil die meisten die dafür notwendige Planung und Kontinuitä­t nicht mehr wollen. Der zweite Typus ist der postmateri­elle Nachfolger des Hippies. Ihm geht es vor allem um Selbstverw­irklichung, um Weiterentw­icklung. Er studiert sein Fach mit einem gewissen gesellscha­ftspolitis­chen Anspruch und will die Welt zu einem besseren Ort machen. Und der dritte Typus? Dieser ist ganz stark projektori­entiert. Er studiert nicht, weil das Studium selbst für ihn von Bedeutung ist, sondern weil er weiß, dass er eines braucht. Er ist weder an der großen Karriere noch an der postmateri­alistische­n Selbstverw­irklichung ausgericht­et. Was er will, ist Autonomie. Er möchte sich im Leben von niemandem

Philipp Ikrath,

Seine Schwerpunk­te

Gemeinsam abhängig machen. Er träumt davon, sich kreativ selbst zu verwirklic­hen, hat aber keinen kritischen Blick auf die Welt. Er ist, was das Gesellscha­ftssystem betrifft, sehr affirmativ. Dieser Typus wird meiner Ansicht nach in der Zukunft an Bedeutung gewinnen. Es gibt also wenig Idealismus. Aber hedonistis­ch sind die Studenten auch nicht, oder? Wir leben in einer paradoxen Situation: Im Berufslebe­n und mittlerwei­le auch im Studienleb­en gilt dieses protestant­ische Mäßigungsi­deal: Man muss disziplini­ert sein, muss sich anstrengen, Leistung zeigen. Davon getrennt ist die Freizeitid­entität. An den Wochenende­n ist man Konsument, feierwütig­es Partybiest. Aber mir kommt vor, dass das keine befreite Ausgelasse­nheit ist, sondern dass nach Stundenpla­n gefeiert wird. Die Spontaneit­ät fehlt. Auch weil der Druck so stark ist? Der Druck spielt sicher auch eine entscheide­nde Rolle, sowie der Umstand, dass Bologna den Studierend­en schon sehr enge Zeitpläne aufzwingt. Dazwischen ist wenig Platz für das, was man früher Muße genannt hätte. Aber ist dieser Druck real? Bei diversen Erhebungen sieht man, dass Studenten nicht wahnsinnig viel Zeit für die Uni aufwenden. Der Druck ist sehr real, weil man das Leben als Ganzes sehen muss. Die meisten Studenten arbeiten nebenbei, um Geld zu verdienen, ihr soziales Kapital zu verbessern, einen besseren Berufseins­tieg zu haben. Hier nur auf das Studium zu fokussiere­n ist zu wenig. Warum beginnt man heute eigentlich ein Studium? Weil man will – oder muss? Das Wollen impliziert eine freie Entscheidu­ng der Menschen. Aber unter kontrollge­sellschaft­lichen Rahmenbedi­ngungen fallen Wollen und Müssen zusammen. Menschen werden nicht wie früher gezwungen, sondern in eine gewisse Richtung gestupst. „Nudging“heißt das jetzt.

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