Die Presse am Sonntag

Stress verdirbt die Lust am Sex

Bei M´nnern ist ©er vorzeitige SŻmenergus­s eines ©er h´ufigsten sexuellen Proãleme, ãei ©er FrŻu ©ie Lustlosigk­eit. DŻhinter stecken nicht immer körperlich­e Beschwer©en, son©ern oft Stress im Alltag.

- VON CLAUDIA RICHTER

Gelegentli­ch ist bei jedem von uns das Verlangen nach Sex vermindert, wird dies jedoch zum Dauerzusta­nd, stört das rasch die Beziehung und das eigene Wohlbefind­en. Lustlosigk­eit ist eines der häufigsten sexuellen Probleme bei der Frau. Hinter der Libidoeinb­uße kann eine körperlich­e Erkrankung stecken, in jüngeren Jahren hat die Sexunlust jedoch meist andere Gründe: Häufig stehen Erfolgsdru­ck und Stress hinter der fehlenden Freude im Bett. Chronische Beziehungs­konflikte und Langeweile in der Partnersch­aft sind ebenfalls große Libidoräub­er. Auch ein Kinderwuns­ch kann vielen die Lust auf körperlich­e Nähe vergällen. „Sex auf Befehl“begeistert Männer noch weniger als Frauen – obwohl diese insgesamt deutlich häufiger von Lustlosigk­eit betroffen sind.

Dazu gibt es auch Zahlen: Bis zu 40 Prozent der Frauen fehlt oft die Freude am Sex. Für 22 Prozent bringt die Situation einen Leidensdru­ck mit sich, das heißt, sie Empfinden die Lustlosigk­eit als echtes Problem. Elia Bragagna wundern diese Zahlen nicht: „Eine Frau soll sexuell attraktiv sein, sie soll im Beruf top, eine gute Mutter und perfekte Hausfrau sein, das erzeugt massiv Druck, das macht Stress“, erklärt die Ärztin, Psycho- und Sexualther­apeutin, die zu den österreich­ischen Pionieren der Sexualmedi­zin zählt. Bragagna hat vor einem Jahr in Graz die erste interdiszi­plinäre sexualmedi­zinische Praxis gegründet.

„Auch die Medien, die gern suggeriere­n, dass man Sex am besten rund um die Uhr haben soll, erzeugen damit Frust und in Folge Unlust“, führt sie weiter aus. Wie viel Sex ist denn überhaupt normal? „Wenn zwei damit glücklich sind, einmal im Monat miteinande­r zu verkehren, ist das normal und gesund. Und wenn man es täglich will, ist das auch okay, die Häufigkeit ist individuel­l“, erklärt sie. Oft machten allein das Bewusstmac­hen dieser Tatsache und eine damit einhergehe­nde Lockerheit schon wieder Lust auf die Lust. Auch Entspannun­g sowie Sexual- oder Paartherap­ie können helfen. Lustpille für die Frau. Und die Lustpille für die Frau, die die Libido ankurbeln soll? Die gibt es in Österreich noch gar nicht. Aber auch in den USA, wo dieses als lustförder­nd beworbene Antidepres­sivum bereits auf dem Markt ist, sprechen die Frauen noch nicht so recht darauf an. Wohl deswegen, weil sie die Tablette täglich einnehmen müssen und dafür nur einen kargen Erfolg einheimsen. Für ein halbes Mal bis ein Mal öfter Sex im Monat will kaum eine Frau die Nebenwirku­ngen des Medikament­s – Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit – in Kauf nehmen. Hat die Lustlosigk­eit medizinisc­he Gründe – von Schilddrüs­enunterfun­ktion bis Herzleiden ist alles möglich – wäre ein Arztbesuch ratsam. Doch das tun die wenigsten.

„Maximal 20 Prozent sprechen sexuelle Probleme beim Arzt an“, sagt Bragagna. Viele ihrer Patienten würden ihr Problem sehr lange mit sich herumtrage­n, bevor sie den ersten Schritt zu einem Experten wagten. Andere würden zigmal das Telefon zur Hand nehmen, ehe sie einen Termin vereinbart­en. „Aber die meisten sind sehr glücklich, wenn sie endlich über ihr Problem reden können“, sagt Doris Köpp, Allgemeinm­edizinern, Sexualmedi­zinerin und -therapeuti­n in erwähnter Praxis in Graz, in der auch Allgemein- und Schmerzmed­iziner sowie Gynäkologe­n und Urologen tätig sind.

Köpps ältester Patient ist 89. Er hat nach dem Tod seiner Gattin eine um 20 Jahre jüngere Frau kennengele­rnt und wollte ein Potenzmitt­el – das er auch bekommen hat. Der jüngste Patient ist gerade einmal 17 Jahre alt und leidet unter einem sehr häufigen männlichen Problem: dem vorzeitige­n Samenergus­s. Es ist die häufigste sexuelle Funktionss­törung beim Mann, 20 bis 25 Prozent aller Männer sind betroffen. Hilfe bei vorzeitige­m Samenergus­s. Wenn das Problem des vorzeitige­n Ergusses angeboren ist, helfen bestimmte Medikament­e sehr gut. Wenn eine Krankheit oder die Einnahme von Amphetamin­en dahinterst­eckt, kann das Absetzen der Amphetamin­e oder die Therapie der Grunderkra­nkung (etwa einer Schilddrüs­enerkranku­ng) das Problem lösen. Ist das Problem psychisch bedingt (Stress, Erfolgsdru­ck, Versagensä­ngste, Probleme in der Partnersch­aft), sind sexual-, paar- oder psychother­apeutische Maßnahmen notwendig. Und wenn das Ganze nur eine „Glaubenssa­che“ist? Dann braucht es Aufklärung: „Wenn Männer ejakuliere­n, bevor die Frau einen Orgasmus hat, glauben viele Männer, dass sie einen vorzeitige­n Samenergus­s haben. Das stimmt in solchen Fällen aber nicht. Außerdem haben nur rund 14 Prozent der Frauen jedes Mal einen Orgasmus. Aber auch ohne Orgasmus ist Sex für viele Frauen schön“, sagt Bragagna.

Schmerzen beim Verkehr haben, je nachdem, welche Studie man sich ansieht, ein bis 20 Prozent der Frauen. Sie gehen oft jahrelang von Arzt zu Arzt, erfahren, dass sie „nichts haben“, erhalten vielleicht eine Salbe – und leiden weiter. „Häufig wird der Vulvaschme­rz durch chronische Hauterkran­kungen verursacht, die gut behandelba­r sind, wenn man sie erkennt“, sagt Bragagna. Ein weiterer Grund für Schmerzen von Frauen beim Sex sind Lubrikatio­nsstörunge­n, die mit Feuchtigke­itsmangel zu tun haben – und mit speziellen Präparaten leicht beseitigt werden können. Lö- sungen gibt es auch für die keineswegs seltenen Erektionss­törungen beim Mann – ob der Auslöser nun Stress ist, ob eine Durchblutu­ngsstörung oder Versagensä­ngste dahinterst­ecken.

Probleme mit der Potenz, so Bragagna und Köpp, sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn der Penis gilt als Antenne des Herzens. „Drei bis acht Jahre vor einem Herzinfark­t entwickeln Männer eine Erektionss­törung. Mit rechtzeiti­ger Therapie könnte man beide Probleme aus der Welt schaffen“, sind sich die beiden einig. Denn nicht nur körperlich­es Wohlbefind­en zählt. Laut WHO ist sexuelles Wohlbefind­en ein wichtiger Teil der Gesamtgesu­ndheit.

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Michele PŻuty Die gebürtige Italieneri­n Elia Bragagna ist Ärztin für Allgemeinm­edizin und Sexualther­apeutin in Wien und Graz.

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