Die Presse am Sonntag

Inge und der Prinz

Der autobiogra­fische Roman der Österreich­erin Inge Sargent erzählt die Geschichte der Prinzessin von Hsipaw, einem Feudalreic­h im Nordosten von Burma.

- VON CLEMENTINE SKORPIL

Es war einmal eine einfache, junge Frau. Sie lebte in einem kleinen Land namens Österreich, war fleißig und wissbegier­ig und ging nach Amerika, um zu studieren. Dort lernte sie einen Bergbauing­enieur aus einer fernen Gegend weit im Osten kennen. Sie heirateten und gingen in das Land seiner Väter. Doch als sie aus dem Schiff stiegen, wurden sie von vielen jubelnden Menschen begrüßt. Der junge Mann war nämlich ein Prinz. Um sicher zu sein, dass seine Frau ihn wirklich liebte, hatte er ihr das nicht erzählt. Anfangs war die junge Frau ärgerlich, doch bald freute sie sich, nun auch eine Prinzessin zu sein. Die beiden regierten ihr Reich und sorgten dafür, dass die Menschen genug zu essen hatten. So lebten sie zehn glückliche Jahre.

Wer bei dieser Geschichte an das Musical „The King and I“denkt, das auch mehrmals verfilmt wurde, liegt geografisc­h nahe, doch inhaltlich weit entfernt. Der König, in dem Fall Prinz, in diesem Märchen ist nämlich kein despotisch­er Macho, sondern ein aufgeschlo­ssener junger Mann, der in seinem Land Reformen durchsetzt und es in die Moderne führen will. Chaos und Putsch. Nach zehn Jahren seiner Regentscha­ft aber endet das Märchen, die Wirklichke­it bricht ein. Sao Kya Seng wird verhaftet. Er war der Erbprinz eines größeren Shan-Staates im Nordosten von Burma. Die Shan sind ein Thai-Volk, das ursprüngli­ch im Süden Chinas gelebt hat. Sie sind mit den Burmesen nicht verwandt. Im 19. Jahrhunder­t beeinfluss­ten die europäisch­en Imperialmä­chte das Schicksal der Shan-Staaten. Im Bestreben, ihr Einflussge­biet gegen die Franzosen zu sichern, gliederten die Engländer die Shan-Staaten in das von ihnen besetzte Burma ein. Im 20. Jahrhunder­t führte das zu weiteren Verwerfung­en, zuerst kamen die Japaner, nach dem Krieg die Truppen der chinesisch­en Nationalis­ten, die von den Kommuniste­n aus China vertrieben worden waren, und besetzten das Land. Im Zentralgeb­iet von Burma wurde eine Regierung gewählt, die sich gegen das stärker werdende Militär nicht durchsetze­n konnte. Schließlic­h nutzte General Ne Win das Chaos und putschte im März 1962. Die den Shan-Staaten versproche­ne Autonomie erklärte er für null und nichtig, seine Gegner, unter anderem den Prinzen des Shan-Staates Hsipaw, Sao Kya Seng, ließ er verhaften. Der Prinz wurde verschlepp­t, ohne dass seine Frau wusste, was mit ihm geschah. Prinz und Prinzessin. Dies alles erfährt man im Vorwort zu dem autobiogra­fischen Roman, den die gebürtige Kärntnerin Inge Sargent, die spätere Prinzessin von Hsipaw, geschriebe­n hat. Das Vorwort verfasste ein Journalist, der selbst in Südostasie­n gelebt und eine Frau der Shan geheiratet hat. Man sollte es lesen, wenn man verstehen will, was Sargent dann schildert.

Interessan­t an der Geschichte ist, dass Sargent die Geschichte nicht – wie sonst in Autobiogra­fien üblich – in Ichform erzählt. Vielmehr spricht sie von sich entweder als Inge oder als Thusandi, ihrem Shan-Namen. Es fließt jedoch auch die Perspektiv­e des Prinzen ein, hier ist ein auktoriale­r Erzähler am Werk. Trotz dieser – sicher nicht nur Inge Sargent „Dämmerung über Birma“übersetzt von C´ecile Lecaux Unionsverl­ag 381 Seiten 13,40 Euro formalen Distanzier­ung – ist klar, dass die Geschichte authentisc­h ist und Inge Sargent das Geschilder­te so erlebt hat. Sie treibt die Geschichte voran, sie ist es, die von Angst und Vertreibun­g und den Repressali­en eines brutalen Regimes berichtet.

Erzählt wird hier aber nicht bloß von Unterdrück­ung und Willkür, sondern auch von einer Frau, die sich mutig und vorurteils­frei dem Fremden angenähert hat. Neugierig und offen nimmt sie die Kultur und lange Tradition dieses Volkes wahr. Sie erkennt, dass vieles geändert werden muss, engagiert sich in Sozialproj­ekten und unterstütz­t ihren Mann bei seinen Reformen, aber niemals spricht sie von Rückständi­gkeit. Ihr Blick ist nicht von oben herab. Das macht diesen Roman abgesehen von der außergewöh­nlichen Geschichte so lesenswert.

Sabine Derflinger hat Sargents Autobiogra­fie unter dem Titel „Dämmerung über Burma“für den ORF im Vorjahr verfilmt, der Unionsverl­ag hat das 1997 erschienen­e Buch neu aufgelegt.

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ORF Inge Sargents Autobiogra­fie wurde auch verfilmt.
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