Österreich, der Lückenbüßer
Heimische Unternehmen sind weltweit vertreten, manchmal als Weltmarktführer. Nur kennt sie niemand. Dahinter steckt ein System. Die Regierung will dieses jetzt stärken, durchaus zum Gefallen der Betriebe.
Lisa Pek hat eine neue Idee. Jahrelang hat die österreichische Modedesignerin in London gearbeitet. In der Branche hat sie einen Namen für sportliche, aber edle Kleidung. Derzeit lebt sie in Tokio und will den nächsten Schritt machen. „Ich bereite gerade ein Projekt vor, das Kleidung mit Technologie verbindet.“Nachhaltigkeit soll eine Rolle spielen. Mehr will sie noch nicht sagen. „Es wird ein High-End-Produkt.“Der Kundenkreis wäre also überschaubar, das Geschäft womöglich dennoch rentabel.
Die Geschäftsidee von Lisa Pek ist eine Marktnische. Damit passt sie in ein Muster, das bei heimischen Unternehmen immer wieder zu beobachten ist. Ob in London, La Paz, Tokio, Afrika oder Europa: Wenn österreichische Betriebe jenseits der Heimat Erfolg haben, dann meistens mit Produkten, die so speziell sind, dass niemand vorher darauf gekommen ist oder sich niemand den Spezialisierungsgrad antun wollte. Das Muster ist derart typisch, dass die Regierung ihm ein Wort gab: Hidden Champions, versteckte Weltmeister. Warum nur versteckt? Die einfache Antwort gibt die Größe der Volkswirtschaft. Ein Konzern wie Volkswagen wäre in einem Binnenmarkt, der nur von Bregenz bis Wien reicht, nie zu einem weltweit dominierenden Autobauer geworden. Da sich viele Betriebe auf dem Heimatmarkt bewähren wollen, ehe der Schritt ins Ausland gewagt wird, braucht es gerade in Branchen mit hohen Investitionskosten zunächst meist einen großen Binnenmarkt. So sind die Österreicher eher diejenigen, die wie die Putzer- fische im Meer von der Übergröße anderer Spezies leben. Selbst auf die größten Betriebe trifft das teilweise zu. So kann der österreichisch-kanadische Automobilzulieferer Magna Weltmarktführer sein, weil sich jedes Jahr Abermillionen Automobile auf dem Globus verkaufen.
Statt Hidden Champions könnte man auch sagen: Österreichs Betriebe, das sind vor allem die Lückenbüßer. Die Wirtschaftskammer hat diese Position längst als Chance begriffen. 115 Außenwirtschaftscenter unterhält sie weltweit, überall arbeitet sie eng mit dem Wirtschaftsministerium und der jeweiligen Botschaft zusammen. Verglichen mit Wirtschaftsvertretungen aus anderen Ländern gehören die Österreicher vielerorts zu den aktiveren. Ende März brachten etwa die Außenwirtschaftscenter von Tokio und Seoul 24 österreichische Betriebe mit potenziellen Kunden oder Investoren in Japan und Südkorea in Kontakt.
Die Veranstaltung Pioneers Asia verkuppelte Betriebe aus der ganzen Welt. Die Österreicher fielen durch ihren hohen Spezialisierungsgrad auf. Der Wiener Betrieb Llynx zum Beispiel bietet Beleuchtungslösungen für alle möglichen Raumarten an, die durch Sensoren kontrolliert werden. CEO Thomas Ondrisek war von der Reise positiv überrascht: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell mit mehreren Großunternehmen Termine bekomme.“Nun hat Ondrisek einen Fuß in der Tür auf dem asiatischen Markt, wo bisher kein Unternehmen den Spezialisierungsgrad von Llynx erreicht. Das Wiener Start-up Anyline wiederum bietet eine Handy-App an, die per Scantechnik aus Fotos und Dokumenten auch unter schlechten Kontrast- und Lichtbedingungen Informationen filtern kann. Dies kann für Spracherkennung oder Übertragung von Dokumenteninhalten wichtig sein. Mit Konzernen wie Konica-Minolta und Epson arbeitet der Betrieb schon zusammen, in Tokio ging die Partnersuche weiter. Marketingleiterin Carina Wetzlhütter war angetan: „Es hilft anscheinend manchmal zu erwähnen, dass man aus Österreich kommt.“
Der Blick auf die kleinen, besonderen Gruppen von Verbrauchern oder noch nicht geschlossene Lücken bewährt sich auch anderswo. Als Boliviens Präsident, Evo Morales, etwa in der extrem bergigen Regierungsmetropole La Paz ein öffentliches Transportsystem einführen wollte, sich durch die Steigungen aber kein Schienensystem anbot, brachte sich Gondelbauer Doppelmayr ins Spiel. Bei Skigondeln ist der mittelständische Betrieb Weltmarktführer. In Bolivien eröffnet er seit zwei Jahren Schritt für Schritt das längste städtische Seilbahnsystem der Welt. Doppelmayr hat damit, nach einem Projekt in London, endgültig den Markt für urbane Seilbahnlösungen geprägt.
In London hat es vor den Olympischen Spielen 2012 für Aufsehen gesorgt, als das öffentliche Transportnetzwerk um einen Seilbahnzug über die Themse erweitert wurde. In dieser Zeit schossen österreichische Spezialisten diverser Branchen wie Pilze aus dem britischen Boden. Der niederösterreichische Fertighausbauer Elk machte mit energieeffizienten Baulösungen auf sich aufmerksam. Auch fern der Olympischen Spiele etablierten sich österreichische Unternehmen in Großbritannien. Gerade die Research Cluster um die Universitäten Cambridge und Oxford sind beliebte Standorte.
Die Liste ließe sich fortführen und in die meisten Regionen der Welt ausdehnen. Und die österreichischen Offiziellen loben sich gern dafür. Harald Mahrer, Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, prahlte im März in Tokio: „Die heimischen Betriebe sind sehr wettbewerbsfähig und haben unsere volle Unterstützung.“Mahrer schwebt zudem eine neue Marschroute vor, die den „versteckten Weltmeistern“gut zu Gesicht stehen sollte. In diesem Sommer will er eine „Open Innovation-Strategie“beschließen, durch die heimische Betriebe nicht nur in ihren Aktivitäten gefördert, sondern systematisch mit Partnern in Kontakt gebracht werden sollen. Das könnte man wohl als einen Fall be-
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit Großunternehmen so schnell Termine bekomme.« »Es hilft anscheinend manchmal zu erwähnen, dass man aus Österreich kommt.«
zeichnen, in der die verpflichtende Kammerumlage einer Verwendung zugeführt wird, die von allen WKO-Mitgliedern goutiert wird. Östliche Marschroute geht weiter. Die Pioneers-Asia-Konferenz in Seoul und Tokio bildete den Anfang. Ausgewählt wurden die Standorte wegen ihrer Stärke in den Zukunftsbranchen Netzwerktechnologie und Robotik. Weitere Regionen, mit denen österreichische Betriebe in den kommenden Jahren strategische Partnerschaften aufbauen sollen, sind Singapur für den Bereich Lifesciences, Hongkong für Finanztechnologie und Hardware sowie Israel rund um Software und Cybersicherheit. „Für die großen Innovationen der Zukunft werden wir zusammenarbeiten müssen. Alleingänge können wir uns nicht mehr leisten“, glaubt Mahrer. Er könnte recht haben: Unter Alleingängen hatte Österreich schon zu leiden. Als sich vor 15 Jahren das Internetwachstum abzeichnete, dachte die österreichische Tourismusbranche über eine gemeinsame Buchungsplattform nach. Da sich die Bundesländer aber nicht auf eine nationale Lösung einigen konnten, blieben die Anlaufpunkte für potenzielle Kunden verstreut. Heute führt Booking.com den Markt an. Die Plattform stieg zu einem Zeitpunkt ins Geschäft ein, als in Österreich schon solche Ideen kursierten.
Wird die Gangart der Open Innovation, in der alle Teilnehmer ihre Ideen offen diskutieren, wirklich helfen? Michael Otter, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Tokio, sieht Chancen und Risken: „Wir wären das erste Land Europas, das so eine Marschroute politisch stützt, und gerade kleinere Betriebe könnten davon profitieren, mit Konzernen aus anderen Ländern in engen Kontakt zu kommen.“Ob sich so etwas wirklich als profitabel herausstellt und bahnbrechende Innovationen herausspringen, hängt auch von verschiedenen Unternehmenskulturen ab. Würde Lisa Pek ihre technologische Kleidung etwa einem großen Betrieb verraten, der sie gleich kopieren und unter eigenem Namen anbieten will, könnte sie am Ende mit leeren Händen dastehen. Gerade die Lückenbüßer müssen ihren Partnern vertrauen können.