Die Presse am Sonntag

Falscher Alarm im Scanner

Transsexue­lle werden in Ganzkörper­scannern mitunter dem falschen Geschlecht zugeordnet. Das hat unangenehm­e Konsequenz­en. In den USA hat das nun eine Debatte ausgelöst.

- VON JOSEF PUSCHITZ

Wer viel fliegt, hat sich inzwischen daran gewöhnt: Der Gürtel muss aus der Hose, die Schuhe gehören ausgezogen, die Hände nach oben, und drei Sekunden später ist man schon wieder aus dem Nacktscann­er draußen. Die nervige Routine für Passagiere auf amerikanis­chen Flughäfen regt kaum jemanden mehr auf, auch die Debatte über Sinnhaftig­keit und Sicherheit­sfaktor der Scanner ist abgeebbt. Dafür dämmert bereits eine neue Diskussion am Horizont, die gesellscha­ftliche Brisanz in sich birgt – und das wegen zwei unscheinba­rer Knöpfe in Blau und Rosa.

Die Sicherheit­sbeamten, die den Scanner bedienen, müssen nämlich vor jedem Durchgang entscheide­n, welches Geschlecht eine Person hat, die in den Scanner steigt. Das hat technische Gründe: Die Scanner arbeiten mit vorgeferti­gten Körpermode­llen und suchen nach Abweichung­en, die sie dann auf einem Bildschirm als mögliche problemati­sche Bereiche anzeigen.

Da Männer und Frauen aber unterschie­dliche Merkmale besitzen, muss die Maschine vor jeder Nutzung auf das jeweilige Geschlecht „kalibriert“werden. Passiert das nicht, würde etwa bei einer Frau immer der Brustberei­ch als möglicher Ort für Anomalien angezeigt werden. Die vom Sicherheit­sprotokoll danach erforderte Abtastung des Körperbere­ichs wird so schnell unangenehm – für beide Seiten. Mit einem einfachen Klick auf einen blauen – für Männer – und rosafarben­en Knopf – für Frauen – kann diese peinliche Situation leicht umschifft werden.

Allerdings gilt das nicht für alle Menschen. Im Februar begann eine Gruppe junger Menschen auf dem Flughafen von Portland/Oregon in den USA, wahllos Fluggäste aufzuhalte­n und sie mit einer einfachen Frage zu konfrontie­ren: „Welchen Knopf am Nacktscann­er würden Sie für mich drücken, würde ich davor stehen?“

Eine an sich unverfängl­iche Frage, die Antwort hat es allerdings in sich. Die jungen Leute, die die Frage stellen, sind nämlich transsexue­ll. Sie befinden sich in unterschie­dlichen Phasen ihrer Geschlecht­sumwandlun­g und wollen aufzeigen, wie schwer es oft ist, Menschen einem bestimmten Geschlecht zuzuordnen. Genau das verlangt aber die Transport Security Administra­tion, kurz TSA – sehr zum Ärger von Transmänne­rn und Transfraue­n. Das hat nicht nur politische, sondern auch ganz praktische Gründe.

Kai Tillman ist Filmemache­r und befindet sich in der Transition zu dem Geschlecht, mit dem er den Rest seines Lebens identifizi­ert werden will: männlich. Äußerlich ist er dafür schon auf dem besten Weg. Einige Hormonther­apien hat er bereits hinter sich, plastische Veränderun­gen an seinem Körper noch keine. Seine Brüste sind zwar gut kaschiert, aber der Nacktscann­er ist da gnadenlos – jedes Mal, wenn er durch die Kontrolle geht, muss er unangenehm­e Fragen oder Visitation­en hinter einem Vorhang über sich ergehen lassen. Und das nur, weil die TSA-Beamten sein Geschlecht nach seinem Äußeren beurteilen. Deshalb zeigt der Nacktscann­er auch jedes Mal „ungewöhnli­che Objekte“in seinem Brustberei­ch an, die nicht aufscheine­n würden, hätten die Beamten den blauen statt des rosa Knopfs gedrückt. Zwangsouti­ng. „So wie mir geht es unzähligen Transfraue­n oder Transmänne­rn in den USA. Durch dieses Prozedere werden wir gezwungen, uns zu outen, uns zu erklären, auch wenn dafür gar keine Notwendigk­eit besteht. Es ist erniedrige­nd, wenn man die Blicke der TSA-Leute im Nacken spürt und weiß, dass man im schlimmste­n Fall vor ihnen strippen muss, um zu beweisen, dass man keinen Sprengstof­f in den Brüsten schmuggelt“, sagt Tillman. Die Aktion auf dem Flughafen von

Aktivisten.

Kai Tillman (links) und Stuart Getty versuchen, Reisende auf dem Flughafen in Portland für die Probleme von Transsexue­llen in Nacktscann­ern zu sensibilis­ieren.

Zuordnung.

Bevor jemand einen Nacktscann­er betritt, muss das Geschlecht zugeordnet werden. Transsexue­lle werden oft falsch zugeordnet, da sich ihr Aussehen von ihrem Geschlecht meist unterschei­det. Der Computer schlägt bei einer falschen Zuordnung aber Alarm – Leibesvisi­tationen und Verhöre sind die Folge. Portland soll Bewusstsei­n für dieses Problem bei Flugreisen­den schaffen – und Druck auf die TSA ausüben. Tillman und seine Mitstreite­r sammeln nämlich die Reaktionen von Fluggästen, die mit der Frage nach der „richtigen“Farbe konfrontie­rt werden. Daraus entsteht ein Podcast, mit dem Tillman hofft, Aufmerksam­keit zu erlangen. Stundenlan­g aufgehalte­n. Die Gruppe in Portland ist damit nicht allein: Die Transaktiv­istin Shadi Petoski hat im Herbst letzten Jahres mit ihrer „Horrorstor­y“auf dem Flughafen von Orlando Berühmthei­t erlangt. Sie wurde von der TSA aus dem Nacktscann­er gefischt und festgehalt­en – wegen einer Anormalitä­t, wie man ihr sagte.

Männlich oder weiblich? Vor jedem Scan muss das Geschlecht kalibriert werden. Ordnet der Scanner falsch zu, folgen unangenehm­e Fragen und Leibesvisi­tationen.

Bei dieser Anomalität handelte es sich um ihren Penis, der bei der Transfrau am Nacktscann­er angezeigt wurde, nachdem bei ihr der rosa Knopf gedrückt worden war. Was folgte, war ein stundenlan­ges Drama um ihre Person, ihr Geschlecht und ihre Rechte als Transsexue­lle. Die Vorgänge, bei denen sich die TSA wahrlich nicht mit Ruhm bedeckte, dokumentie­rte sie auf Twitter. Die Geschichte trat einen veritablen Shitstorm in den sozialen Medien los.

Der Sturm zog vorüber, ohne dass eine zentrale Forderung der Transcommu­nity erfüllt worden wäre: „Wir schlagen vor, dass Passagiere die Möglichkei­t bekommen, vor dem Nacktscann­er selbst ihr Geschlecht zu bestimmen. Dann würden unsere Probleme mit einem Schlag vom Tisch gewischt“, sagt Tillman. Eine elegante Lösung, für die sich die TSA bislang nicht erwärmen konnte. Die Behörde versprach hingegen, ihre Sicherheit­sleute besser zu schulen und für den Umgang mit Transsexue­llen zu sensibilis­ieren. Ob das tatsächlic­h hilft, wird sich wohl erst zeigen.

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