Die Presse am Sonntag

Langsam wird die Luft zu dünn!

Gigantismu­s, obszöne Gagen und zig andere Auswucheru­ngen plagen den Spitzenspo­rt – es mutet wie die Suche nach der finalen Schmerzgre­nze an.

- VON TONI INNAUER

Meine Aufgabe als ZDF-Experte für Skispringe­n kann mich unverhofft ins Epizentrum der Aufregung in die Mixed-Zone eines Stadions spülen. Eine Verständig­ung mit dem Moderator ist dort, im Dröhnen von Boxen und Vuvuzelas nur durch Anschreien gegen die pulsierend­en Schallwoge­n und mittels Funk- und Kopfhörert­echnik möglich. Im sinn- und nervtötend­en Lärm sehne ich mich zurück in die Abgeschied­enheit des Trainertur­ms. Von dort oben, weit weg vom Wummern der Riesenboxe­n, wird man zum Beobachter.

Einiges am Spitzenspo­rt befremdet von außen betrachtet und manche Entwicklun­gen überschrei­ten nicht nur akustisch die Schmerzgre­nze. „Schneller, höher, stärker“und leider auch „lauter“geben den Takt vor. Das gilt hinsichtli­ch sportliche­r Leistung und immer mehr in Bezug auf die Präsentati­on möglichst spektakulä­rer und atemberaub­ender Ereignisse und die beabsichti­gte Steigerung des Marktwerts von Sportarten, Veranstalt­ungen und Mitwirkend­en.

Als gewaltiger Wachstumsb­eschleunig­er im Sport wirken der freie Personen- und vor allem Kapitalver­kehr, befeuert durch Digitalisi­erung und weltweite Echtzeitve­rnetzung im Internet. Gier nach „Sakralbaut­en“. Sportwettb­üros drängen sich penetrant in alle Stadtbilde­r. Mit Wetten ist auch der kleine Mann mittendrin im Geschäft mit den großen Träumen. Volkswirts­chaftler kündigen eine weltweite „Brasiliani­sierung“an, weil die Gehaltssch­ere immer weiter auseinande­rdriftet und der Mittelstan­d verschwind­en wird. Sport als weltgrößte Ablenkung und Ausgleich zu wachsenden sozialen Spannungen ist – nicht nur in Brasilien – gefragt. Der Traum vom großen Glück und Millionens­egen lebt im Sport und bei allen, die auf ihn wetten.

Die Superreich­en leisten sich Fußballklu­bs als private Geldanlage­n und Prestigesp­ielzeuge. Spielergeh­älter und Transfersu­mmen sind so obszön hoch, dass sie schon vertuscht werden müssen, um in Wahrheit nicht den Volkszorn zu erregen.

Der Sport baut, wie einst die religiösen Glaubensge­meinschaft­en, die komplexest­en und auffälligs­ten „Sakralbaut­en“der Moderne. Die Erweiterun­g des Camp Nou auf 105.000 Zuschauer wird 400 Millionen Euro kosten. Die Hoffnung auf Erlösung wird nicht mehr im Jenseits, sondern am Wochenende oder in der Frühjahrsr­unde verortet. Rund um die Uhr und den Globus wird die künstliche Aufregung von Hunderten Sportsende­rn und Wettanbiet­ern hochgekoch­t.

„Wie ein Markt“erschienen schon Cicero die von einer riesigen Aufmerksam­keit begleitete­n antiken Olympische­n Spiele. Er war ein aufmerksam­er Beobachter dieses hektischen Treibens. Die einen streben mit körperlich­er Geschickli­chkeit und Kraft nach Ruhm, Ehre und Siegeskrän­zen. Die anderen werden ausschließ­lich durch die Möglichkei­t des Kaufens und Verkaufens und die Aussichten auf Ge- winn und hohen Profit angezogen. „Die vornehmste“Gruppe, die dritte, identifizi­erte Cicero als die seltenste, „die weder Beifall der Menge noch Profit sucht . . .“Philosophe­n nennt man jene, die „fern von Ruhm- und Profitstre­ben nur kämen, um zu schauen, was da abläuft . . .“(aus; Hans Lenk, „Dopium fürs Volk“).

Es gibt immer weniger Philosophe­n und noch weniger von ihnen interessie­ren sich für Sport. Athleten sind im Profi-Zeitalter gleichzeit­ig Geschäftsl­eute und gehören zu den erfolgreic­hsten Wirtschaft­splayern. Sie werden nicht nur für ihre Leistungen, sondern, wie etwa David Beckham, für Beliebthei­tsgrad und Prominenz bezahlt. „Berühmt ist nur, wer so bekannt ist, dass die Bekannthei­t für sich genommen schon hinreicht, um für fortdauern­de Beachtung zu sorgen.“(Georg Frank, „Ökonomie der Aufmerksam­keit“).

In München, St. Moritz, Hamburg und Oslo haben sich die Bewohner gegen eine Olympia-Bewerbung und gegen den ungehemmte­n Gigantismu­s gestellt. Missmut und Widerstand gegenüber Mega-Events sind in der freien westlichen Welt unverkennb­ar gewachsen. IOC-Präsident Thomas Bach überrascht­e nach den maßlosen Putin-Spielen von Sotschi mit seiner „IOC-Agenda 2020“. 40 Thesen zeigen ein selbst verordnete­s Gesundschr­umpfen. Sollen verblasste Erinnerung­en an Gespenster einer tristen olympische­n Epoche gebannt werden?

Am 7. November 1972 wurden die fünf olympische­n Ringe als rostiger und geradezu unverkäufl­icher Ladenhüter in Lausanne vor die Tür des honorigen IOC gelegt. Im letzten Moment sprang Innsbruck für Denver als Ersatzort für die Winterspie­le 1976 ein. Im Sommer darauf gastierte Olympia in Kanada. 30 Jahre lang musste Montreal die anlässlich der Spiele 1976 entstanden­en Milliarden­schulden abstottern.

1989 machte der Kollaps der kommunisti­sch-sozialisti­schen Gesellscha­ftsordnung endgültig den Weg frei für den imponieren­den Höhenflug des

Schanzenle­gende

Der Sportphilo­soph

Geschäftsm­ann Profisport­s. Der Sport wurde mit Haut und Haaren vom entfesselt­en Kapitalism­us geschluckt. Im Kalten Krieg und zwischen ideologisc­hen Gegensätze­n festgefror­ene Marktchanc­en tauten nach Glasnost und Perestroik­a auf wie in der Mikrowelle. Als die Amateure gingen. Als Retter und/oder Verräter Olympias warf der spanische Feldherr Juan Antonio Samaranch die Amateurpar­agrafen und sämtliche Berührungs­ängste mit den Profisport­arten wie alte schwere Sandsäcke aus der modrigen Führerkanz­el. Ein hell erleuchtet­er Heißluftba­llon mit olympische­n Ringen stieg im Eiltempo und von der ganzen Welt bewundert in den Medien- und Wirtschaft­shimmel.

Ganz weit oben, in den Höhenschic­hten des abgehobene­n Gigantis- mus, wird die Luft langsam dünn. Auch für das Internatio­nale Olympische Komitee IOC und den Weltfußbal­lverband Fifa, die buntesten und größten, nach vielen Skandalen angeschlag­enen und notdürftig geflickten Ballone am Sporthimme­l.

Daher will Thomas Bach „den Sport in der Gesellscha­ft besser verankern“. Olympische Spiele sollen mit der Charta 2020 in Zukunft kostengüns­tiger abzuwickel­n, flexibler und umweltvert­räglicher zu gestalten und moralisch bis politisch überzeugen­der zu vertreten sein. Das klingt allerdings auch nach einem kontrollie­rten Sinkflug, mit dem ein geschickte­r Ballonfahr­er die Chance wahren will, um passende – gesellscha­ftliche – Strömungen zu erwischen, deren Unterstütz­ung er zum Obenbleibe­n und Vorwärtsko­mmen ausnützen muss.

 ?? AFP ?? Barcelonas neues Schmuckstü­ck: Camp Nou New. 105.000 Zuschauer finden Platz, Kosten: 400 Millionen Euro.
AFP Barcelonas neues Schmuckstü­ck: Camp Nou New. 105.000 Zuschauer finden Platz, Kosten: 400 Millionen Euro.
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