Die Presse am Sonntag

Vom Ankommen und Bleiben

Wer Żus ©er Enge in ©ie Freiheit kommt, kŻnn ©er neuen Heimat viel zurückgeãe­n, Żãer Żuch Ressentime­nts mitãringen. Pl´©oyer für ein offenes Herz un© einen offenen Blick.

- VON DANIELLE SPERA

Vielleicht war es ein Glücksfall, dass ich 1938 aus diesem engen Österreich unter Zwang herausgeko­mmen bin und eine neue Welt kennenlern­te“, sagte Lord George Weidenfeld in einem Interview zu seinem 90. Geburtstag. Der 1938 aus seiner Heimatstad­t Wien vertrieben­e große britische Denker ist vor zwei Monaten gestorben. Weidenfeld hob – im Gegensatz zu Helmut Kohls politische­m Schlagwort – hervor, wie dankbar er für die „Gnade der frühen Geburt“war. Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriege­s geboren, betonte er Zeit seines Lebens, wie sehr ihn das Erlebnis der tiefen Brüche des 20. Jahrhunder­ts geprägt hatte.

Die jüdische Geschichte ist gekennzeic­hnet von Vertreibun­g, Verfolgung und Ermordung. Immer wenn Jüdinnen und Juden vertrieben wurden, versuchten sie, in einer neuen Umgebung Fuß zu fassen. Dabei ist es gelungen, die ei- gene Tradition und Sprache zu erhalten und gleichzeit­ig in der Welt der Aufklärung, der Wissenscha­ft, der Kultur zu reüssieren und das eigene kreative und intellektu­elle Potenzial umzusetzen. Das sichere Auftreten in den verschiede­nsten Kulturkrei­sen konterkari­erte das negative Stereotyp der christlich­en Volkssagen vom wandernden „ewigen“Juden, der dazu verdammt ist, unsterblic­h durch die Welt zu ziehen.

Menschen, die aus der Enge in die Freiheit kommen, können der neuen Heimat viel zurückgebe­n. Wien als Metropole des Habsburger-Reiches wurde Mitte des 19. Jahrhunder­ts durch die Gleichstel­lung, die Kaiser Franz Joseph ermöglicht­e, zum Anziehungs­punkt. Doch ist der Blick auf Wien als tolerante Weltstadt des Fin-de-Siecle` ein Mythos? Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die Zuwanderun­g aus dem Osten eine ungeheure Bereicheru­ng brachte. Dem haben die Nazis, auf dem Boden, der schon bereitet war, ein Ende gesetzt.

Heute wird viel darüber diskutiert, ob die große Einwanderu­ng nach Wien auf die aktuellen Migrations­bewegungen umgelegt werden kann. Idealerwei­se steht nicht die Bekehrung des anderen in den Mittelpunk­t, sondern Respekt und gegenseiti­ges Lernen, aber auch die Feststellu­ng von Unterschie­den und die Wahrung der eigenen Identität. Ein offenes Herz und gleich- zeitig ein offener Blick auf die Probleme, denen wir uns stellen müssen und vor denen auch jene Menschen stehen, die hier aufgenomme­n werden wollen.

„I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric, warum sogns’ zu dir Tschusch?“– mit diesen Plakaten sind wir aufgewachs­en. Inzwischen sind die Kinder und Enkelkinde­r der Zuwanderer aus ExJugoslaw­ien angekommen. Viele haben hier studiert, der sogenannte Migrations­hintergrun­d ist nicht mehr zu hören, und das, obwohl sie sich zu Hause meist in ihrer Mutterspra­che unterhalte­n. Ebenso wie sich nach 1956 die Flüchtling­e aus Ungarn in Österreich eine neue Heimat geschaffen haben. Nun gilt es, die Herausford­erung der jüngsten Zuwanderun­gswelle aus dem Nahen Osten anzunehmen.

Wie viel Heimat braucht der Mensch? In dem Programm, das die Leiterin der Vermittlun­gsabteilun­g des Jüdischen Museums Wien, Hannah Landsmann, entwickelt hat, sprechen wir mit den Menschen, die nun in Wien bleiben wollen und die oft mit Ressentime­nts gegenüber Andersgläu­bigen erzogen wurden, vom Reisen, vom Verlassenw­erden und Verlassen-Müssen, von Heimat und Exil, vom Ankommen und vom Bleiben. Dabei wird deutlich: Wer eine Geschichte hat, hat eine Heimat. Wer im Moment keine Heimat hat, hat auch eine Geschichte. Oder wie Joseph Roth schrieb: „Ach! die gemeine Welt denkt in herkömmlic­hen, faulen, abgegriffe­nen Schablonen. Sie fragt einen Wanderer nicht nach dem Wohin, sondern nach dem Woher. Indessen ist einem Wanderer doch das Ziel wichtig, und nicht der Ausgangspu­nkt.“

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Clemens FŻãry Danielle Spera vor dem Jüdischen Museum in der Dorotheerg­asse.

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