»Lehrerarbeitszeit war nie ein Tabuthema«
Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hält einen Gesamtschulversuch in Vorarlberg für nicht ausreichend. Sie findet, dass manche Kinder zu lang vor dem TV-Schirm sitzen, und glaubt, Lehrer wären zu Mehrarbeit bereit.
Die Ergebnisse der Bildungsstandard-Tests zeigen, dass ein Drittel der Zehnjährigen die Deutschlernziele nicht erreicht. Warum sprechen Sie von erfreulichen Ergebnissen? Gabriele Heinisch-Hosek: Erfreulich habe ich die Verbesserungen im Vergleich zur Ausgangstestung vor fünf Jahren bezeichnet. Grundsätzlich freuen mich negative Ergebnisse nicht. Ich wäre sehr froh, wenn hundert Prozent der Kinder kein Problem hätten. Aber das gibt es in keinem Land auf der Welt. Bildungswissenschaftler bezeichnen die Ergebnisse dennoch als katastrophal. Natürlich müssen wir nun genau hinschauen, woran es liegt, dass beispielsweise 13 Prozent der Kinder über nicht ausreichende Lesefähigkeiten verfügen. Liegt es daran, dass mit den Kindern zu Hause zu wenig gesprochen wird? Es gibt ja viele Kinder, die in herausfordernden Familienverhältnissen leben. Vielleicht brauchten sie eine ganztägige Schule, um die Sprachfähigkeiten zumindest dort entwickeln zu können. Wie kann es sein, dass Kinder aus bildungsfernen Familien in der vierten Klasse Volksschule drei Lernjahre hinterherhinken? So heterogen die Familiensituation ist, so heterogen sind leider auch die Ergebnisse. Wir brauchen uns nichts vormachen: Es gibt Kinder, die am Nachmittag leider zu lang vor dem Fernseher sitzen, die zu Hause keine Ansprache haben. In vielen Haushalten wird außerdem nicht ausreichend Deutsch gesprochen. Es wird Aufgabe der Schulaufsicht und der zuständigen Landesbehörden sein, sich jede Schule anzusehen und Maßnahmen zu setzen. Sie wollen Brennpunktschulen mehr Geld geben. Es wird insgesamt aber nicht mehr Geld geben. Heißt das, dass es für manche Schulen weniger Mittel geben wird? Wenn man Schulen auch nach sozialen Kriterien gestaffelt finanzieren will, dann gibt es nur zwei Wege. Entweder man verteilt die bestehenden Ressourcen um. Oder man nimmt frisches Geld. Nachdem ich weiß, dass frisches Geld nicht vorhanden ist, muss man schauen, woher man das Geld nimmt. Das ist natürlich eine Frage, die im Finanzausgleich diskutiert werden kann. Das Geld könnte jenen Schulen weggenommen werden, die gute Leistungen bringen? Das entscheiden die Länder. Wenn man sich dazu entschließt, bestehendes Geld umzuverteilen, dann kann man auch so eine Lösung andenken. Laut Test haben 70 Prozent der Volksschüler Probleme beim Rechtschreiben. Wird auf die Rechtschreibung zu wenig Wert gelegt?
Gabriele Heinisch-Hosek
(54) ist seit Dezember 2013 Bildungs- und Frauenministerin. Zuvor leitete sie das Ressort für Frauen und öffentlichen Dienst. Heinisch-Hosek war außerdem Landesrätin für Gesundheit und Soziales in Niederösterreich und Nationalratsabgeordnete. Begonnen hat sie ihre politische Karriere in ihrem Heimatort Guntramsdorf.
Ausgebildete Lehrerin
Die gebürtige Niederösterreicherin ist selbst Lehrerin. Sie hat nicht nur eine Ausbildung zur Hauptschullehrerin für Deutsch und Bildnerische Erziehung, sondern ist auch Sonderschullehrerin für Schwerhörige und Gehörlose. Das glaube ich nicht. Kinder, die sich auf Schularbeiten in der Volksschule vorbereiten, bereiten sich akribisch vor. Bei den Tests zu den Bildungsstandards mussten sie spontan einen Text verfassen. Die Rechtschreibung kann in dieser Spontanität schon zu Stress und Überforderung führen. Sind Sie eigentlich froh darüber, dass der Bundeskanzler in der „Presse am Sonntag“sagte, dass das 550 Millionen Euro große Loch im Bildungsbudget durch die Mehrarbeit von Lehrern gestopft werden könnte? Der Vorstoß des Kanzlers, dass Lehrer mehr arbeiten könnten, ist doch wohl kein Zufall? Wie würde sich der Arbeitstag eines Lehrers in einer Ganztagsschule verändern?
Der oft freie Nachmittag würde wegfallen. Heißt kreativ, dass die Lehrer nicht unbedingt im Konferenzzimmer arbeiten müssen? Zurück zu Ihren Budgetproblemen: Wenn das Loch nicht durch die Mehrarbeit von Lehrern gestopft werden soll, wie dann?