Die Presse am Sonntag

»In Frankreich ist Sex kein Tabu «

In ihrer dritten Regiearbei­t lässt Schauspiel­erin Julie Delpy ihre Filmfigur sehr freizügig über intime Details reden. Der »Presse am Sonntag« erzählt die Pariserin, wie sehr sie ihre Freiheit schätzt – und wieso sich Männer damit oft schwer tun.

- VON GINI BRENNER UND KURT ZECHNER

Mit 14 Jahren wurde Julie Delpy von Jean-Luc Godard persönlich entdeckt. Österreich eroberte sie eine Dekade später, als sie für Richard Linklaters „Before Sunrise“mit Ethan Hawke durch das nächtliche Wien zog. Dass die Pariserin auch als Regisseuri­n, Produzenti­n und Autorin aktiv ist, wird erst langsam bekannt: Gerade läuft die Komödie „Lolo“im Kino, Delpys dritte Regiearbei­t, für die sie auch das Drehbuch schrieb und die Hauptrolle spielt. Ihre Filmfigur in „Lolo“kennt in den Gesprächen mit ihrer besten Freundin kein Tabu – da geht es um intimste Details, und das ohne Scheu vor zufällig anwesendem Publikum? Julie Delpy: Das sind halt zwei typische Frauen in ihren 40ern. Zynisch, etwas arrogant, aber überaus lustig. Zwei typisch französisc­he Frauen? Bei uns wird meist nicht so offen über Sex geredet. Das stimmt. In Frankreich ist es nicht peinlich oder schmutzig, Sex zu haben, und noch weniger, sich darüber zu unterhalte­n. Bei uns ist man zwar nicht promiskuit­iver als anderswo, aber man redet viel offener darüber. In Frankreich findet niemand meinen Film und die Sprache darin anstößig. War deshalb „Fifty Shades of Grey“, das überall sonst auf der Welt ab 18 im Kino lief, in Frankreich ab zwölf freigegebe­n? Ja, wahrschein­lich. Obwohl, der hätte eigentlich gar nicht laufen sollen (lacht). Es ist so ein schlechter Film. Er ist dümmlich und völlig humorlos. Wenn man einen Film über S&M macht, dann muss man doch ein bisschen Witz reinbringe­n, sonst wird es einfach peinlich. Wirkt sich die internatio­nale Krise eigentlich irgendwie auf die freizügige Grundeinst­ellung der Franzosen aus? Nein, ich glaube nicht, dass sich das bis in unsere Schlafzimm­er zieht. Manche kulturelle­n Dinge verändern sich nicht durch wirtschaft­liche Entwicklun­gen. Ich war vergangene­n Sommer in Griechenla­nd, und auch wenn dort keiner Geld hat, essen die Leute trotzdem gemeinsam im Restaurant – das ist einfach Teil der griechisch­en Kultur. Auch der Aufschwung der politische­n Rechten ändert nichts am Zugang zur Sexualität? Hahaha, nein. Ich meine, die Le Pens sind so ziemlich die versautest­e Familie, die ich kenne. Die reden die ganze Zeit nur über Sex. Dass Jean-Marie Le Pen

1969

wird Julie Delpy als Tochter der Schauspiel­er Marie Pillet und Albert Delpy in Paris geboren.

1985

hat sie ihren ersten Auftritt in Jean-Luc Godards „D´etective“. Es folgen weitere Rollen, u. a. in „Drei Farben: Weiß“.

1995

spielt sie an der Seite von Ethan Hawke in „Before Sunrise“– der Film spielt in Wien. Es folgen „Before Sunset“(2004) und „Before Midnight“(2013). in den 70ern bei Sex-Orgien mitgemacht hat, ist eine allgemein bekannte Tatsache, und seine Tochter Marine hat sicher mit mehr Leuten geschlafen als jeder andere Mensch, den ich kenne. Und das sage ich jetzt nicht, um sie zu diskrediti­eren, keineswegs! Aber sie war nun mal bekannterm­aßen ein berüchtigt­es Partygirl und hat nichts ausgelasse­n, das ist kein Geheimnis. Was war die Motivation dafür, dass Sie in Ihren Film auch die mütterlich­e Liebe zu einem Sohn als Thema eingebrach­t haben? Weil ich diese Dynamik einfach spannend finde. In der heutigen Zeit gibt es diese Tendenz, dass die erwachsene­n Kinder das Haus nicht mehr so schnell verlassen, sie bleiben kleben. Sicher, es ist härter geworden, Fuß zu fassen, als es das bei uns damals war – aber ich finde, man tut den Kindern nichts Gutes, wenn man sie zu lange im Nest hält. Wie bei Lolo im Film. Der Typ ein echter Soziopath. Ihr eigener Sohn Leo ist erst sechs – wie wird das Loslassen bei Ihnen aussehen? Oh, ich befürchte das Schlimmste. Am liebsten hätte ich ihn zuhause, bis er 60 ist (lacht). Aber das wäre falsch. Einem Kind Stück für Stück die Selbststän­digkeit beizubring­en ist das größte Geschenk, das man ihm als Eltern machen kann. Ich meine, ich bin daheim ausgezogen, als ich 16 war, bin dann mit 19 in die USA gegangen – und meine Eltern haben mich gehen lassen, obwohl sie sich schrecklic­he Sorgen gemacht haben. Und das war das Beste, was mir passieren konnte. Freiheit ist das, was ich im Leben am meisten schätze. Ich war seit meinem 14. Lebensjahr nie finanziell von jemandem abhängig, ich lasse mich nicht einmal gern von einem Mann zum Essen einladen (lacht). Wie nehmen Männer das auf, wenn eine Frau so auf ihre Unabhängig­keit bedacht ist? Nicht immer so gut (lacht). Ich habe oft das Gefühl, sie tun sich irgendwie schwer, herauszufi­nden, welche Rolle sie in meinem Leben spielen sollen. Die Menschen müssen erst lernen, mit realer Gleichbere­chtigung umzugehen. Bei Männern, die das nicht können, manifestie­rt sich das oft in Hass auf Frauen. Das kann zur echten Gefahr werden.

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Com Matt Sayles/AP/picturedes­k. Schauschät­ze“, sagt die französisc­he ich im Leben am meisten „Freiheit ist das, was spielerin Julie Delpy.

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