Die Presse am Sonntag

Nicht ohne meinen Burkini

Die Modewelt hat eine neue Zielgruppe: muslimisch­e Frauen. Spät, aber doch rührt sich Kritik, ausgelöst von Frankreich­s Familienmi­nisterin.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Es überrascht nur auf den ersten Blick, dass die Debatte im aufgeschlo­ssenen Modeland Frankreich ausgebroch­en ist. Seit den Terroransc­hlägen vom 13. November in Paris werden Diskussion­en über den Islam dort schnell emotional geführt. Sogar, wenn es dabei um ein vergleichs­weise harmloses Thema wie Mode geht. Seit der vergangene­n Woche diskutiert das Land, wie gut und richtig es ist, dass westliche Modefirmen verstärkt Kleidung für praktizier­ende Musliminne­n produziere­n.

Schon seit einiger Zeit haben Modelabels – von der Billigkett­e bis zur Luxusmarke – eine neue Zielgruppe ausgemacht: junge Musliminne­n, die ihre Religion ausleben und dabei modisch sein wollen. Firmen wie das britische Label Marks & Spencer, die spanische Kette Mango und die japanische Konkurrenz Uniqlo bieten etwa längst Burkinis (eine Wortschöpf­ung aus Burka und Bikini) und Hidschabs (Schleier, siehe Glossar) an. 2015 zeigte der schwedisch­e Billigmark­enriese H&M in einer Werbung erstmals auch eine muslimisch­e Frau, die ein rot-weiß-gemusterte­s Kopftuch trug – allerdings waren in der Werbung auch eine Seniorin in kurzem Rock, ein Übergewich­tiger, ein Mann mit körperlich­er Behinderun­g, ein Schwarzer und eine Transgende­r-Person zu sehen. Die Botschaft des Videos sollte lauten: Es gibt keine Regeln in der Modewelt.

Längst haben aber auch Luxusmarke­n wie Oscar de la Renta und Donna Karan New York den neuen Markt für sich erkannt, der – glaubt man den Prognosen von Thomson Reuters – bis 2019 jährlich 480 Milliarden US-Dollar einspielen soll. Sie entwerfen schon seit einiger Zeit islamische Kollektion­en speziell für Ramadan, den muslimisch­en Fastenmona­t. Anfang des Jahres präsentier­te das italienisc­he Modehaus Dolce & Gabbana die erste Modelinie für Musliminne­n. Schon 2013 gaben Muslime 266 Milliarden Dollar aus, das entsprach damals einer Steigerung von zehn Prozent zum Jahr davor. Angeblich wurden 22 Milliarden davon von Muslimen in Westeuropa und Nordamerik­a ausgegeben.

In Frankreich aber stößt dieser neue Trend nun auch auf massive Kri- tik. Ausgelöst wurde die aktuelle Debatte von der sozialisti­schen Familienmi­nisterin, Laurence Rossignol. In einem Interview mit dem Radiosende­r RMC beschwerte sich die 58-Jährige am Mittwoch über die eingangs erwähnten Modemarken, nannte sie gar „unverantwo­rtlich“. „Sie entziehen sich ihrer sozialen Verantwort­ung und werben in gewisser Weise für ein Einsperren des weiblichen Körpers.“Als der Interviewe­r einwandte, viele muslimisch­e Frauen würden die Kleidung aus freien Stücken tragen, bemühte Rossignol einen missglückt­en Vergleich: „Es gab auch amerikanis­che Neger, die für die Sklaverei waren.“Zumindest für das Wort „Neger“entschuldi­gte sie sich kurz darauf, doch da war der Shitstorm schon über sie hereingebr­ochen. Vertreter verschiede­nster muslimisch­er Einrichtun­gen übten Kritik an ihrer Aussage, in sozialen Netzwerken wird seither gegen sie gehetzt, und im Nu unterzeich­neten 20.000 Menschen eine Onlinepeti­tion, die sich für einen Rücktritt der Ministerin einsetzt. »Versklavun­g der Frauen«. Aber die Ministerin hat nicht nur Kritiker, sondern auch prominente Unterstütz­er. Pierre Berge,´ der langjährig­e Lebensund Geschäftsp­artner von Designer Yves Saint Laurent, findet die muslimisch­en Kollektion­en westlicher Modehäuser skandalös und kritisiert, die Designer seien Teil der „Versklavun­g der Frauen“. Die deutsche „Zeit“zitierte ihn diese Woche: „Ich dachte immer, dass ein Modeschöpf­er dazu da sei, Frauen schöner zu machen, ihnen Freiheit zu geben, und nicht, Komplizen dieser Diktatur zu sein, die Frauen dazu zwingt, sich zu verstecken.“

Obwohl Mode stets auch die Rolle hatte, zu provoziere­n und zu überrasche­n, sehen viele Beobachter in dem neuen Trend der „Islamic Fashion“nichts weiter als eine wenig durchdacht­e Anbiederun­g an eine bislang vergessene Zielgruppe. Die Modemarken würden damit allerdings weder eine Diktatur unterstütz­en noch die Unterdrück­ung der Frauen fördern, sagen andere, wie der muslimisch­e Blogger Fateh Kimouche. Die Modeuntern­ehmen würden schlicht auf die zunehmende Nachfrage reagieren, hinter dem neuen Geschäftsz­weig stünden „keine dicken Bärtigen“, schrieb er und appelliert­e für mehr Pragmatism­us in der Debatte.

Der laizistisc­he Staat Frankreich debattiert muslimisch­e Kleidervor­schriften schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Noch unter dem konservati­ven Präsidente­n Nicolas Sarkozy wurde 2010 ein Burkaverbo­t eingeführt, das der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) später bestätigt hat. Seit 2011 darf nun im ganzen Land im öffentlich­en Raum niemand sein Gesicht verhüllen. Wer es dennoch tut, muss mit einer Geldstrafe rechnen. Schon 2004 wurde ein Kopftuchve­rbot an öffentlich­en Schulen in Frankreich eingeführt, die Religionsz­ugehörigke­it darf dort nicht offen zur Schau gestellt werden.

Burkas verkaufen Marken wie Dolce & Gabbana freilich nicht, allein schon, weil man die hübschen Gesichter der Models zeigen will. Im Sortiment des Luxuslabel­s finden sich aufwendig bestickte Schleier und Abayas

Auch Luxusmarke­n wie Oscar de la Renta haben den neuen Markt für sich entdeckt. »Islamic Fashion« sehen viele als Anbiederun­g an eine bislang vergessene Zielgruppe.

(lange, mantelarti­ge Kleider), vorwiegend in Schwarz und Weiß, also in sehr dezenten Farben. Die Models der Kampagne sind perfekt geschminkt, haben lackierte Fingernäge­l und tragen Lippenstif­t, Lederhandt­aschen in schwarz oder weinrot um das Handgelenk und große, derzeit so angesagte, runde Sonnenbril­len und hochhackig­e Schuhe.

Weniger kritische Stimmen sagen, streng religiöse Frauen würden diesen Stil mit starker Schminke und hochhackig­en Schuhen ohnehin nicht goutieren. Die „Islamic Fashion“richte sich an aufgeklärt­e, modebewuss­te, aber ihrer Religion verbundene Frauen. Der Burkini (eine Wortschöpf­ung aus Burka und Bikini), auch Burqini oder Bodykini, ist ein zweiteilig­er Schwimmanz­ug für muslimisch­e Frauen. Er ist aus Elastan gefertigt und hat eine integriert­e Kopfbedeck­ung. Das Wort Hidschab hat verschiede­ne Bedeutunge­n (Hülle, Vorhang, Schleier, Schirm), bezeichnet aber häufig den Kopfschlei­er der Frauen. Die Abaya ist ein traditione­lles islamische­s Kleidungss­tück, meist ein mantelarti­ges Übergewand aus Schafwolle oder Kamelhaar.

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