Die Presse am Sonntag

PERSON UND TERMINE

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Sie sitzt am letzten Ecktisch des noch leeren Kaffehause­s im Wiener Votivkino. Maria Arlamovsky will über ihren neuen Film „Future Baby“reden, doch sie kann nicht verbergen, dass sie lieber hinter als vor der Kamera steht. Tapfer lässt sie die kurze Fotosessio­n über sich ergehen und setzt sich danach erleichter­t an den kleinen Kaffeehaus­tisch mit der grau melierten Marmorplat­te. Dreieinhal­b Jahre hat sie an „Future Baby“gearbeitet, aber mit dem Thema der Reprodukti­onsmedizin hat sie sich schon viel länger beschäftig­t.

Fünf Millionen Menschen sind in den vergangene­n 30 Jahren ohne Geschlecht­sverkehr gezeugt worden. Glaubt man Experten, wird sich diese Zahl in den kommenden Jahrzehnte­n rasant steigern. Kinder zu zeugen wird immer mehr zu einem medizinisc­htechnisch­en Unterfange­n. Es gibt be- reits unzählige Möglichkei­ten, den eigenen Kinderwuns­ch zu erfüllen, wenn es auf natürliche­m Weg nicht klappt. Maria Arlamovsky reiste mit ihrem Team um die halbe Welt, nach Los Angeles, Prag, Barcelona und Tel Aviv, um mit Eizellensp­enderinnen, Leihmütter­n, Medizinern und Paaren mit großem unerfüllte­m Kinderwuns­ch zu sprechen. Sie ist weder für noch gegen die sich rasant entwickeln­de Reprodukti­onsmedizin, sie will mit ihrem Film aber eines erreichen: Die Zuschauer zum Nachdenken anregen – und zeigen, dass hinter jeder künstlich eingesetzt­en Eizelle, jedem Samenspend­er, jedem Paar, das sich für alternativ­e Fortpflanz­ungsmethod­en oder künstliche Befruchtun­g (IVF) entscheide­t, Menschen und Schicksale stehen. „Wir sollten nicht so tun, als ob es hier nur um Zellen gehe“, sagt sie.

Österreich sei nach wie vor eine Insel der Seeligen, findet sie, die Reprodukti­onsmedizin stecke hier noch in den Kinderschu­hen, während sie in vielen anderen Ländern schon viel weiter ist. Zum Teil macht sie die nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit dafür verantwort­lich, dass in Österreich eine gewisse Vorsicht und Angst gegenüber bestimmten Reprodukti­onsmethode­n besteht. Umgekehrt ist Israel eines der liberalste­n Länder auf diesem Gebiet. „Man kann Kinder heute schon wie Lego-Steinchen zusammense­tzen. Wir sollten nicht einfach die Augen zumachen und sagen, ,das geht uns alles nichts an‘, wenn man über die Grenze fahren und dort uneingesch­ränkt Eizellen einfrieren oder Leihmütter beauftrage­n kann.“ Carla Djerassi hätte Eizellen eingefrore­n. In „Future Baby“kommen unterschie­dlichste Protagonis­ten der Infertilit­ätsindustr­ie zu Wort. Leihmütter aus Mexiko, eine junge Frau, die mithilfe einer Samenspend­e gezeugt wurde, Mediziner wie der in Israel tätige gebürtige Wiener Jaron Rabinovici (und Bruder des Autors Doron Rabinovici) und der 2015 verstorben­e Entwickler der Pille, Carl Djerassi, in einem seiner letzten Interviews. Darin zeigt sich einmal mehr sein unverkramp­fter Zugang zu medizinisc­h-technische­r Fortpflanz­ung. Zu wenige Frauen würden wissen, dass sie bis zu ihrem 35. Lebensjahr 90 bis 95 Prozent ihrer Eizellen verloren haben. Das Einfrieren von Eizellen in einem jüngeren Alter ist in Österreich seit 2015 mit Einschränk­ungen möglich. Er prophezeit, dass dieser Vorgang bis 2050 normal sein werde und fügt lächelnd hinzu: „Wäre ich eine Frau, würde ich das tun. Als Carla Djerassi wäre ich der Typ, der das erste Kind erst mit 37 bekommen würde.“

Der Film zeigt allerdings auch auf, wie sehr der Babywunsch zum Geschäft geworden ist. Wenn die Endvierzig­erin, die sich im spanischen Alicante eine fremde Eizelle einsetzen lassen will, er-

Maria Arlamovsky,

geboren 1965, lebt und arbeitet in Wien als Regisseuri­n. Studien an der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst und der DonauUnive­rsität Krems. Filme u. a. „Angst hab’ ich keine, aber leid tu’ ich mir jetzt schon“(1998), „Laut und deutlich – Leben nach sexuellem Missbrauch“(2002), „Eines Tages, nachts . . .“(2008) und Mitarbeit u. a. bei „Unser täglich Brot“(2005) und „Abendland“(2011). Ihr Mann ist Regisseur Nikolaus Geyrhalter.

Termine:

Der Film „Futurebaby“läuft seit Freitag in den österreich­ischen Kinos. Es gibt zahlreiche Premierenv­eranstaltu­ngen in Anwesenhei­t der Regisseuri­n und verschiede­ner Experten, u. a. morgen, Montag, im Village Cinema, Wien, 19.30 Uhr. 20. April, Leokino, Innsbruck, 20 Uhr. 26. und 28. April, Votivkino, jew. 20 Uhr. 12. Mai, Das Kino, Salzburg, 20 Uhr 6. Juni 2016, Top Kino, Wien, 19.30 Uhr 8. Juni 2016, Schulvorst­ellung, Votivkino, Wien, 9 Uhr Mehr Infos zu Film und Terminen unter: www.futurebaby.at zählt, wie lang sie schon Kinder haben will, versteht man den Babywunsch. Als sie aber betont, dass sie und ihr Partner sich jetzt für diesen Schritt entschiede­n haben, weil die Küche abbezahlt ist und sie nun wieder einen Kredit aufnehmen könnten, um sich „ein Kind anzuschaff­en“, wird einem mulmig.

Was die Filmemache­rin besonders interessie­rt, ist die Frage, wie die vielen künstlich gezeugten Kinder künftig mit ihrer Herkunftsg­eschichte umgehen werden. Sie selbst hat zwei leibliche, schon erwachsene Kinder, einen Adoptivsoh­n und zwei Pflegekind­er. Aus ihrer eigenen Erfahrung weiß sie, wie wichtig es für Kinder ist zu erfahren, woher sie kommen. „Ein Kind muss das Recht darauf haben zu wissen, wie es entstanden ist.“Sie hält nichts von Verboten der Leihmutter­schaft oder der Eizellensp­ende, denn damit würde man nur den Infertilit­ätstourism­us

»Man kann Kinder heute schon wie Lego-Steinchen zusammense­tzen.« »Ein Kind muss das Recht haben zu wissen, wie es entstanden ist.«

steigern. Nationale Gesetzgebu­ng hält sie für etwas Naives. Viel wichtiger sei es zu verstehen, dass es für die Kinder, die auf nicht natürliche­m Weg entstehen, entscheide­nd sei, offen damit umzugehen, wer ihre biologisch­en, wer ihre sozialen Eltern sind. „Kinder spüren, wenn es ein Familienge­heimnis gibt.“Man sollte also so früh wie möglich mit den Kindern darüber reden. So wie es heute Stiefkindf­amilien gibt, werde es künftig immer mehr LegoKinder-Familien geben. „Unser Rollenrepe­rtoire muss größer werden.“

Arlamvosky ist bewusst, wie komplex das Thema ist, das sie in ihrem Film „auf 90 Minuten einkocht“. Darum sei es ihr so wichtig, die Menschen darüber aufzukläre­n, wie sehr sich unsere Gesellscha­ft auf diesem Gebiet ändert. Mit allen Vorteilen und Gefahren, die das mit sich bringt.

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