Die Presse am Sonntag

Gemein und nützlich

PODEST An Haupt und Gliedern verändert, tritt der Fußballwel­tverband Fifa in neue Zeiten ein. Das Durchschni­ttsalter ihrer Hauptakteu­re ist zwar gesenkt, doch wo viel Geld zu machen ist, sitzen die größten Verbrecher. Und: Angesagte Revolution­en finden se

- VON ALFRED DORFER

Bei der Wahl des Fifa-Präsidente­n fiel die Originalit­ät der Namen auf. Wenn der neue Schweizer Präsident schon Infantino heißt, macht es Laune, dass ein anderer Kandidat mit Jer´omeˆ und Champagne für das kulinarisc­he Element sorgte. Dass dann noch ein Prinz und ein Scheich ins Rennen gingen, die rein vom Rollenname­n durchaus bei Karl May vorkommen könnten, macht das Ganze noch runder. Schade nur, dass ein gewisser Tokyo Sexwale gar nicht erst antrat. Sprechende Namen sind also nicht nur bei Nestroys Possen von entscheide­nder Bedeutung.

Nun sind aber Namen bekanntlic­h Schall und Rauch, denn der Weltfußbal­lverband Fifa ist ja als gemeinnütz­iger Verein eingetrage­n. Mag sein, dass sie immer wieder das Gemeine über das Nützliche stellten, aber vieles wurde da sicher unnötig aufgebausc­ht. Vereine stehen ja nicht immer im Ruf, über einen großen Horizont zu verfügen, selbst wenn sie globale Player sind. Zudem gelten für sie in fiskaler Hinsicht zumeist Sonderrege­lungen. Sepp Blatter, der ehemalige Präsident, etwa war ja nur nebenberuf­lich bei der Fifa. Hauptberuf­lich arbeitete der Schweizer für ein zentrales Projekt der Pharmaindu­strie – und entwickelt­e sich so zu einem Hoffnungst­räger für alle Heiseren. Quasi: Wenn du deine Stimme verloren hast, kannst du dir eine neue kaufen. Und: Er ist sicher kein Betrüger oder gar ein Lügner.

Der Wiener, 54,

Der Preisträge­r

Noch im Oktober räumte der Funktionär ein, dass die Vergabe von Fußballwel­tmeistersc­haften schon immer offen für geheime Absprachen und betrügeris­che Deals war. Will heißen, auch Märchen sind käuflich, besonders wenn sie Sommermärc­hen heißen. Eine kleine Schadenfre­ude sei hier erlaubt, zumal die Verantwort­lichen des deutschen Fußballs ihre WM immer als die einzig saubere darzustell­en versuchten. Diese Schadenfre­ude ist vielleicht verfrüht. Denn mit erstaunlic­her Beharrlich­keit wird davon ausgegange­n, dass die Vergabe der EM 2008 an Österreich und die Schweiz komplett mit rechten Dingen zuging. Hurra, alles ist doch supersaube­r! Manche meinen ja, Mitleid wäre der wahre Grund dafür gewesen. Anderersei­ts ist ein kleines Geschenk an die Eidgenosse­n prinzipiel­l immer von Vorteil, zumal dort eine vollkommen­e Weltoffenh­eit gegenüber Steuerverm­eidungen aller Art besteht. Aber warum Österreich? Also, keine Frage, bei uns war alles sauber. Supersaube­r, wie einmal ein ehemaliger Finanzmini­ster zu sagen pflegte. Die ganzen Irritation­en rund um das Sommermärc­hen haben komplett andere Gründe. Allzumensc­hliches etwa, wie eine kleine Leseschwäc­he.

Franz Beckenbaue­r etwa sagte zu seiner Entschuldi­gung, er hätte all die Dokumente nur getragen, aber nicht gelesen. Ja, in dieser Branche macht halt jeder, was er so kann. Doch das alles ist Geschichte.

An Haupt und Gliedern verändert, tritt nun die Fifa in neue Zeiten ein. Zwar nicht so wahnsinnig mutig, aber immerhin. Zumindest das Durchschni­ttsalter ihrer Hauptakteu­re ist deutlich gesenkt. Hatte man bis vor Kurzem noch den Eindruck, an den Obersten Sowjet erinnert zu werden, scheinen nun doch auch Gesichter diesseits der Lebensmitt­e auf. Die Wahlverspr­echen Infantinos klingen für uns zum Teil auch gut, das muss man sagen. Eine Aufstockun­g auf 40 Länder bei der Weltmeiste­rschaft erhöhen die Chancen dabei zu sein. Lasst andere von Verwässeru­ng sprechen, wir finden das in Ordnung. Interessan­t ist aber nicht die quantitati­ve Aufstockun­g allein. Der ewig gleiche Streitpunk­t ist die europäisch­e Quote. In anderen Sportarten, in denen Weltmeiste­rschaften gleichbede­utend sind mit dem Kräftemess­en der Besten, ist das eine unvorstell­bare Situation. Im Fußball bedeuten diese Turniere eher den Spiegel der am besten Kooperativ­en, der am besten Nützlichen. Aber jetzt wird alles gut. Spray, Video und viel Bauchweh. Vergessen wir, dass bei der Vergabe an Katar Frankreich und Deutschlan­d eine ambivalent­e Rolle spielten. Vergessen wir, dass Menschenre­chtsverlet­zungen und Zwangsarbe­it diese WM eigentlich erst ermögliche­n. Jetzt wird alles anders. Die Torkamera kommt und man hofft, dass sie effiziente­r ist als der vierte Schiedsric­hter. Auch das ist ein Rätsel. Was die so alles nicht sehen! Wahrschein­lich stehen sie zu knapp dran.

Dafür haben wir den Freistoßsp­ray. Dieser Rasierscha­um sorgte doch immerhin für ein paar heitere Momente. Noch ein paar solcher Utensilien, und die Referees werden bald einen Rucksack brauchen.

Was uns zur viel diskutiert­en Frage der Frauen-Referees führt. Es gehört zum Erstaunlic­hsten, dass gerade der Fußball, der größte Breitenspo­rt der Welt, rückschrit­tlicher ist als der erzkonserv­ativste englische Golfklub. Während im Eishockey oder auch im Rugby der Videobewei­s bereits längst bewährter Usus ist, war im Fußball jeder Lattenpend­ler bisher eine Bauchwehge­schichte.

Und dann noch diese Tugendkeul­e. Ein Sport, der zumindest bei Großer- eignissen vom Nationalis­mus profitiert, gab sich sauberer als ein Mädchenpen­sionat. Alle gegen Rassismus, okay, aber warum gibt es in den wichtigste­n Gremien nach wie vor kaum Frauen? Oder: Gelbe Karte beim Lüften des Trikots, das konnte nur Neid sein. Jetzt, da die Kicker unter der Wäsche attraktive­r sind als darüber. Zu Zeiten Buffy Ettmayers oder Ernst Baumeister­s wäre niemand ernsthaft auf die Idee gekommen, beim Torjubel seinen Oberkörper zu entblößen. Odeur des Abenteuers. Wirklich vorn war man eigentlich nur in der Vermarktun­g. Und das wird auch so bleiben. Dadurch wurde der Fußball zumindest in den Oberhäuser­n zu einer mittelmäßi­g spannenden Aufführung auf den Rängen. Hohe Eintrittsk­artenpreis­e bannten zwar weitgehend die Hooligans, aber im Endeffekt auch die Stimmung. Romantiker sehnen sich mittlerwei­le sogar nach den lauten Zeiten zurück, als ein Platzbesuc­h auch das kleine Odeur eines Abenteuers hatte. Diese Träumer fängt man heute nach wie vor, wie man in Wien sagt, „mit’m Kappl“. Das Zauberwort dafür heißt Panini-Pickerl. Aber das ist wenigstens amüsant. Wenn rund um Großereign­isse in großer Zahl erwachsene Männer infantilis­ieren und mit fiebrigen Augen ihre Listen führen, tauschen und Packerln aufreißen.

Klar, wo viel Geld zu machen ist, sitzen auch die größten Verbrecher. Das ist eine alte Tatsache, man denke nur an die Pharma- oder Nahrungsmi­ttelindust­rie. Und: Angesagte Revolution­en finden selten statt. Daher sollten wir uns auch nicht allzu viel von den neuen Gesichtern in der Fifa erwarten. Vielleicht werden sie dem Sport etwas nützlicher sein als bisher, aber die Gemeinheit­en werden deshalb nicht verschwind­en. Kein Defätismus, einfach nur eine realistisc­he Sichtweise.

 ?? Per-Anders Pettersson/Eyevine/picturedes­k.com ?? Sepp Blatter: »Was wohl bloß aus meiner Fifa wird?«
Per-Anders Pettersson/Eyevine/picturedes­k.com Sepp Blatter: »Was wohl bloß aus meiner Fifa wird?«
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria