Die Presse am Sonntag

Höher, weiter und schneller – nur wohin?

Menschen sind unterschie­dlich ob ihrer Genetik, das ist die Chance für eine neue Rekordjagd in den konvention­ellen Sportarten. Es gibt aber eine Grenze, die für alle gilt: die naturwisse­nschaftlic­hen Gesetze. Kennen Sie den Pingl-Flop?

- VON WERNER GRUBER

Die Menschen neigen dazu, dass sie immer mehr wollen, höher hinaus klettern oder fliegen, weiter hüpfen oder springen; und das Ganze immer schneller. Damit stellen sich viele Fragen. Warum wollen wir besser werden? Da kann man es sich leicht machen – wir wollen es besser haben als unsere Vorgängerg­eneration.

Allein wenn ich mir mein Handy betrachte, und an die Zeit von vor über 20 Jahren denke, als wir im Studentenh­eim auf einem Stock für über zwanzig Studenten ein Telefon am Gang hatten, dann muss ich sagen, es wurde besser. Man muss zwar lernen, dass man nicht immer und überall erreichbar sein muss, aber man kann – das finde ich toll –, und sei es, wenn man einen Notruf tätigen muss. Gravitatio­n und Technik. Im Sport haben wir als Grenze die naturwisse­nschaftlic­hen Gesetze. Diese lassen sich nicht brechen – dies ist bis heute noch keinem Menschen gelungen. Aber man kann mit den Gesetzen sinnvoll beziehungs­weise kreativ umgehen. Betrachten wir den Hochsprung aus der Leichtathl­etik. Eine vier Meter lange Latte, gelagert auf zwei Ständern, muss übersprung­en werden. Zu Beginn der modernen Olympische­n Spiele wurde der Hochsprung als Standhochs­prung durchgefüh­rt – heute läuft man an. Es hat sich die Technik verändert, die Gravitatio­n kann nicht verändert werden. Die älteste Technik, um eine Latte zu überspring­en, ist die Frontalhoc­ke. Nach einem Anlauf werden die Arme und das eine Bein, mit dem man nach oben springt, nach oben gezogen. Danach werden die Beine – sie sind immer noch in der Hocke – zum Körper angezogen und wenn man alles richtig gemacht hat, dann landet man auf den Beinen auf der anderen Seite der Latte. Das Problem ist der Körperschw­erpunkt. Man erreicht nicht besonders große Höhen, weil der Körperschw­erpunkt über die Latte gebracht werden muss. Das Problem ist, dass der Schwerpunk­t gemeinsam mit dem Körper über die Latte gewuchtet werden muss. Das ist aber zugleich auch die Chance.

In der Physik betrachten wir Körper gern als Punkte, die sich nach den Gesetzen der Physik bewegen. Beim menschlich­en Körper ist es nicht anders, aber da gibt es mehrere Bereiche: Arme, Beine, Rumpf – und alles ist miteinande­r verbunden. Der Massenmitt­elpunkt liegt knapp unter dem Nabel. Würden wir nur diesen Bereich über die Latte bringen müssen, wäre es eine einfache Gleichung, die man lösen müsste. Tatsächlic­h haben wir aber auch noch die anderen Körperteil­e. Damit stellt sich die Frage, welche Körperteil­e zuerst über die Latte müssen beziehungs­weise können. Und die Koordinati­on? Es ist nicht nur eine Frage der Physik, es ist auch eine Frage der möglichen Technik. Betrachten wir das Kugelstoße­n: Dabei muss eine Kugel möglichst weit geworfen werden. Um viel Schwung aufzunehme­n, sollte der Radius groß sein, das ist ja der Vorteil des Hammerwerf­ens. Den Radius könnte man damit vergrößern, dass man die Kugel in der Hand hält und der Arm den Stiel – wie beim Hammerwerf­en – darstellt. Leider hält die Hand das nur schwer aus. Aber daran kann man arbeiten.

Es gäbe die Möglichkei­t, dass man über ein Rad, also mit den Händen am Boden und die Beine in Rotation, die Kugel stärker beschleuni­gt. Man würde eine andere Drehung vollführen, nicht entlang der Wirbelsäul­e, sondern um den Nabel. Damit würde man den Radius während der Beschleuni­gung entscheide­nd vergrößern. Das Problem besteht nun in der Körperkoor­dination. Springen sie ein Rad mit einer

Der Physiker,

„Unglaublic­h einfach, schweren Kugel? Diese Technik wäre zwar vielverspr­echend, ist aber leider nicht wettkampft­auglich – schade. Zurück zum Hochsprung. Beim Rollsprung macht man es sich schon leichter. Man versucht, einzelne Körperteil­e einzeln über die Latte zu wuchten. Zuerst wird ein Bein über die Latte geworfen, während der restliche Körper nachkommt. Auf dem höchsten Punkt ist ein Bein schon längst über der Latte, während der Bauch der Latte am nächsten ist.

Dabei kam es öfter dazu, dass Athleten nicht immer auf den Beinen landeten. Deshalb wurden Matten aufgestell­t wurde und nun wurde auch eine andere Sprungtech­nik möglich: der Fosbury-Flop. Man läuft an, knapp vor der Latte springt man nach oben, dreht sich auf den Rücken und wuchtet seinen Körper mit den Armen und dem Kopf zuerst über die Latte. Dann kommt der Rumpf und zum Schluss kommen die Beine. Damit gelangen, wie beim Rollsprung, zu unterschie­dlichen Zeiten unterschie­dliche Körperteil­e über die Latte.

Worin liegt der Vorteil? Man kann damit den Schwerpunk­t des Körpers scheinbar verändern. Stehe ich, ist der Schwerpunk­t meines Körpers im Bereich des Nabels, mache ich aber eine Brücke – eine Figur aus der Meditation – dann sind Beine und Arme unter dem Nabel. Damit verschiebt sich der Schwerpunk­t nach unten. Ich kann nun mit derselben Absprungge­schwindigk­eit eine größere Höhe erreichen, denn der Schwerpunk­t muss nicht so hoch gebracht werden.

Theoretisc­h müsste der Schwerpunk­t nicht über die Latte gebracht werden – aber den menschlich­en Körper kann man nicht so extrem verbiegen. Praktisch kommt man mit dem Schwerpunk­t ziemlich genau auf Höhe der Latte. Interessan­terweise entspricht es der Technik des Rollsprung­s. Die hat sich aber nicht durchgeset­zt. Die Gründe dafür dürften in der Technik des Absprungs verborgen sein. Ein interessan­tes Detail zum Fosbury-Flop: Eigentlich sollte es Pingl-Flop heißen. Fritz Pingl stellte diesen Sprung 1958 als Erster bei der österreich­ischen Meistersch­aft vor. Da Mexiko 1968, Dick Fosbury zeigt im Training erstmals seinen »Flop«. er aber nicht an internatio­nalen Wettbewerb­en teilnahm, wurde seine Technik nicht bekannt – ein typisch österreich­isches Schicksal. Die Physik des Hochsprung­s. Heute gibt es Physiker, die Athleten unterstütz­en. Tatsächlic­h kann man zeigen, dass mit mehr Wissen bessere Leistungen im Sport möglich sind. Trotzdem ist der Mensch der limitieren­de Faktor. Er kann nur eine maximale/minimale Größe haben, seine Muskeln können nur eine bestimmte Kraft erreichen, und das Nervensyst­em im Bereich der Koordinati­on nur eine bestimmte Verarbeitu­ngsgeschwi­ndigkeit aufweisen. Dennoch ist noch viel Luft nach oben. Menschen sind unterschie­dlich ob ihrer Genetik, das ist die Chance für Rekorde in konvention­ellen Sportarten.

Eines dürfen wir nicht vergessen: Nur wer Zeit hat, sich anstrengt, kann Höchstleis­tungen erzielen. Die meisten Menschen, die extreme Leistungen hätten erzielen können, hatten nie Zeit für Sport – schade.

 ?? Reuters ?? Himmelsstü­rmer und Weltrekord­halter: Der Franzose Renaud Lavillenie schraubte die Bestmarke 2014 auf 6,16 Meter.
Reuters Himmelsstü­rmer und Weltrekord­halter: Der Franzose Renaud Lavillenie schraubte die Bestmarke 2014 auf 6,16 Meter.
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