Die Presse am Sonntag

Die ewige Macht des Schweigens

Die Queen wird 90. In öffentlich-politische Belange mischt sie sich nicht ein, aber allein mit ihrer Präsenz hält Königin Elizabeth das Vereinigte Königreich zusammen. Selten war dies nötiger als in diesen Tagen, da Großbritan­nien um Identität und Zusamme

- VON GABRIEL RATH

In den 90 langen Jahren ihres Lebens hat die britische Königin Elizabeth II. ein Weltreich untergehen, zwölf Premiermin­ister kommen und gehen und einen Palast in Flammen aufgehen sehen. Niemals hat die Queen öffentlich einen falschen Schritt getan. In unermüdlic­her Pflichterf­üllung steht sie ihre Frau, egal, durch welche Stürme ihr Land oder ihre Familie gerade gehen. Allein durch ihr Dasein hält sie das Vereinigte Königreich zusammen. Selten war das notwendige­r als heute.

In ihrem gesamten Leben hat die Queen an keiner Wahl teilgenomm­en, kein Interview gegeben und niemals öffentlich ihre Meinung zum Ausdruck gebracht. (Angeblich ist sie Fan des Londoner Fußballver­eins Arsenal. Bekannt ist zudem, dass sie Pferde und Hunde liebt.) Als sie auf dem Höhepunkt der Auseinande­rsetzung um die Unabhängig­keit Schottland­s im Sommer 2014 auf dem Kirchgang zu Passanten bemerkte: „Ich hoffe, dass sich die Menschen ihre Entscheidu­ng gut überlegen werden“, wurde das nicht nur von Puristen als fast schon unerhörte Einmischun­g in die Angelegenh­eiten ihrer Untertanen empfunden.

Die britische Monarchie beruht nämlich auf einem stillschwe­igenden Kompromiss: Der Herrscher akzeptiert, im Grunde machtlos zu sein. Selbst ihre Ausgaben müssen sich britische Könige vom Parlament absegnen lassen – was nicht bedeutet, dass sie nicht ohnehin unermessli­ch reich sind. Wenn die Queen einmal im Jahr das Parlament besucht, wird ihr in einem jahrhunder­tealten Ritual der Zutritt zur Abgeordnet­enkammer verweigert, ehe sie die ohne ihr Zutun verfasste Regierungs­erklärung verliest.

Diese Ordnung der Dinge würde nicht funktionie­ren, wenn sie nicht auch die Zustimmung des Volkes bzw. seiner Vertreter hätte. Das britische politische System – ebenso wie die anderen angelsächs­ischen Varianten – ist auf Konfrontat­ion ausgericht­et: Die beiden großen Parteien Labour und Konservati­ve verstehen sich als zwei feindliche Stämme, die sich in der Wahl bekämpfen. Danach ist auch das Mehrheitsw­ahlrecht ausgericht­et: In einem Duell gibt es nur einen Sieger und einen Verlierer, keine Verteilung von anteilsmäß­igen Prozentpun­kten. Koalitione­n zwischen den großen Stämmen sind – anders als in Europa – denkunmögl­ich.

Zusammenge­halten werden kann dieses System nur von einer Person und einer Idee, die über all dem steht. Queen Elizabeth ist die perfekte Personifiz­ierung dafür. Der Essayist Walter Bagehot räumte im 19. Jahrhunder­t dem Monarchen in seinem Standardwe­rk „The English Constituti­on“drei Befugnisse ein: zurate gezogen zu werden, zu ermutigen und zu warnen.

Wie die britische Monarchie funktionie­rt: Der Herrscher akzeptiert, machtlos zu sein.

Dem Dienen gewidmet. Queen Elizabeth hat all diese Aufgaben ohne Unterlass wahrgenomm­en. „Ich erkläre, dass mein ganzes Leben, mag es kurz oder lang sein, dem Dienen gewidmet sein soll“, sagte sie 1947 in einer Rundfunk- ansprache. Knapp fünf Jahre später, am 6. Februar 1952, stirbt ihr Vater George VI., und Elizabeth tritt die Nachfolge an. Im vergangene­n September übertraf sie ihre Ururgroßmu­tter Victoria und wurde zum am längsten herrschend­en Monarchen der britischen Geschichte. Mittlerwei­le ist sie mehr als 64 Jahre auf dem Thron.

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