Die Presse am Sonntag

»Strache bleibt nicht in der Schmuddele­cke«

ZWISCHEN WELTEN Für Martin Schlaff zählt Stärke alles und Macht nichts. Der Milliardär über sein rotes Parteibuch, Freundscha­ften mit Rabin und Scharon, DDR-Geschäfte, neuen Antisemiti­smus, die Normalisie­rung der FPÖ – und einen Deal mit Haider.

- VON RAINER NOWAK UND CHRISTIAN ULTSCH

Den wahrhaft mächtigen Menschen erkennt man daran, dass er tiefstapel­t. Ich nehme an, Sie sind keine Ausnahme, wenn ich Sie jetzt frage: Wie mächtig sind Sie? Martin Schlaff: Jetzt müsste ich das Klischee, das Sie vorgeben, bestätigen. Stimmt. Ich glaube, dass es Macht in unserer Gesellscha­ft gar nicht mehr gibt. Ich erinnere mich, als ich als Kind mit meinen Eltern ins Passamt in der Juchgasse ging. Dort war man Bittstelle­r, wurde man von Beamten angeschrie­n, wenn man an die falsche Tür geklopft hat. Diese Beamten waren mächtig. Nicht wirklich, oder? Doch. Dafür gibt es den wunderbare­n alten hebräische­n Ausdruck „Eved ki jimloch“– „Wenn ein Knecht regiert“. Diese Beamten könnte man als Knechte bezeichnen in der Pyramide, in der Hackordnun­g. In diesen paar Stunden hatten sie Macht über die Menschen, die einen Pass brauchten. Das hat sich dramatisch geändert, quer durch die Gesellscha­ft und Familien. Es gibt zwei Psychologe­n: Haim Omer und Arist von Schlippe. Ihr Schlüsselw­erk heißt: „Stärke statt Macht“. Ihre These, die ich unterschre­ibe: In unserer Gesellscha­ft gibt es kaum mehr Macht, und deswegen verkraften Kinder keine Macht mehr. Was Sie sagen, gilt vielleicht für demokratis­che Gesellscha­ften. Ich glaube nicht, dass der Bundeskanz­ler mächtig ist, ich glaube nicht, dass der Passbeamte mächtig ist, und ich halte mich auch nicht für mächtig. Ich glaube schon, dass Sie einflussre­ich sind. Sie sind vermögend, kennen viele wichtige Leute. Sie können erreichen, was Sie sich vornehmen. Das ist Macht. Es ist sicher leichter für mich, Ziele zu erreichen. Ich bin privilegie­rt, wie auch immer es dazu gekommen ist. Heute schaffe ich es, dass mir der eine oder andere Mensch eher zuhört als einem anderen. Aber das ist nicht Macht. Das ist Stärke. Mächtig wäre jemand, der auch illegitime Ziele erreichen kann. Für mich ist Macht negativ besetzt. Wenn es so wäre, dass Politiker nicht mehr mächtig und vielleicht auch nicht stark sind, dann bröckelt die staatliche Autorität. Man kann heute nicht mehr auf Macht aufbauen, sondern nur noch auf echte Autorität. Politiker, die korrupt sind oder nicht authentisc­h oder jeden dritten Tag ihre Meinung ändern, verlieren ihre Autorität. Die Demokratie sorgt dafür, dass sie weggespült werden. Sehen Sie einen Autoritäts­verlust der politische­n Kaste? Das hängt von der Qualität der handelnden Figuren ab. Im vergangene­n halben Jahr hat Angela Merkel vielleicht an breitenwir­ksamer Anerkennun­g verloren. Davor aber hatte sie eine immense Autorität aufgebaut. Sie waren mit Gusenbauer befreundet. Bin ich noch. Ich schätze ihn sehr. Warum hat Gusenbauer damals als Bundeskanz­ler so schnell an Autorität verloren? Da tue ich mir schwer, weil das ins Persönlich­e geht. Alfred Gusenbauer hat es nach seinem Wahlsieg verabsäumt, das Liebesbedü­rfnis der Basis zu befriedige­n. War er zu abgehoben? Er hat sich darauf konzentrie­rt, sein Amt als Kanzler auszuüben, und sein Amt als Parteiobma­nn links liegen lassen. Das haben ihm viele Funktionär­e übel genommen. Das hat zu seinem Sturz geführt. Er wollte unbedingt Bundeskanz­ler werden. Und ich glaube, er wäre ein großartige­r Kanzler bis heute gewesen. Es geht das Gerücht, Sie hätten Gusenbauer damals geholfen, die SPÖ mit erhebliche­n Spenden zu sanieren. Stimmt das? Mich hat das noch nie jemand gefragt. Ich wusste auch nicht, dass es das Gerücht gibt. Aber die Antwort ist: Nein. Ist denn die SPÖ saniert? Einigermaß­en. Sie bezeichnen sich als Sozialdemo­krat. Waren Sie je aktiv in der Partei? Ich besitze ein Parteibuch. Seit wann? Als nach dem Innsbrucke­r FPÖ-Parteitag (und Jörg Haiders Wahl zum Parteiobma­nn; Anm.) Kanzler Franz Vranitzky 1986 die Koalition mit der FPÖ aufgekündi­gt hat, ohne den Parteivors­tand zu befassen, bin ich der Partei beigetrete­n. Dennoch nahmen Sie Jörg Haider später als interessan­ten Gesprächsp­artner wahr. Irgendwann einmal ist die Rechtsanwä­ltin Huberta Gheneff zu mir ins Büro gekommen. Sie hatte die Causa Haider von ihrem Kanzleikol­legen Dieter Böhmdorfer geerbt, der nun Justizmini­ster war. Es war ihr ein großes Anliegen, einen Vergleich mit Ariel Muzicant zu erreichen, der Haider geklagt hatte (Haider hatte bei der Aschermitt­wochsrede 2001 gesagt: „Ich verstehe überhaupt nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann“; Anm.). Gheneff meinte – apropos Macht –, dass mir Muzicant eher zuhört. Ich sagte ihr, das interessie­rt mich nur, wenn sich dadurch die Stimmung zwischen Österreich und den österreich­ischen Juden wesentlich verbessert. Ich konnte mir nur vorstellen, Muzicant von einem Vergleich zu überzeugen, wenn Haider die Restitutio­n unterstütz­t. Die Restitutio­n war schon in Verhandlun­g? Es wurde nicht wirklich verhandelt, die Bundesregi­erung und auch die Länder stiegen nicht darauf ein. Ich bat den Rechtsvert­reter der Kultusgeme­inde, Gheneff ein Memo zur Restitutio­n zu schicken. Nach 14 Tagen rief sie mich an und sagte mir, sie sei schockiert. Auch Landeshaup­tmann Haider betrachte es als Schweinere­i, wie die Republik mit geraubtem jüdischen Gut umgehe. Er werde die Restitutio­n unterstütz­en. Ich empfahl Muzicant den Vergleich. Haider hielt Wort. Bürgermeis­ter Häupl erzählte mir später, in der Landeshaup­tleutekonf­erenz habe er beim Thema Restitutio­n einen wirklichen Alliierten: Haider. Haider wollte sich irgendwann bei mir bedanken. Das konnte ich nicht ablehnen. So lernte ich ihn kennen. Ich hatte eher den Eindruck, Haider wollte mit der Restitutio­n das Image der schwarzbla­uen Regierung verbessern. Mein Eindruck war konträr. Haider war viel zu irrational und emotional, um irgendein pragmatisc­h sinnvolles Ziel zu erreichen. Ich denke, er hat an die Restitutio­n geglaubt. Wie sehen Sie die schwarz-blaue Regierung heute? Man kann Schüssel mögen oder nicht, aber er hat etwas bewegt. Das war gut für Österreich. Schüssel hat mir einmal voller Stolz gesagt: Sehen Sie, ich habe es geschafft, die kleinzumac­hen. Damit hat er die FPÖ gemeint. Dieses Lager. War das seine Motivation? Nein. Hat es nachhaltig gewirkt? Nein. Eines muss man aber schon sagen: Das dritte Lager ist seither und seit der Abspaltung des BZÖ keine homogene Gruppe mehr. In der FPÖ sind sicher ein paar Ewiggestri­ge, mit denen ich mich nie an einen Tisch setzen würde. Aber es gibt dort auch Leute, deren Wertesyste­m in Ordnung ist. Diese Entwicklun­g kam damals in Bewegung. Das wird auch gut sein für Österreich. Die FPÖ und Strache bleiben nicht in der Schmuddele­cke. Das merkt man schon jetzt. Strache äußert sich in einer Art und Weise, die ich unterschre­iben könnte. Sie gehen also davon aus, dass die FPÖ demnächst an der Regierung ist? Erstens ist die Große Koalition, wenn man sich die Sonntagsfr­agen anschaut, nicht mehr mehrheitsf­ähig. Zweitens erwarte ich, dass sich die FPÖ zum Positiven entwickelt. In ein paar Jahren wird die FPÖ einfach irgendeine Partei sein. Mit Strache würden Sie sich also an einen Tisch setzen. Ich bin im Vorstand des Vereins Österreich Hilfsberei­t – die Not von Flüchtling­en geht nicht an mir vorbei. Gleichzeit­ig müssen wir uns vor Augen halten, was diese Menschen mitbringen. Wir haben schon mit den Türken eine neue Form des Antisemiti­smus importiert. Das sah man im Sommer 2014, als ein paar türkische Hooligans es lustig fanden, Fußballer von Maccabi Haifa bei einem Freundscha­ftsmatch in Bischofs-

Familie.

Osthandel.

Unternehme­r. hofen zu attackiere­n. Wer eine Ahnung hat, was in syrischen, irakischen oder afghanisch­en Schulbüche­rn steht, weiß, dass mit der Migration auch eine gewaltige Welle des Antisemiti­smus über uns hereinbrec­hen kann. Das heißt nicht, dass wir Flüchtling­e abweisen sollen. Aber wir müssen zumindest darüber nachdenken, wie wir handeln. Strache ist der Einzige, der das aufgezeigt hat. Es gab auch andere. Strache war der Erste. Es wäre arrogant und zynisch, ihm zu unterstell­en, dass er bloß salonfähig werde wolle. Ich kenne Norbert Steger, einen wirklichen Liberalen, sehr gut. Ich weiß, dass Strache aus der Burschensc­hafterecke für seine Israel-Reise und israelfreu­ndliche Äußerungen attackiert wurde. Das ist kein Populismus. Das glaubt Strache wirklich. Ich hätte mir gewünscht, dass jemand aus meiner Partei solche Worte gefunden hätte. Ich muss Ihnen sagen, ich geniere mich für die SPÖ, wenn die Regierung über die Terroropfe­r in einem koscheren Pariser Supermarkt lediglich sagt, sie seien zur falschen Zeit am falschen Platz gewesen. Aber ich werde deswegen nicht die FPÖ wählen. Wie kam es dazu, dass Sie sich unter Schwarz-Blau nach dem Abzug des israelisch­en Botschafte­rs für eine Normalisie­rung der Beziehunge­n zu Israel einsetzten? Wolfgang Schüssel bat mich darum. Ich hielt es auch für richtig. Es lag kein ausreichen­der Grund für einen Abbruch der Gesprächsb­asis vor. Deshalb habe ich mit Ariel Scharon gesprochen. Und Scharon hat dann auch eine Normalisie­rung eingeleite­t, wenn auch mit etwas Zeitverzög­erung. Wie war Scharon? Extrem vielschich­tig. Ein Frontoffiz­ier, ein Held, gleichzeit­ig ein großartige­r Violinspie­ler, der die Autorität seiner Mama immer akzeptiert hat. Nach dem Unabhängig­keitskrieg bot man ihm bereits mit 16 oder 17 an, Berufsoffi­zier zu werden. Seine Mutter erlaubte es unter zwei Bedingunge­n: Erstens durfte er nicht aufhören, Violinstun­den zu nehmen. Zweitens musste er nebenbei ein Jus-Studium absolviere­n. Wann sahen Sie ihn zuletzt? Eine Weile vor seinem Schlaganfa­ll.

 ?? Clemens Fabry ?? Martin Schlaff vor dem Fahrrad Theodor Herzls im Jüdischen
Museum.
Clemens Fabry Martin Schlaff vor dem Fahrrad Theodor Herzls im Jüdischen Museum.

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