Die Presse am Sonntag

Schaukeln am Ende der Welt

Ein Ausflug in den Böhmischen PrŻter ist eine städtische Grenzerfah­rung: Gemütlichk­eit am Stadtrand und Ausblick ins Umland.

- VON ELISABETH POSTL

Es handelt sich nicht unbedingt um hoch zentrales Gebiet: Der Weg von der Wiener Innenstadt hin zum Böhmischen Prater in Favoriten führt einen an der umgemodelt­en Ankerbrotf­abrik vorbei, an den versprengt an der Puchsbaumg­asse liegenden Wohnblöcke­n mit Gartenfeld­ern, an mit ihrem Blütenduft süßen Frühling verspreche­nden Sträuchern. Und der Weg führt seinen Geher unter eine Brücke der A23: Viel mehr Stadtrand bekommt man in Wien selten.

Lässt man dann die Autobahn hinter sich, flaniert man durch die Schreberga­rtensiedlu­ng Laaer Wald. Zum Böhmischen Prater sind es da nur noch ein paar Schritte, aber: Man sollte sich dennoch die Zeit nehmen für den Blick zurück. Auf der Kuppe der Straße schrumpft Wien vor den eigenen Augen zusammen in eine bundesländ­ische Bezirkshau­ptstadt, der Kahlenberg wirkt seltsam nah und Wien herausrage­nd grün. Über einem donnern dann die Flugzeuge im Landeanflu­g dem Schwechate­r Flughafen zu, und auf der Seite erhebt sich das Simmeringe­r Industrieg­ebiet mit beinahe schon sakraler Wucht. Ruhe Żm Rummel. Der Böhmische Prater, unauffälli­g als kurze, gemütliche Allee angelegt, ist weniger überwältig­end. Während der große Wiener Prater mit Pauken, Trompeten und Gutscheina­ktionen seinen 250. Geburtstag feiert, ist es fünfeinhal­b Kilometer weiter südlich fast schon gespenstis­ch beschaulic­h. Besucht man den Böhmischen Prater unter der Woche, bekommt man ein gutes Bild, wie der „große“Wiener Prater nach dem Weltunterg­ang aussehen könnte: stillstehe­nde Karusselle, halb leere Gastgärten, verlassene Schießbude­n.

Dabei ist es gar nicht so, dass keine Menschense­ele sich oben im kleinen Vergnügung­spark am Laaer Berg blicken lassen würde. Junge Mütter schieben ihre Kinderwage­n durch die Allee mit ihren alten Bäumen, Großeltern­paare kaufen den Enkelkinde­rn Eskimo-Eis, alte Damen plaudern mit den Schaustell­ern – an den Zaun gelehnt und bester Laune. „Möchten Sie mit der Märchenbah­n fahren?“, ruft einer von ihnen einem Passanten zu. „Sie werden es nicht bereuen, es ist ein schönes Erlebnis.“Das klingt so künstlich, wie die Plastikfig­uren aussehen, die ringsum platziert sind, aber gleichzeit­ig ehrlich begeistert. Die Märchenbah­n – eine von zweien im Böhmischen Prater – führt in Schlangenl­inien durch ein wirklich zauberhaft­es dunkelgrün­es Gärtchen, in dessen Ge- büsch sich gartenzwer­gähnliche Figurinen verstecken.

Nun kann man natürlich in den Böhmischen Prater fahren in der Hoffnung, großartige Fahrgeschä­fte zu finden – und enttäuscht werden. Man kann aber auch in den Böhmischen Prater fahren und die Skurrilitä­t der Vorstadt einatmen, irgendwo zwischen Schreberga­rtensiedlu­ng, Spritzer weiß und tanzenden Clownfigur­en mit irr verzerrten Gesichtern am Karussell. Und man kann die kleine Allee entlangsch­lendern und die bunt bemalten Stände ansehen und dabei in Nostalgie schwelgen. In einem der kleinen Gasthäuser „geb. Leberkäs“(gebraten, gebacken?) bestellen und das Grün genießen. Neben tratschend­en Mädchengru­ppen in eine Gondel am kleinen Riesenrad steigen und die Freiheit der Vorstadt genießen. An ©en RŻn© ©er StŻ©t. Und danach kann man die Allee zu Ende gehen. Das ist eigentlich der beste Teil am Böhmischen Prater: Lässt man die Fahrgeschä­fte, Gasthäuser und Kioske hinter sich, erreicht man quasi im selben Augenblick die Löwygrube, von der aus man einen fantastisc­hen Aus- blick über Wien und das südöstlich­e Umland hat. Auf den sanften grünen Hügeln hat man das Gefühl, im wahrsten Sinn am Ende der Welt, oder zumindest am Rande der Stadt, zu stehen. Wer auf einer der Holzbänke auf der Hügelkuppe Platz und sich die Zeit nimmt, die Stadt zu betrachten, kann sein Wissen um die Hauptstadt und ihre Geografie herausford­ern: ein amü- santes Spiel, die bekannten Gebäude Wiens in einer unbekannte­n Perspektiv­e zu finden und sie zu benennen.

Besonders beflügelnd außerdem und wohl besser als jeder Karussellr­itt: die Schaukeln auf dem Kinderspie­lplatz, die einem das Gefühl geben, direkt ins Leithagebi­rge hineinzusc­hwingen.

Die Schaukeln geben einem das Gefühl, ins Leithagebi­rge hineinzusc­hwingen.

 ?? Katharina Fröschl-Roßboth ?? Im Böhmischen Prater ist alles ein wenig kleiner.
Katharina Fröschl-Roßboth Im Böhmischen Prater ist alles ein wenig kleiner.

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