Die ewige Macht des Schweigens
Die Queen wird 90. In öffentlich-politische Belange mischt sie sich nicht ein, aber allein mit ihrer Präsenz hält Königin Elizabeth das Vereinigte Königreich zusammen. Selten war dies nötiger als in diesen Tagen, da Großbritannien um Identität und Zusamme
In den 90 langen Jahren ihres Lebens hat die britische Königin Elizabeth II. ein Weltreich untergehen, zwölf Premierminister kommen und gehen und einen Palast in Flammen aufgehen sehen. Niemals hat die Queen öffentlich einen falschen Schritt getan. In unermüdlicher Pflichterfüllung steht sie ihre Frau, egal, durch welche Stürme ihr Land oder ihre Familie gerade gehen. Allein durch ihr Dasein hält sie das Vereinigte Königreich zusammen. Selten war das notwendiger als heute.
In ihrem gesamten Leben hat die Queen an keiner Wahl teilgenommen, kein Interview gegeben und niemals öffentlich ihre Meinung zum Ausdruck gebracht. (Angeblich ist sie Fan des Londoner Fußballvereins Arsenal. Bekannt ist zudem, dass sie Pferde und Hunde liebt.) Als sie auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Unabhängigkeit Schottlands im Sommer 2014 auf dem Kirchgang zu Passanten bemerkte: „Ich hoffe, dass sich die Menschen ihre Entscheidung gut überlegen werden“, wurde das nicht nur von Puristen als fast schon unerhörte Einmischung in die Angelegenheiten ihrer Untertanen empfunden.
Die britische Monarchie beruht nämlich auf einem stillschweigenden Kompromiss: Der Herrscher akzeptiert, im Grunde machtlos zu sein. Selbst ihre Ausgaben müssen sich britische Könige vom Parlament absegnen lassen – was nicht bedeutet, dass sie nicht ohnehin unermesslich reich sind. Wenn die Queen einmal im Jahr das Parlament besucht, wird ihr in einem jahrhundertealten Ritual der Zutritt zur Abgeordnetenkammer verweigert, ehe sie die ohne ihr Zutun verfasste Regierungserklärung verliest.
Diese Ordnung der Dinge würde nicht funktionieren, wenn sie nicht auch die Zustimmung des Volkes bzw. seiner Vertreter hätte. Das britische politische System – ebenso wie die anderen angelsächsischen Varianten – ist auf Konfrontation ausgerichtet: Die beiden großen Parteien Labour und Konservative verstehen sich als zwei feindliche Stämme, die sich in der Wahl bekämpfen. Danach ist auch das Mehrheitswahlrecht ausgerichtet: In einem Duell gibt es nur einen Sieger und einen Verlierer, keine Verteilung von anteilsmäßigen Prozentpunkten. Koalitionen zwischen den großen Stämmen sind – anders als in Europa – denkunmöglich.
Zusammengehalten werden kann dieses System nur von einer Person und einer Idee, die über all dem steht. Queen Elizabeth ist die perfekte Personifizierung dafür. Der Essayist Walter Bagehot räumte im 19. Jahrhundert dem Monarchen in seinem Standardwerk „The English Constitution“drei Befugnisse ein: zurate gezogen zu werden, zu ermutigen und zu warnen.
Wie die britische Monarchie funktioniert: Der Herrscher akzeptiert, machtlos zu sein.
Dem Dienen gewidmet. Queen Elizabeth hat all diese Aufgaben ohne Unterlass wahrgenommen. „Ich erkläre, dass mein ganzes Leben, mag es kurz oder lang sein, dem Dienen gewidmet sein soll“, sagte sie 1947 in einer Rundfunk- ansprache. Knapp fünf Jahre später, am 6. Februar 1952, stirbt ihr Vater George VI., und Elizabeth tritt die Nachfolge an. Im vergangenen September übertraf sie ihre Ururgroßmutter Victoria und wurde zum am längsten herrschenden Monarchen der britischen Geschichte. Mittlerweile ist sie mehr als 64 Jahre auf dem Thron.