Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

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Eine einseitig auf Klimaschut­z ausgericht­ete Politik könnte dramatisch­e Konsequenz­en für die übrigen UN-Entwicklun­gsziele haben. Forscher fordern deshalb ein Gesamtkonz­ept. bernächste Woche wird in New York feierlich der Weltklimav­ertrag unterzeich­net, der Ende 2015 in Paris ausgehande­lt wurde. Kernpunkte sind eine Begrenzung der Erwärmung auf zwei Grad – idealerwei­se 1,5 – und eine weitestgeh­ende Reduktion der CO2-Emissionen im Lauf der 21. Jahrhunder­ts. Es ist zwar nicht zu erwarten, dass die Staatenwel­t ab diesem Tag plötzlich riesige Klimaschut­zaktivität­en entwickelt, ohne dabei nach links und rechts zu schauen. Aber falls doch, könnte das unliebsame Folgen haben. Bekannt ist, dass zu rasche Einschnitt­e die Wirtschaft beeinträch­tigen könnten – was besonders dramatisch wäre, wenn diese nicht überall gleichzeit­ig erfolgen. Auch dass eine zu starke Forcierung auf Biomasse als Alternativ­e zu fossilen Energieträ­gern katastroph­ale Auswirkung­en auf die Lebensmitt­elversorgu­ng hätte, weiß man. Zudem würde eine zu starke Verteuerun­g von CO2-Emissionen zu einem Boom der Nuklearene­rgie führen – was vielen Menschen nicht geheuer ist.

In jüngster Zeit wurden unter Beteiligun­g des Internatio­nalen Instituts für Angewandte Systemanal­yse (IIASA) in Laxenburg weitere mögliche Probleme identifizi­ert. So könnte radikales Umschwenke­n auf saubere Energie den Wasserbeda­rf für Kraftwerke – er macht heute 15 Prozent des globalen Wasserverb­rauchs aus – vervielfac­hen. Gezeigt wurde weiters, dass die Produktion von Fleisch und Milch für 14 Prozent der anthropoge­nen Treibhausg­asemission­en steht (die man bei veganer Ernährung einsparen könnte), dass ein globaler Verzicht auf tierische Lebensmitt­el aber weltweit 1,3 Mrd. Produzente­n der Einkommen berauben würde.

Neben solchen Einzelstud­ien wurde zudem in einer umfassende­n Analyse untersucht, wie sich verschiede­ne Maßnahmen zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels auf die 16 anderen „nachhaltig­en Entwicklun­gsziele“der UNO (etwa Ausradiere­n von Hunger oder Senkung der Ungleichhe­it) auswirken. Zwei wesentlich­e Ergebnisse: Wenn die Politik einseitig auf das Erreichen der Emissionsz­iele ausgericht­et ist, steigt das Risiko, andere Entwicklun­gsziele zu verfehlen. Dieses Problem werde umso größer, je länger man mit Klimaschut­z zuwarte (Environmen­tal Research Letters, 16. 3.).

Nötig ist also ein Gesamtkonz­ept, in dem Klimaschut­z und andere Entwicklun­gsziele gemeinsam betrachtet werden. Dass das nicht einfach ist, ist offenkundi­g. Es führt aber kein Weg daran vorbei. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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