Was meinte Puccini mit »poi Tristano«?
Der italienische Meister suggeriert in den Skizzen für das Finale seiner » Turandot« eine Hommage an Richard Wagner. Wie diese klingen könnte, bleibt für immer rätselhaft.
„Hier endet das Werk des Meisters“: Mit diesen Worten brach Arturo Toscanini einst die Uraufführung der „Turandot“an der Mailänder Scala ab. Das von Franco Alfano erstellte Finale blieb am ersten Abend ungespielt; es beherrscht aber seither die Bühnen der Welt, beschert ein rauschhaftes Klangerlebnis und das im Libretto vorgesehene Happy End.
Was Puccini noch geplant hätte? Wir können darüber nur spekulieren wie über die Frage, zu welch kühnen Verstrickungen Bach gefunden hätte, wäre es ihm vergönnt gewesen, den „Contrapunctus XIV“seiner „Kunst der Fuge“über den Takt 239 hinaus fortzuführen − just in jenem Augenblick, da der Name „B-A-C-H“als viertes Thema eingeführt wird, bricht die Musik ab. Freilich: Gerade die Ahnungen, die eine Aufführung eines solchen Fragments weckt, zählen zu den inspirierenden Momenten für Musikfreunde.
Zu erleben ist das etwa bei der Aufnahme, die Swjatoslaw Richter von Franz Schuberts sogenannter „Reliquie“gemacht hat, der groß angelegten Sonate in C-Dur, in der das Menuett mit einem insistierenden Klopfmotiv abbricht – das fertiggestellte Trio nimmt sich wie die Antwort auf eine nicht zu Ende formulierte Frage aus. Und das Finale der Sonate läuft – immerhin nach siebeneinhalb Minuten! – plötzlich ins Leere; warum gibt einer so knapp vor dem Ziel auf?
Und: Gehörte die zerklüftete Zwischenaktsmusik aus „Rosamunde“vielleicht doch ursprünglich als Finalsatz zur „Unvollendeten“? Tonart und Charakter der Musik würden „stimmen“. Wie nah Versuche, die Skizzen zu den Schubert-Symphonien in E-Dur (Felix v. Weingartner) und D-Dur (Peter Gülke) dem kommen, was hätte sein können, bleibt ebenso Spekulation. Nikolaus Harnoncourt machte eine faire Probe aufs Exempel: Er führte mit den Philharmonikern alles auf, was vom Finale der Neunten Bruckners erhalten geblieben ist – der offene Schluss wirkte so schmerzlich wie eine Aufführung von Mozarts „Requiem“, die nach den acht originalen Takten des „Lacrymosa“unvermittelt endet. Berio. Schockierender empfand man nur, was der italienische AvantgardeMeister Luciano Berio, der übrigens auch Schuberts D-Dur-SymphonieSkizzen paraphrasierte („Rendering“), aus den Skizzen Puccinis zum „Turandot“-Finale zu filtern wusste: Der Versuch erklang vor zehn Jahren bei den Salzburger Festspielen. Was der Meister gemeint haben könnte, als er auf Nummer 17 der erhaltenen Skizzenblätter notierte: „poi Tristano“(danach Tristan), bleibt auch in diesem Fall ein Rätsel. Die Welt hält sich seither doch wieder gern an Alfano . . .