Das Restaurant als unser Spiegel
Orte, an denen wir auswärts essen, verraten viel über die Gesellschaft, in der wir leben. Der Amerikanist Christoph Ribbat hat das in eine kleine Kulturgeschichte des Restaurants verpackt.
Natürlich kann man auch einfach über das Essen reden. Aber das ist nur ein Ausschnitt, und womöglich nicht einmal der spannendste. Denn neben der kulinarischen Ebene ist ein Restaurant auch ein Mikrokosmos, der viel über Ort, Zeit und nicht zuletzt das Leben der Menschen verraten kann. Etwa darüber, dass die Geschichte des europäischen Restaurants damit beginnt, dass Menschen keinen Hunger hatten oder zumindest so taten, als ob sie keinen hätten, wie es Christoph Ribbat beschreibt. Der deutsche Amerikanist setzt in seiner Kulturgeschichte des Restaurants die Anfänge ins Paris des Jahres 1760, in dem Unterernährung herrschte. Wer es sich leisten konnte, auswärts zu essen, war sensibel und löffelte nur ein Süppchen, um sich wiederherzustellen, sich mit der Bouillon – so entstand schließlich der Name – zu restaurieren.
Natürlich, Tavernen und Schenken gab es schon viel länger. Doch was das frühe Restaurant auszeichnete, war die Konzentration aufs Individuum. Man saß nicht mit Unbekannten an einer Tafel, sondern hatte einen eigenen Tisch. Wählte das Essen von einer Speisekarte. Die Einrichtung mit großen Spiegeln lud dazu ein, zu schauen und sich sehen zu lassen. Und man ließ sich Zeit. „Die Funktion des Restaurants beginnt mit einer Elite, die sich selbst darstellt“, sagt Ribbat. Nach der Französischen Revolution kamen auch die übrigen Pariser auf den Geschmack – bald breitete sich das Modell Restaurant aus, wenn auch für die Masse weniger nobel und günstiger. Ort des Rückzugs. Doch das Restaurant ist nicht Ort der Debatte, des Streits, wie es etwa in den Pariser Cafes´ – und später im Wiener Kaffeehaus – üblich war. Es ist ein Ort des Rückzugs, in dem Privatheit gegenüber der Öffentlichkeit die wichtigere Rolle einnimmt. Wobei Ribbat auch zugibt, dass die Definition, wo Restaurant endet und wo andere Gaststätten beginnen, nicht ganz trennscharf gemacht werden kann. Denn der Sprung vom vornehmen Restaurant zu den Burger-Ketten, wie sie in den 1920er-Jahren in den USA entstanden, ist doch ein großer. Aber auch die Ketten, die Fleischlaibchen in Brötchen servieren, sehen sich als Restaurants.
Und sie sind vor allem spannend, weil durch den Hamburger ein Gericht geschaffen wurde, auf das sich alle Amerikaner einigen konnten, über ethnische Identität und Schichten hinweg – Walt Anderson, der mit vier Imbissbuden in Wichita, Kansas, gestartet war, schuf mit White Castle die erste Fast-Food-Kette der USA, zu deren Identität es gehörte, dass alle gleich behandelt wurden. Der Burger wird für alle gleich lang gebraten, alle bekommen den gleichen Kaffee. Ein Sieg des Kollektivismus im sonst so individualistischen Amerika.
Ein System aber, das bei aller Standardisierung nicht ohne individuelle Note auskommt. So wird etwa in der McDonald’s-Akademie gelehrt, dass sich die Kundschaft nicht standardisiert fühlen soll. „Es gibt Anweisungen, dass man immer freundlich lächeln soll, aber immer anders. Damit jeder Kunde denkt, dass das Lächeln nur für ihn ist.“Der schöne Schein, den Ribbat als bezeichnend auch für die amerikanische Gesellschaft im Allgemeinen sieht. Für den Amerikanisten war vor allem der hoch effiziente, fast schon hektische Betrieb in US-Restaurants die Motivation, sich dem Thema kulturgeschichtlich anzunähern – über wissenschaftliche und literarische Texte, die er zu einer Collage montierte.
Dabei wirft er auch einen besonders genauen Blick auf die Welt jener Menschen, die im Restaurant arbeiten. Auf Kellner im Paris der 1920er -Jahre, die keinen Schnurrbart tragen durften, weil das den Köchen vorbehalten war –
„Im Restaurant“.
Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne, von Christoph Ribbat, Suhrkamp Verlag; 20,60 Euro
Der Autor.
Christoph Ribbat (geb. 1968) ist Professor für Amerikanistik an der Universität Paderborn. Er veröffentlichte unter anderem schon Bücher über Basketball und die Geschichte des Neonlichts. ein Zeichen der strengen Hierarchien. Aber auch auf Hygienemängel, auf Köche, die in die Suppe spuckten. Und, für einen Literaturwissenschaftler fast logisch, auch auf die Protagonisten dahinter – etwa auf Eric Blair, dessen erstes Buch sich all den schmutzigen Geheimnissen in Restaurants widmete. Er sollte später unter seinem Künstlernamen bekannt werden – George Orwell.
Das Restaurant, meint der Autor, dessen Buch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, sei auch ein Spiegel der Gesellschaft, an der man manches Phänomen ablesen kann. Von der Demokratisierung durch leistbare Gastronomie für alle bis zur Aufsplitterung in Extreme, die er für die jetzige Zeit konstatiert. „Es geht jetzt wieder auseinander – es gibt eine wirtschaftliche Elite, eine zerfallende Mittelschicht. Und das sieht man auch in der Gastronomie, auf der einen Seite Fast Food, auf der anderen eine wahnsinnig teure und raffinierte Küche für die Oberschicht.“Zumindest in Deutschland, glaubt Ribbat, fehle das breite gastronomische Segment dazwischen. Allerdings, und auch das mag ein Spiegel aktueller Entwicklungen sein: „Ein Vorteil des Immigrationszeitalters ist, dass die Mitte jetzt von Restaurants der Zuwanderer übernommen wird.“