Ein Gewissen, schön wie Gregory
Dank ihm wurde der Anwalt Atticus im Film »Wer die Nachtigall stört« zur ethischen Ikone. Und sein Bäuchlein brachte Harper Lee zum Weinen: Gregory Peck zum Hunderter.
Als Gregory Peck 1963 von Sophia Loren den Oscar entgegennahm, musste er die goldene Uhr wegstecken, die er davor in der Hand gehalten hatte. Die Schriftstellerin Harper Lee hatte sie ihm geschenkt. Es war die Uhr ihres Vaters, die er jahrzehntelang im Gerichtssaal getragen hatte. Ein hoch symbolisches Geschenk. Immerhin hatte die Autorin die Figur, für deren Verkörperung Gregory Peck den Oscar erhielt, ihrem Vater nachempfunden. Lee stammte aus einem kleinen Ort in den Südstaaten, und in solch einem Ort spielt die Geschichte über einen Schwarzen, der in den 1930er-Jahren zu Unrecht angeklagt wird. Der weiße Anwalt Atticus Finch übernimmt seine Verteidigung und scheitert. Dennoch erscheint er als strahlender Held, als Verkörperung überlegener moralischer Integrität.
Als „To Kill a Mockingbird“(„Wer die Nachtigall stört“) gedreht wurde, war die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung auf ihrem Höhepunkt. Für viele Amerikaner − und auch Nicht- amerikaner − bekam Zivilcourage damals das Gesicht des Gregory Peck – mit seinen dichten Augenbrauen, die er im Zorn zusammenzog, ohne je die Beherrschung zu verlieren; mit seinem breiten, so sicher wirkenden und doch sympathischen Lächeln, mit seiner perfekten Vater-Ausstrahlung.
Zum Teil ist das bis heute der Fall. In Anwaltskreisen, heißt es, wurde Atticus zu einer solchen Instanz, dass manche ganz vergaßen, dass er nie gelebt hat. Das American Film Institute kürte die Filmfigur 2003 zum größten amerikanischen Filmhelden der letzten 100 Jahre. „Irgendwo in diesem Mann”, schrieb einmal ein Kritiker, „steckt das Beste von uns.“Nicht der höchst erfolgreiche Roman hat Atticus Finch zur ethischen Ikone gemacht, sondern der Mann, der ihm auf der Leinwand ein Gesicht gab − und eine Statur. Ein Wort fällt auffällig oft, wenn von Gregory Peck die Rede ist: „aufrecht“; er habe „aufrechte“Charaktere verkörpert. Sehr groß waren andere Schauspieler auch.
Aber während etwa Anthony Perkins in seinen Rollen, etwa in Hitchcocks „Psycho“, nicht recht zu wissen scheint, wohin mit seiner wackeligen Schlaksigkeit, strahlt Pecks Größe durch seine Haltung und das Gesicht dazu genau das Gegenteil aus: Unerschütterlichkeit, Klarheit − Größe eben. Eine Frage der Statur. Moralische Größe ist im Film eben oft eine Frage der Statur. Seine 1,91 Meter waren es auch, die den jungen Studenten zur Schauspielerei brachten. Als Medizinstudent in seiner Heimat Kalifornien sprach ihn der Direktor eines kleinen Theaters an; er sei ihm auf dem Campus wegen seiner Größe aufgefallen, ob er sich nicht bei ihm in einer Rolle versuchen wolle. Peck sagte, angeblich ohne recht zu wissen, warum: „Warum nicht?“
So fing er Feuer, zog nach New York und spielte im Jahr 1944 in seinem ersten Hollywood-Film, „Days of Glory“von Jacques Tourneur, einen russischen Guerillakämpfer. Das machte große Produzenten auf Peck aufmerksam, unter anderem Louis B. Mayer, den Leiter der Filmgesellschaft Metro-GoldwynMayer. Dessen Angebot, ihn zum Star zu machen, wenn er einen SiebenJahres-Exklusiv-Vertrag unterzeichne, lehnte Peck jedoch ab. „Zu meiner unglaublichen Verwunderung“, erzählte er später, „kamen Mayer dicke Tränen und rollten über sein Gesicht, er wurde rot, ging nervös umher, sagte, ich mache einen Riesenfehler . . . Er wirkte tief verletzt, dass ich ihm nicht erlaubte, mein Leben zu verwalten!“Draußen habe Pecks Agent dann zu ihm gesagt: „Oh, das macht er jeden Tag.“
Für seine Zeit war Pecks Anspruch, sich seine Rollen gut auszusuchen, ungewöhnlich. Glaubwürdig Gefühle zu vermitteln war für ihn der Maßstab der Schauspielkunst, sein Vorbild darin: Greta Garbo. Er brauchte Mayer nicht,
5. April 1916
Geboren als Eldred Gregory Peck in Kalifornien
1946
Peck erhält seine erste Oscarnominierung, für „Schlüssel zum Himmelreich“. Bis 1950 folgen drei weitere.
1963
Oscar für seine Hauptrolle in „Wer die Nachtigall stört“. In den 1960er-Jahren engagiert er sich zunehmend politisch, setzt sich etwa für die Rechte der Schwarzen ein und kritisiert öffentlich den Vietnamkrieg.
1990er-Jahre
Weitgehender Rückzug aus dem Filmgeschäft
2003
Tod in Los Angeles fast jede seiner Rollen katapultierte seine Karriere ein Stück weiter. 1945 spielte er an der Seite von Ingrid Bergman im Hitchcock-Film „Spellbound“(„Ich kämpfe um dich“). Nun war er schon eine fixe Größe und konnte mit den etablierten, aus dem Krieg heimgekehrten männlichen Stars konkurrieren (er selbst war aufgrund einer Rückenverletzung vom Militärdienst freigestellt).
In „Roman Holiday“(„Ein Herz und eine Krone“) begleitete er als Journalist Audrey Hepburn durch ihre erste Rolle als kindliche Prinzessin, die vor ihren Pflichten Reißaus nimmt (er prophezeite, sie würde „einschlagen wie eine Bombe“und den Oskar bekommen – was sie auch tat). Die romantische Komödie war ein seltenes Genre für ihn, doch an sich achtete Peck sehr auf Rollenvielfalt. Das brachte ihm die größte Fehlentscheidung seiner Laufbahn ein: Er lehnte die Hauptrolle in Fred Zinnemanns Western „High Noon“(„Zwölf Uhr mittags“) ab, weil er kurz davor schon im Western „The Gunfighter“(„Der Scharfschütze“) gespielt hatte −
Peck machte fast vergessen, dass Harper Lees mutiger Anwalt Atticus nie gelebt hat. Sophia Loren sagte, kein Mann sei schön, der nicht eine Nase habe wie Gregory Peck.
und bedauerte das später zutiefst. Eine passendere Rolle als die des Atticus Finch hätte er ohnehin nicht finden können. Selbst Peck vermutete – immer selbstbewusst, aber nie eitel –, diese Rolle käme seinem realen Ich am nächsten. Und auch Atticus’ Schöpferin, Harper Lee, fand, dass der Schauspieler und die Figur wie eins wirkten.
Dass ihr beim ersten Drehtag von „To Kill a Mockingbird“die Tränen kamen, hatte allerdings einen anderen Grund. Während Sophia Loren befand, kein Mann könne sich schön nennen, wenn er nicht die Nase von Gregory Peck habe, und andere sein Lächeln vergötterten, sagte Lee auf die Frage nach dem Grund ihrer Tränen gerührt: „Oh, Gregory, du hast ein kleines Bäuchlein – wie mein Vater . . .“