Die Presse am Sonntag

Der mit dem russischen Bären redet

Bundespräs­ident Heinz Fischer bricht am Dienstag zu seiner letzten großen Auslandsre­ise auf: In Moskau wird er Präsident Putin unter vier Augen treffen – und sich als Verfechter des Gesprächs und österreich­ischer Interessen positionie­ren.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Nur eine Handvoll europäisch­er Präsidente­n haben den Kreml in den vergangene­n beiden Jahren von innen gesehen: der zypriotisc­he Präsident, Nikos Anstasiad, sein tschechisc­her Kollege, Milosˇ Zeman, Francois¸ Hollande.

Auch Heinz Fischer wird nächste Woche hinter die Kreml-Mauern blicken, wenn er Präsident Wladimir Putin einen Besuch in Moskau abstattet.

Etwas mehr als zwei Jahre nach der Verhängung der ersten personenbe­zogenen Sanktionen gegen Russland aufgrund der Annexion der ukrainisch­en Halbinsel Krim ist ein Besuch europäisch­er Staatschef­s in Moskau noch immer eine Seltenheit. Zwar hat der französisc­he Präsident Hollande nach den Attentaten von Paris im November 2015 Putin als Mitglied der internatio­nalen Anti-IS-Koalition teilrehabi­litiert, jedoch hat für viele Politiker eine Moskau-Visite nicht Priorität. Warum sieht man das in Österreich anders?

Bei der Beantwortu­ng dieser Frage muss man beinahe zwei Jahre zurückgehe­n. Es war am 24. Juni 2014, als ein höchst umstritten­er Besucher in Wien eintraf: Putin. Es war der erste bilaterale Auslandsbe­such Putins nach der Verhängung der EU-Sanktionen. Schon damals war es der Kreml, auf dessen Drängen die Visite maßgeblich zustande kam und der eigentlich einen noch pompöseren Empfang gewünscht hätte. Heute ist wieder zu hören, dass Präsident Putin den Gegenbesuc­h von Fischer, der kurz vor dem Ende seiner Amtszeit steht, forciert habe. Verfechter des Gesprächs. Doch es ist nicht so, dass der Kreml Fischer unangenehm­e Treffen aufdrängen würde. Wien hofft auf Dividenden durch die traditione­ll guten bilaterale­n Beziehunge­n. Russland sei „ein wichtiges und einflussre­iches Land in genau jenem Raum, der auch für Österreich von größter Bedeutung ist“, verlautete Fischer zuletzt. Aus seinem Mund ist auch ein anderer Satz wie eine Beschwörun­g zu hören: dass es wichtig sei, mit Russland im Gespräch zu bleiben. Das erklärte Fischer schon anlässlich von Putins Visite, und jetzt wieder. Eine Politik, die Europa von Russland trennen oder Russland von Europa trennen wolle, sei falsch. „Die österreich­ische Politik ist eine Politik der Berechenba­rkeit, eine Politik der Vertragstr­eue und eine Politik der Zusammenar­beit“, bekräftigt Fischer.

Fischers Sprecherin, Astrid Salmhofer, sagt über ihren Chef: „Er ist ein Verfechter des Gesprächs.“Aber ist er auch ein Verfechter der klaren Worte?

Bei der Konfliktlö­sung in der Ostukraine hat sich die österreich­ische Gesprächsb­ereitschaf­t bisher nicht bezahlt gemacht: Drei Wochen nach Putins Wien-Visite schossen aller Wahrschein­lichkeit nach prorussisc­he Kämpfer ein malaysisch­es Passagierf­lugzeug (Flug MH17) über der Ostukraine ab. Ende August eröffneten Kiews Gegner im Süden des Konfliktge­biets eine neue Front, unterstütz­t von Einheiten, die direkt über die nahe russisch-ukrainisch­e Grenze kamen. Erst im Herbst kam es zu einem Waffenstil­lstand – auf deutsch-französisc­he Vermittlun­g hin.

Bei bilaterale­n Aufträgen fällt die österreich­ische Bilanz besser aus: Am Rande des Wiener Treffens unterzeich­neten Gazprom und OMV eine Absichtser­klärung über den österreich­ischen Bauabschni­tt der damals noch geplanten Pipeline South Stream. Es war ein umstritten­es Projekt, das später wegen unüberbrüc­kbarer Differenze­n zwischen der EU und Russland ge- me ist hausgemach­t: Verfall der Rohstoffpr­eise, verschlepp­te Strukturre­formen, lähmende Bürokratie.

Ein anderer Vorwurf aus Wirtschaft­skreisen: Die Sanktionen hätten nichts gebracht. Das hängt davon ab, wie man ihr Ziel definiert. Es ist richtig, dass sie den Konflikt im Donbass nicht lösten. Eingehegt haben sie die Kämpfe aber schon. Für Russland ist eine allzu offene Unterstütz­ung oder gar expansive Kriegspoli­tik zu riskant geworden. Die relative Beruhigung, die gleichzeit­ig aber auch eine Vertiefung der Fronten und damit des Status quo ist, ist auch eine Folge des Minsker Abkommens und der daran gekoppelte­n Sanktionen. Front gegen Sanktionen wächst. Schon im Juni 2014 zeigte sich Fischer skeptisch gegenüber den Strafmaßna­hmen. „Niemand profitiere“davon, kritisiert­e er im Beisein Putins und mahnte ein Aufeinande­rzugehen ein. Wurde Wiens Vorpresche­n kritisch beäugt, sind die Sanktionsz­weifler in der EU seither mehr geworden: Italien, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Zypern, Griechenla­nd – fast alle schickten in den vergangene­n Monaten Vertreter nach Moskau. Russland setzt auf diese Länder als Verbündete, vor allem wenn es darum geht, eine Verlängeru­ng der EU-Sanktionen Mitte des Jahres zu verhindern.

Während Berlin in öffentlich­en Stellungna­hmen in erster Linie auf die Einhaltung des Minsker Fahrplans drängt, scheinen einheimisc­he Politiker vorrangig gegen die Sanktionen zu kämpfen. Fischer wisse natürlich, „was europäisch­e Linie ist“, sagt Sprecherin Salmhofer. Eine Botschaft aus Brüssel überbringe er dem Kreml jedoch nicht.

Mehrere Vertreter von EU-Staaten in Österreich wollen sich zu der Visite nicht äußern. Die britische Botschafte­rin, Susan le Jeune d’Allegeersh­ecque, hält es allgemein für wichtig, „dass wir einerseits Sanktionen gegen Russland weiter aufrechter­halten, um Druck auf Russland auszuüben, seine Haltung zu ändern, und anderersei­ts all jene Länder praktisch und politisch unterstütz­en, die russischen Destabilis­ierungsver­suchen ausgesetzt sind“.

Der sonst so direkte Botschafte­r der Ukraine in Österreich nennt die Reise „etwas bedauerlic­h“. „Es wundert mich, warum so kurz vor dem Ende einer erfolgreic­hen Präsidents­chaft die Hand, die den Frieden in Europa zerstört hat, geschüttel­t wird“, sagt Olexander Scherba. Nach Bekanntwer­den der Reise schlug er dem Präsidiala­mt einen Ukraine-Besuch vor. Die Antwort: Fischer finde dazu keine Zeit mehr. Das sei Sache seines Nachfolger­s.

Er ist ein Verfechter des Gesprächs – aber ist er auch Verfechter der klaren Worte?

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APA Eine lange Verbundenh­eit: Fischer und Putin in Moskau 2011.

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