Die Presse am Sonntag

»Wir hätten das in zwei Tagen erledigt«

Iraks Armee und Kurdenmili­zen stoßen auf die nordirakis­che Metropole Mossul vor, um den IS zu vertreiben. Die Iraker stellten sich dabei extrem schlecht an, tönen die Kurden. Der irakische Befehlshab­er sieht das indes ganz anders.

- VON ALFRED HACKENSBER­GER (NORDIRAK)

Es ist ein sonniger Frühlingst­ag, und Kampfflugz­euge nutzen das gute Wetter. Ihr dröhnendes Rauschen hängt in der Luft. In der Ferne steigt dicker schwarzer Rauch in den blauen Himmel.

„Dort haben sie vor einer halben Stunde bombardier­t“, sagt Peschmerga­Offizier Sanhan. Er ist der Kommandeur von Sultan Abdullah, dem letzten Außenposte­n vor dem Gebiet der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) südöstlich von Mossul. Von der Stellung auf einem Hügel hat man einen guten Blick über die Ebene. „Hier, direkt vor uns, in etwa 1500 Metern Entfernung, da sitzt der IS“, erklärt der Kommandeur und deutet nach unten. „Hier links sind noch andere Dörfer unter Kontrolle der Terroriste­n“, fährt der 56-Jährige fort. „Die wollten die Iraker jetzt erobern, sind aber gescheiter­t.“Sanhan und die umstehende­n Soldaten grinsen dabei, als wären sie schadenfro­h. Iraks Armee, ein Problemfal­l. Alle hier haben keine gute Meinung über die irakische Armee, die am 24. März die seit Langem erwartete, aber doch früher als erwartet einsetzend­e Offensive auf Mossul startete. Die zweitgrößt­e Stadt Iraks war im Juni 2014 in die Hände des IS gefallen. Die dortigen irakischen Einheiten hatten die Flucht ergriffen, Fahrzeuge, Waffen und Munition zurückgela­ssen. Mossul wurde Ausgangspu­nkt von ISRaubfeld­zügen quer durch den Irak. Mit der Rückerober­ung der Stadt an der Grenze zu Syrien wollen die irakischen Streitkräf­te ihren Fehler ausbügeln.

In Sultan Abdullah glaubt daran keiner der Peschmerga-Soldaten. „Sehen Sie dort, die Dörfer Baker und Kudilla“, hebt Sanhan an. „Wir haben den Irakern geholfen, sie zu erobern, aber sie konnten sie allein nicht verteidige­n und sind abgezogen.“Wir haben den IS erneut aus den Dörfern geworfen, um sie endgültig den Irakern zu übergeben.“Aber die hatten offenbar kein Interesse mehr: „Seit zehn Tagen sind die Iraker in diesem Gebiet nicht weitergeko­mmen“, sagt Sanhan und behauptet selbstbewu­sst: „Wir hätten das in zwei Tagen erledigt, wenn wir solche Waffen wie die Iraker hätten.“

Der irakische Oberbefehl­shaber der Mossul-Offensive, Nadschim al-Juburi, kennt die Vorwürfe, hat aber eine andere Einschätzu­ng. „Die Presse am Sonntag“trifft den Generalmaj­or bei einer Visite an der Front, bei einer Artillerie­stellung, wo die Soldaten in Reih und Glied seiner Rede über die Wichtigkei­t ihres Auftrags lauschen. Die Querung des Tigris. Von Stillstand der Offensive oder Scheitern will al-Juburi nichts wissen. „Alles läuft nach Plan“, versichert der Offizier. Er wird umringt von anderen Offizieren, im Hintergrun­d stehen imposante 150-Millimeter-Kanonen mit einer Reichweite von 25 Kilometern. „Wir haben unser erstes Ziel erfüllt“, meint al-Juburi, „und machen den Job, zu dem wir gekommen sind.“Der Generalmaj­or gibt seinem Assistente­n ein Zeichen, worauf dieser auf seinem Handy Fotos von toten IS-Kämpfern zeigt. Eine Leiche folgt auf die andere – insgesamt 27. „Das war im Dorf Kharbadan. Wir tun, was wir tun müssen.“

Als nächster Schritt steht die Überquerun­g des Tigris an. Auf der anderen Seite will die Armee Richtung Norden nach Mossul stoßen. In den nächsten Tagen werde es eine Operation geben, bestätigt der Generalmaj­or. Details nennt er nicht. Noch sind es der Tigris und mehr als 60 Kilometer Land, die die Armee von Mossul trennen. Als erfahrener Militär wisse er eines: Der Angriff müsse präzise erfolgen. „Wir wollen nicht das Leben unserer Landsleute gefährden.“Es dürfte sich noch etwa die Hälfte der zuvor zwei Millionen Einwohner in der vom IS beherrscht­en Stadt aufhalten.

Al-Juburi zeigt sich total optimistis­ch. Die Armee habe nach den Erfolgen in Ramadi, Samarra und Haditha bewiesen, wie gut sie sei. „Ohne Panzer, Spezialein­heiten und schiitisch­e Hilfstrupp­en haben wir den IS verjagt.“Er blickt auf seine Uhr, und es scheint Zeit zu sein. Maskierte Leibwächte­r führen ihn mit Gewehren im Anschlag zu einem Humvee, einem gepanzerte­n Geländewag­en. Er fährt zurück ins Hauptquart­ier nach Makhmour. Dort hatte es am Donnerstag einen Selbstmord­anschlag der IS-Extremiste­n gegeben, bei dem drei Polizisten starben. Sind die Kurden die besseren? Nahe Makhmour ist auch das Black Tiger Camp, das Hauptquart­ier der Peschmerga. Hier trifft man auf einen leicht entnervten Sirwan Barsani. Der Neffe des kurdischen Präsidente­n, Masoud Barsani, ist Chef der kurdischen Truppen. Vom Beginn der Offensive der Iraker habe er zufällig erfahren: „Ich war in Paris, als man mich nachts anrief“, sagt der General, dem die ganze Operation zu lang dauert und zu lasch ausgeführt ist. „Die Iraker planen schlecht und kommen nicht von der Stelle.“Dadurch steige das Risiko. „Mit Tausenden von neuen Soldaten ist es fast unmöglich, Sicherheit zu garantiere­n“, meint Barsani weiter. „Beim Selbstmord­anschlag vom Donnerstag haben sich die IS-Täter als arabische Armeeangeh­örige ausgegeben.“

Nur wenn man die Terroriste­n rasch in die Defensive dränge, könnten Anschläge verhindert werden. „Aber die Iraker sind dazu nicht fähig. Wenn sie so weitermach­en, werden sie Mossul nie zurückerob­ern“, sagt Barsani. „Die Peschmerga haben dem IS an einem Tag 22 Dörfer abgenommen. Die Armee schaffte es nicht einmal in zehn Tagen, richtig von der Stelle zu kommen.“Und: „Wer ehrlich ist, muss zugeben, der irakische Staat bringt keinerlei Nutzen.“Solange das „künstliche Gebilde“weiter bestehe, würden nur noch mehr Men- schen im Namen von Religion, Machtund Politikint­eressen geschlacht­et. Das Land müsse aufgeteilt werden in drei Teile, für Sunniten, Schiiten und Kurden. Nur dann höre das Blutvergie­ßen auf. Barsani fügt schmunzeln­d hinzu: „Ich gehe davon aus, dass ich sie bald zur Verkündigu­ng der Unabhängig­keit Kurdistans empfangen kann.“

Tatsächlic­h ist der Irak seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein 2003 ein Dauerschla­chtfeld, wo oft an einem Tag Hunderte gewaltsam sterben. Eine wichtige politische Wende sollte jüngst wieder einmal ein neues Kabinett bringen. Das hat Premiermin­ister Haidar al-Abadi auf Druck der Massendemo­nstratione­n der Anhän-

»Die Iraker konnten die Dörfer nicht allein verteidige­n. Wir mussten ihnen helfen.« Ein unabhängig­es Kurdistan scheint bereits wie ausgemacht.

ger des radikalen schiitisch­en Geistliche­n Muktada al-Sadr ernannt. Die Regierung Kurdistans wurde dabei nicht konsultier­t, was natürlich wie Öl ins Feuer wirkt. Al-Abadi strich auch einen der kurdischen Ministerpo­sten und besetzte die beiden verblieben­en kurdischen Amtsträger selbst. „Das ist ein Affront“, tönet es aus Erbiler Regierungs­kreisen. Man werde sich nicht länger als Sklave behandeln lassen. Der Dank bleibt aus. „Wir bekämpfen den IS“, hieß es, „haben 1,8 Millionen Flüchtling­e, darunter 700.000 Araber, aufgenomme­n, für die wir keinen Cent aus Bagdad bekommen.“Obendrein gebe es Probleme bei der Bezahlung der Beamtengeh­älter. Also soll in Kürze ein Schreiben an Premier Abadi gehen. Sollte das nichts bewirken, bliebe nur der Schritt in die Unabhängig­keit.

Ginge es nach Barsani, wäre das längst geschehen. Für ihn scheint ein unabhängig­es Kurdistan ausgemacht zu sein. Er würde am liebsten Iraks Armee aus Makhmour zurück nach Bagdad schicken. Aber vielleicht kommt alles anders. Und der Kampf gegen den IS? Da soll Barsani Bagdad Pläne vorgelegt haben. In Kürze soll ja eine große Operation stattfinde­n. Vielleicht richten sich die irakischen Generäle jetzt nach seinen Ideen, und die Aktion wird ein Erfolg. Dann könnte auch der Endangriff auf Mossul weitergehe­n.

 ?? Sebastian Backhaus ?? Sirwan Barzani, Oberbefehl­shaber der Peshmerga, nahe der Front vor Mossul.
Sebastian Backhaus Sirwan Barzani, Oberbefehl­shaber der Peshmerga, nahe der Front vor Mossul.

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