Der burmesische Frühling
Burma, das bitterarme südostasiatische Land, wagt seine ersten Schritte als Demokratie: nach mehr als einem halben Jahrhundert brutaler militärischer Unterdrückung. Doch die Probleme sind mindestens genauso groß wie die Chancen.
Der opulente Jade-Buddha in Ranguns goldener Schwedagon-Pagode wirkt etwas einsam in seinem Schrein. In einer selten respektlosen Pose zeigen die Betenden der luxuriösen Statue demonstrativ den Rücken. Der Fremdenführer hält kurz inne. Dann aber lüftet er doch dieses Geheimnis des prachtvollsten Tempels der burmesischen Metropole: „Schauen Sie genau hin“, flüstert er. „Das Gesicht dieses Buddhas ähnelt doch sehr General Than Shwe. Das bringt Unglück.“
Der brutale und äußerst abergläubische Militärdiktator persönlich hatte angeblich die prunkvolle Statue während seiner Regierungszeit (1992-2011) hier aufstellen lassen. Hochrangige ausländische Besucher wurden angehalten, dem kostbaren Buddha Tribut zu zollen. Vor wenigen Jahren noch wäre es also für devote Burmesen undenkbar gewesen, den Jade-Buddha dermaßen augenscheinlich zu verachten. „Überall lauerten Sicherheitskräfte und Spitzel“, erinnert sich Thuya an die Zeit, als die Generäle sogar über das Gebet wachten.
Dieses lange, blutige Kapitel der Geschichte des südostasiatischen Landes scheint jetzt abgeschlossen zu sein. Nach mehr als einem halben Jahrhundert können die Burmesen heute wieder offen ihren Frust über Politiker kundtun: Im November fanden erstmals wirklich freie Wahlen statt, die auch vom Militär anerkannt wurden. Die Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gewann haushoch. Die neue Regierung ist seit wenigen Wochen im Amt, die Mehrheit der Minister stellt die NLD. Der neue Staatschef, Htin Kyaw, ist ein enger Freund der Freiheitsikone.
Suu Kyi selbst durfte nicht Präsidentin werden. Grund ist die von den Militärs entworfene Verfassung, die Burmesen mit ausländischen Verwandten das Amt verwehrt (Suu Kyis Kinder sind Briten). Trotzdem dirigiert die „Lady“das politische Geschehen: Sie ist nicht nur Außenministerin und Leiterin des Präsidialamtes. Sondern sie ließ sich vom Parlament auch einen eigenen Posten als „Staatsberaterin“schaffen und hat somit de facto die Kompetenzen einer Premierministerin. Innerhalb ihrer Partei wird keine Entscheidung ohne den Segen der „Lady“getroffen, heißt es in Rangun. Die „Lady“, ein Idol. Die „Lady“, die jahrelang von den Militärs im Hausarrest gehalten wurde, ist für viele ein Idol. Auch der Touristenführer sieht in ihr ein Symbol für Freiheit, Veränderung – und Hoffnung auf eine bessere Zukunft: „Ich freue mich so sehr, dass sie es endlich geschafft hat.“So richtig kann er aber nicht glauben, dass die alten Zeiten endgültig vorbei sind: „Die Armee kann jederzeit alles rückgängig machen.“Tatsächlich bleibt das Militär wichtiger Akteur der Politik: Die Generäle waren es schließlich, die die Öffnung zuließen – wohl auch, um die wirtschaftlich schmerzhaften Sanktionen loszuwerden und internationale Investoren in das bitterarme Land zu locken. Die armeenahe Partei USDP sicherte sich trotz Wahldebakels zentrale Ministerien sowie ein Viertel der Parlamentssitze, um Verfassungsänderungen blockieren zu können. Und sie setzte dem Präsidenten einen ihrer Hardliner als Vize zur Seite.
Die Aufbruchstimmung in Rangun wird davon nicht getrübt. Wie sehr sich die Dinge in nur wenigen Monaten verändert haben, zeigt die lebhafte Diskussion im kleinen Büro einer NGO im Zentrum der Fünf-Millionen-Einwohner-Metropole. Hier haben sich Vertreter der Parteien, Medien und der Zivilgesellschaft versammelt, um über die Zukunft zu reden. Sie werden von einem Pro-Demokratie-Programm der EU unterstützt, das unter anderem durch Training und Informationskampagnen die Wahl vorbereitet hat und nun den Demokratisierungsprozess weiter festigen will.
Einig sind sich jedenfalls alle Teilnehmer hier: Die von den Militärs diktierte Verfassung muss schleunigst reformiert werden. „Erst dann wird das Volk wirklich die Macht haben“, sagt Kyaw Swa Swe bestimmt. Seit seiner Studentenzeit in den 1990er-Jahren kämpft der Aktivist für Demokratie und Menschenrechte. Er hat deshalb lange Jahre in den gefürchteten Kerkern der Armee verbringen müssen.
Der um Jahre ältere Poet Aung Shin nickt. „Die Reform muss sein“, stimmt der hagere Mann Kyaw zu. „Aber der Übergangsprozess wird nicht einfach. Als Erstes brauchen wir eine nationale Versöhnung“, sagt er ruhig. Auch der prominente Dichter war jahrelang inhaftiert – und gefoltert – worden. Und trotzdem hörte er nie auf, über Freiheit und Bürgerrechte zu schreiben. Heute ist Aung Shin hochrangiges Mitglied der Partei San Suu Kyis.
Der Poet blickt zu seiner Seite, lächelt freundlich dem imposanten Tin Maung Oo zu, der in seiner Nähe sitzt. Der frühere Militär ist heute bei der Armee-Partei USDP, die er bis vor Kurzem auch im Parlament vertrat. „Das Militär hat bewiesen, dass es die Macht teilen will“, betont Tin Maung Oo. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass „die Wahl frei und fair“war. Doch auch er räumt ein, dass Burma eine Verfassungsreform braucht. Noch vor Diskussionsbeginn hat er dem Poeten ehrfurchtsvoll die Hand geschüttelt.
Ehemalige Feinde, die sich zulächeln, Ex-Militärs, die zu Demokraten mutieren: alles untrügliche Zeichen des „burmesischen Frühlings“, der auch in den staubigen Straßen Ran- guns zu sehen und zu spüren ist. NLDFahnen hängen an Fenstern, das Riesengraffito der strahlenden „Lady“schmückt eine Hauswand. Ihre Villa, in der sie von der Junta gefangen gehalten wurde, ist heute auch eine Touristenattraktion. Neben zerfallenden Kolonialgebäuden sprießen erste Hochhäuser mit Aircondition aus dem Boden. Schicke westliche Cafes´ finden sich Seite an Seite mit den allgegenwärtigen traditionellen Straßenmärkten: Seit der Öffnung 2011 strömt viel Geld aus dem Ausland nach Burma. Armut und Krieg. Burmas EU-Botschafter Roland Kobia nennt den Demokratisierungsprozess „eine beachtliche Erfolgsgeschichte. Schon allein die Tatsache, dass die Wahl vom Militär friedlich akzeptiert wurde, ist ein Erfolg.“Doch die Euphorie in der blutjungen Demokratie birgt auch Gefahren in sich: „Die Erwartungen an die Regierung sind enorm hoch. Viele Menschen glauben, dass sich die Dinge über Nacht ändern werden.“Die EU will Burma in diesem heiklen historischen Moment tatkräftig unterstützten: 688 Millionen Euro sollen in den nächsten sieben Jahren in humanitäre Projekte sowie friedens- und demokratiefördernde Programme fließen. Nur Afghanistan bekommt in Asien mehr Geld aus Brüssel.
Die Aufgabenliste ist lang in diesem Land, in dem die Probleme mindestens genauso groß sind wie die Chancen: In Teilen Burmas ist die Armee noch in einen erbitterten Krieg mit rebellischen ethnischen Gruppen verwickelt, radikal-nationalistische Buddhisten gewinnen an Zustimmung und eine ganze Bevölkerungsgruppe, die RohingyaMoslems, kämpft rechts- und staatenlos ums nackte Überleben. Hinzu kommen Korruption, grassierende Armut und marode Infrastruktur: Die immensen Reichtümer des einst wohlhabendsten Land Südostasiens – Mineralien, Edelmetalle, kostbare Steine, Rohstoffe und Holz – wurden über die Jahre von den Militärs geplündert. Die Junta wirtschaftete das Land in Grund und Boden: Im UN-Wohlstandsindikator HDI
Ex-Militärs mutieren zu Demokraten. Und Poeten gehen in die Politik.