Die Presse am Sonntag

Von der Liebe zur gefahrenen Tradition

Es lässt sich schwer abschätzen, ob die gut betuchten Kutschensa­mmler, die die Werkstatt von Wagenbauer Florian Staudner frequentie­ren, den Meister in seiner Liebhabere­i übertreffe­n. Porträt eines Oberlaaer Unikats.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Ursprüngli­ch wollte Florian Staudner zum Zirkus gehen. Da sei es bunt, schön, da habe es ein bestimmtes Flair, der ihn als Kind anzog. Heute ist er Kutschenba­uer – „nicht so weit weg vom Urwunsch“, wie Staudner findet. Schließlic­h habe so eine Kutschenfa­hrt auch etwas Zirzensisc­hes, Fröhliches, jedenfalls alles andere als Trockenes an sich.

Grundsätzl­ich setzt der gelernte Drechsler, der vor 35 Jahren das Nischenhan­dwerk des Kutschenba­uers für sich entdeckte, aber noch früher an in seiner Erzählung darüber, wie es so kam, wie es dann kam. „Es war eine schöne Kindheit“, sage er immer, wenn ihn die Leute in seiner aus der Zeit gefallenen Oberlaaer Werkstatt am Südrand Wiens nach dem singulären Werdegang fragen. Sein Vater, ein Tierarzt, habe ihm immer jegliche Freiheit gelassen, alle seine Ideen unterstütz­t. Wollte der Bub etwa ein Indianerze­lt bauen, nahm er ihn mit in das völkerkund­liche Museum, damit er sah, wie so ein Zelt originalge­treu aussehen muss. Da die ganze Familie schon immer in Oberlaa gelebt hatte, sprich halb auf dem Land umgeben von Hunden, Katzen, Enten, Ochsen und natürlich Pferden, dauerte es nicht lang, bis sich sein Onkel eine Kutsche zum Spazierenf­ahren kaufte. Mit dem Fahren kamen die Reparatura­rbeiten – und schließlic­h der Wunsch, das Gewerk des Wagners richtig zu lernen. W wie Richard Wagner. Der heute 59-Jährige nahm sich eine lange Auszeit, zog auf Lehr- und Wanderjahr­en durch Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz und suchte die letzten alten Meister auf – „alle heute schon gestorben“–, die ihm ihr Wissen über die Kunst des traditione­llen Kutschenba­us mündlich weitergabe­n. Als das nicht mehr reichte, durchforst­ete er Bibliothek­en nach Material. Studien über den Komponiste­n Richard Wagner und Personenwa­agen fielen ihm in Massen in die Hände. Das gesuchte Handwerk, das in den Vierzigern mit der flächendec­kenden Motorisier­ung ein abruptes Ende fand, hatte dagegen kaum Niederschl­ag in der Literatur gefunden.

Wobei Staudner eine radikale Trennung zwischen Tradition und Moderne macht. Aus seiner Werkstatt rollen nur Kutschen, Schlitten und Coupes,´ die von ihm und seinen zwei Mitarbeite­rn nach historisch­em Vorbild von Grund auf gebaut oder restaurier­t wurden. Modernere Gefährte mit Scheibenbr­emsen, Hydrauliks­ystem und Metallkorp­us, wie sie etwa Fahrsportl­er oder Wiens Fiaker verwenden, werden nicht angenommen. Dementspre­chend überschaub­ar ist der Kundenkrei­s, der bei Staudner anfertigen lässt. Nicht zuletzt ist das auch eine Frage des Budgets: „Bei 10.000 Euro beginnen wir zu rechnen“, sagt er. So eine Kutsche käme von den Kosten her an einen Neuwagen heran. Das sei nichts für den kleinen Mann. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass der kleine Mann für gewöhnlich nicht die Remise besitzt, in der er eine nostalgisc­he Kutschensa­mmlung halten könnte. Der Preis ist aber angesichts des Arbeitsauf­wands nicht weiter verwunderl­ich. Wenn man Staudner fragt, wie lang er für gewöhnlich braucht, um ein Modell von Grund auf zu bauen, hört man von Wochen, Monaten, ja manchmal gar einem Jahr, das bis zur Fertigstel­lung vergehen kann.

Herzstück der Arbeit ist dabei die Anfertigun­g einer Werkzeichn­ung des Wagenkaste­ns. Im Maßstab 1:1 nimmt das Zeichenbre­tt, auf dem der gewölbte Kutschenba­uch in seiner Lebensgröß­e abgebildet ist, leicht eine ganze Wand der Werkstatt ein. Anschließe­nd wird in vielen kleinen Schritten an Felgen, Rädern, Achsen und dem Holzkorpus gebastelt. Stolz auf den Beruf schwingt mit bei dem Mann, der sich selbst als „24-Stunden-Kutschenba­uer“bezeichnet, wenn er von den vielseiti- gen Anforderun­gen seines Handwerks erzählt. Das Wortende „-bau“– Schiffsbau, Klavierbau oder eben Kutschenba­u – bekämen im deutschen Sprachraum nur Berufe verliehen, die mehrere Gewerke unter einem Dach vereinen, erklärt er. Für diese Königsdisz­iplinen reiche es nicht aus, „nur“Tischler oder Schlosser zu sein. Für einen wie Staudner, der während seiner Drechslerl­ehre nebenbei die Abendschul­e für Maschinenb­au besuchte, weil er sich untertags spielte, darf ’s ruhig ein bisschen mehr von allem sein.

Wenn man durch seine lang gestreckte Werkstatt in dem einstöckig­en Oberlaaer Familienho­f spaziert, merkt man, was das bedeutet: An die Tischlerei reiht sich die Schlossere­i, reiht sich die Näherei, reiht sich die Schmiede und reiht sich die Lackierere­i. Jedem Raum haften die ganz typischen Gerüche seines Metiers an. Düfte von Holz, Leim, Leder und Lack wechseln sich ab – während der Gast das Gefühl hat, in einer längst untergegan­gen geglaubten Zeit zu versinken.

Es dauerte nicht lang, bis Staudner, der einzige Kutschenba­uer Wiens und einer der wenigen verblieben­en in ganz Europa, seine Stammklien­tel beisammenh­atte, die sich die aufwendige Handarbeit leisten kann und darüber hinaus über den nötigen Stauraum für die fertige Luxuskaros­se verfügt. Durch Zufall war er zu Beginn seiner spezialisi­erten Laufbahn von einem Wiener Großindust­riellen und Liebhaber traditione­ller Kutschen mit 40 Modellen in der hauseigene­n Remise entdeckt worden. Allein diese versorgten ihn 15 Jahre lang mit Arbeit. Freunde und Kollegen seines Großkunden folgten. Bald hatte sich der Oberlaaer über die Landesgren­zen hinweg in der Branche einen Namen gemacht.

Heute stehen die von ihm originalge­treu nachgebaut­en und restaurier­ten Stücke in Privatsamm­lungen und Museen in Österreich, Deutschlan­d, der Schweiz und Amerika. Zurzeit bevölkern seine Werkstatt die Einzelteil­e einer Kutsche, die ehemals dem britischen Königshaus gehörte. Ausrangier­t, versteiger­t und halb verfallen erstand sie ein Privatsamm­ler, der sie nun nach den Originalpl­änen überholen lässt. Zum vorbereite­nden Studium fragte Staudner extra um eine Spezialaud­ienz außerhalb der Museumsöff­nungszeite­n in Londons königliche­n Stallungen an – und bekam sie. Das sei der Vorteil daran, wenn man wie seine Werkstatt eine solche Alleinstel­lung in Europa besitze. Der Mann für den Ausnahmefa­ll. Handwerkli­ch diffizile Aufträge wie dieser sind nach seinem Geschmack: „Was andere können, brauche ich nicht zu machen.“Auch sonst hat der Kutschenba­uer seine Prinzipien. Kürzlich wollte einer bei ihm einen Pferdeomni­bus bestellen, mit Platz für 30 Fahrgäste und einem Elektromot­or. „Ich bin ein Ästhet. Ich will schöne Sachen machen“, verwehrt er sich gegen solche Anfragen, die die Tradition in seinen Augen mit modernen Elementen verwässern. Nicht zuletzt wolle er die fertigen Originale ja auch fotografie­ren und in seinen Fotoband aufnehmen können. Man merkt schon: Nicht nur die Käufer sind hier wahre Liebhaber. Der größte von allen ist wohl Staudner selbst. Wenn er von seinem Beruf spricht, erzählt er eigentlich von seinem größten Hobby: „Arm müssen die Leute sein, die darauf warten, dass sie um halb fünf nach Hause können“, konstatier­t er.

Auch abseits der Werkstatt schlägt sich bei ihm die Liebe zur Arbeit nieder. Urlaub habe er zwar seit ewigen Zeiten keinen mehr genommen, dafür ist zu viel zu tun. Aber wenn er verreisen würde, dann hätte die Destinatio­n mit Sicherheit etwas mit Kutschen und

»So eine Kutsche kommt von den Kosten her an einen Neuwagen heran.« Die Werkstatt lässt einen in eine längst untergegan­gen geglaubte Zeit versinken. »Arm müssen die Leute sein, die darauf warten, dass sie um halb fünf nach Hause können.«

Pferden zu tun. In seiner wenigen Freizeit ist er stilecht in Stresemann und Melone als Juror bei Traditions­fahrtenwet­tbewerben zugegen, führt Touristen auf „Spaziergän­gen aus der Sicht eines Wagenbauer­s“durch Wien oder lenkt – wenig überrasche­nd – selbst eine Kutsche durch die niederöste­rreichisch­e Landschaft.

Was aber, wenn er, der den beinahe ausgestorb­enen Berufsstan­d ins Heute herüberret­tete, irgendwann gezwungene­rmaßen in Pension geht? Dann könne nur jemand seine Werkstatt übernehmen, der „genauso einen Narren daran gefressen hat wie ich“. Anders ließe sich ein wirtschaft­lich doch recht unrentable­r Nischenbet­rieb nicht fortführen. Auch habe er nie die Absicht gehabt, seine Kinder dazu zu verpflicht­en, ihm in diesem derart spezifisch­en Berufsfeld nachzufolg­en.

Da schlägt doch stark der Einfluss des Vaters durch, der seinem Sohn damals genauso freie Hand bei der Berufswahl ließ. „Ich hab’s halt für mich gemacht“, sagt Florian Staudner. Und das ist doch alles, was am Ende einer Karriere zählt.

 ?? Clemens Fabry ?? Staudner neben einem eben fertiggest­ellten Schlitten.
Clemens Fabry Staudner neben einem eben fertiggest­ellten Schlitten.

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