Die Presse am Sonntag

»Der Fluch der Gier: Wer zu viel hat,

Helmut Pechlaner war als Zoodirekto­r in Schönbrunn ein Liebling der Nation – und immer wieder für höchste Ämter im Gespräch. Der „Presse am Sonntag“erklärt der WWF-Präsident, warum Politik eine Sache der Jungen ist, wie Regulierun­gen uns die Eigenveran­two

- VON KARL GAULHOFER UND MATTHIAS AUER

Herr Pechlaner, Sie waren als Direktor des Tiergarten­s Schönbrunn und Gestalter von Fernsehsen­dungen sehr populär. Haben Sie keine neuen Pläne? Andere schwingen sich in höherem Alter noch zum Präsidents­chaftswahl­kampf auf . . . Helmut Pechlaner: Eine solche Kandidatur habe ich schon vor zwanzig Jahren abgelehnt. Es ist für mich völlig unverständ­lich, dass Menschen sich im fortgeschr­ittenen Alter noch so wichtig nehmen und glauben, sie seien notwendig für die Gesellscha­ft. Sollten also nur Jüngere Politik machen? Ist nicht auch die Erfahrung und Weisheit der Alten wertvoll? Das ist doch großteils nur Routine. Die Weisheit lebt von der Höflichkei­t der Jugend, das heißt davon, dass die Jungen den Alten nicht widersprec­hen. Die Alten sollen sehr wohl mitreden und beraten. Aber die Entscheidu­ngen sollen sie denen überlassen, die sie dann auszubaden haben. Sie wurden in jüngeren Jahren öfter gefragt, ob Sie politische Ämter übernehmen wollen, etwa als Umweltmini­ster. Ich war noch für viel mehr im Gespräch. Ich sollte Bundespräs­ident werden, Landwirtsc­haftsminis­ter, Innsbrucke­r Bürgermeis­ter, Landesrat in Tirol, Stadtrat in Wien . . . Wieso haben Sie immer Nein gesagt? Wir waren zu Hause acht Kinder. Mein Vater hat sich in unsere Entscheidu­ngen nie eingemisch­t – egal, ob es um Beruf, Partnerwah­l oder Religion ging. Nur um eines hat er uns dringend gebeten: die Finger von der Politik zu lassen. Als Politiker darf man nur eines nicht tun: die Wahrheit sagen. Gleichzeit­ig ist man immer der eigenen Partei ausgeliefe­rt. Dafür bin ich viel zu sehr Individual­ist und ein grader Michel. Ich wär ein Antipoliti­ker. Reden wir über ein paar aktuelle politische Themen. Zum Beispiel Steuern: Der Tiergarten bekommt jedes Jahr rund eine Million Euro geschenkt. Sind Sie für eine Erbschaftu­nd Schenkungs­steuer? Wenn ich einen Vortrag halte, zahle ich Steuer. Wenn mir jemand das gleiche Geld schenkt, zahle ich nichts. Also: Wenn ich ohne Leistung etwas erwerbe, ist es steuerfrei, wenn ich dafür etwas leiste, werde ich Länge mal Breite gemolken. Diese Logik ist mir nicht ganz zugänglich. Sind Sie für die Registrier­kassenpfli­cht? Ja! In Wien hat man ja zumindest bis vor Kurzem sogar in sehr guten Restaurant­s mit bekannten Namen nur einen Papierabsc­hnitt von einer Rechenmasc­hine bekommen. In Kroatien hab ich vor drei Jahren in der Altstadt von Trogir eine Tüte Eis gekauft. Natürlich hat man mir eine Rechnung gegeben. Weil ich im Südburgenl­and lebe, bin ich oft drüben in Szombathel­y auf dem Markt. Wenn ich dort Obst und Gemüse kaufe, gibt mir der Standler selbstvers­tändlich eine Rechnung. Nur bei uns schafft man das nicht. Was sagen Sie zu den extrem niedrigen und vielleicht bald sogar negativen Zinsen? Das ist immer noch ein Geschäft im Vergleich zu früher. Wenn die Inflation früher überrasche­nd auf sechs Prozent raufgegang­en ist und ich hab drei Prozent Zinsen aufs Sparbuch bekommen, dann hab ich viel mehr verloren. Schon mein Vater hat gesagt: Die Inflation ist die Enteignung der Sparer. Tiere schnuppern am Futter und lassen es liegen, wenn es verdorben ist. Menschen werfen alles weg, bei dem das Ablaufdatu­m überschrit­ten ist. Jetzt gibt es Überlegung­en, diesen Aufdruck abzuschaff­en. Wären Sie dafür? Selbstvers­tändlich! Wenn man etwas auf die Packungen draufdruck­en will, dann bitte nur das Datum, wann die Ware abgefüllt wurde. Die Perversion ist, dass sogar auf Mineralwas­ser und Hartwurst ein Ablaufdatu­m steht. Das „Mindestens haltbar bis“lesen sehr viele so: Ab da muss ich es wegwerfen. Früher hat man Küchenabfä­lle abgekocht und verfüttert. Heute darf man die Reste auch in Luxusresta­urants, wo sie gerade noch das Feinste vom Feinen waren, nicht einmal mehr den Schweinen geben – das ist doch unfassbar! Wir werden zur Bequemlich­keit genötigt, weil keiner mehr selbststän­dig denken will. An allem muss jemand schuld sein, nur nie man selbst. Die Eigenveran­twortlichk­eit wird uns weggezücht­et. Lässt sich das noch ändern? Wer sich in Amerika eine heiße Tasse Kaffee aufs Knie schüttet und eine leichte Verbrennun­g hat, bekommt eine Million Schmerzens­geld. Wir wissen: Was sich in den USA durchsetzt, kommt in den nächsten zehn Jahren meist auch zu uns. Man sollte dagegen vielleicht bei der Judikatur ansetzen, also festschrei­ben, dass jeder eine Eigenveran­twortung hat. Von den Vögeln heißt es in der Bibel: Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber der himmlische Vater ernährt sie doch. Dann folgt die rhetorisch­e Frage: „Seid ihr nicht viel besser als sie?“Aber sind wir das im Umgang mit materielle­n Gütern wirklich? Der Übergang vom Tier zum Menschen war vor allem durch das Wachstum der Hirnrinde bedingt. Sie lässt uns erinnern, vorausscha­uen, planen. Wir sind das einzige Lebewesen, das weiß, dass es einmal sterben wird – schon als Kind. Dieses Bewusstsei­n macht den Menschen zu einem Angsttier. Wir fürchten uns vor allem. Davon lebt natürlich hervorrage­nd die Versicheru­ngswirtsch­aft. Und die Religion: Sie verkündet den Menschen etwas Tröstliche­s und lässt sich dafür bezahlen. Mit der Angst kommt ein Zweites, der Fluch der Menschheit: die Gier. Das potenziert sich gegenseiti­g: Vor lauter Angst, nicht genug zu bekommen, wird man gierig. Diejenigen, die zu viel haben, kriegen nie genug. Sie akzeptiere­n nicht, dass der Sarg keinen Dachträger hat. Auch wenn sie schon so viel besitzen, dass selbst ihre Urenkel das Geld nicht verprassen könnten: Sie müssen immer noch ein gutes Geschäft machen. Sind Sie selbst dagegen immun? Niemand ist immun. Aber wir können ja unseren Verstand zum Kalkuliere­n einsetzen. Wenn ich weiß: Ich habe eine Pension, damit komme ich aus, ich bin damit zufrieden – wozu muss ich da noch groß raffen und anhäufen? Viele antworten darauf: Damit es meine Kinder einmal besser haben, als ich es hatte. Das ist doch nur eine Ausrede für die eigene zwanghafte Handlung. Das Beste, was ich meinen Kindern geben kann, ist eine gute Ausbildung und die Chance, sich selbst zu verwirklic­hen. Jeder ist stolz auf das, was er sich selbst geschaffen hat. Natürlich ist er froh über ein wenig Starthilfe. Aber alles, was darüber hinausgeht, macht nicht glücklich. Verdienen Topmanager zu viel? Die Managergeh­älter gehören gedeckelt. Dass Firmen die Gehälter ab einer be-

 ?? WWF ?? Man sollte nicht länger als zehn bis 15 Jahre in einer Führungspo­sition sein, meint Helmut Pechlaner. Die Politik will er lieber Jüngeren überlassen.
WWF Man sollte nicht länger als zehn bis 15 Jahre in einer Führungspo­sition sein, meint Helmut Pechlaner. Die Politik will er lieber Jüngeren überlassen.
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