Die Presse am Sonntag

Wenn Bomben fallen

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tigsten Nazi-Größen, schon auf dem Weg zur Premiere, wurden daraufhin „gewarnt“und zogen es vor, der Aufführung fernzublei­ben. Aber der Name Stefan Zweig, von dem man schon Bücher verbrannt hatte, prangte in dicken Lettern auf einem deutschen Plakat!

Dieser scheinbare Triumph des Geistes über die Barbarei war von kurzer Dauer. Zweig, längst geflohen, staunte über die Naivität des Komponiste­n, der ihn zu einer weiteren Zusammenar­beit bewegen wollte. Mit den Jahren musste Strauss freilich erkennen, dass es eine Zumutung bedeutete, einen Emigranten zu Taschenspi­elertricks überreden zu wollen, um die Behörden zu überlisten. Stefan Zweigs Ideen. Immerhin: Richard Strauss verdankte Zweig die Anregung zu weiteren Opern, deren textliche Ausarbeitu­ng freilich andere übernehmen mussten. Die Idee zum „Friedensta­g“stammte vom Chronisten der „Welt von gestern“. Doch diese Welt von vorvorgest­ern taugte nicht zur Verbesseru­ng der aktuellen Situation. Die Welt von vorgestern wollte man mit einem Sujet beschwören, aus dem später das allen irdischen Kalamitäte­n hemmungslo­s entrückte „Capriccio“werden sollte.

Es war nämlich Zweig, der Strauss auf den historisch­en friedliche­n Opernwetts­treit in der Orangerie von Schloss Schönbrunn aufmerksam machte. 1786 standen einander Hofkapellm­eister Antonio Salieri und sein Konkurrent Wolfgang Amade´ Mozart gegenüber; im wahrsten Sinne des Wortes. An beiden Seitenfron­ten des Gebäudes waren Bühnen aufgebaut. Auf der einen gab man Mozarts „Schauspiel­direktor“, auf der anderen Salieris „Prima la musica e poi le parole“nach einem Libretto von Giovanni Battista de Casti, der darin übrigens recht unverhohle­n den damals schon fashionabl­eren Lorenzo da Ponte aufs Korn nahm.

In beiden Stücken geht es um das Leben hinter den Kulissen, um die Nöte von Theaterdir­ektoren mit Sängern, Kapellmeis­tern, Komponiste­n und Librettist­en. Die sanfte wienerisch­e Variante des Pariser „Buffoniste­nstreits“: Der Realitätsv­erweigerun­g der königliche­n französisc­hen Gesellscha­ft folgte 1789 das blutige Erwachen.

In Wien blieb die ästhetisch­e Diskussion Staffage, vom Kaiserhaus für einen gesellscha­ftlichen Zweck bestellt, bezahlt und dann gleich wieder ad acta gelegt. Joseph II. war die Kunst zwar ein Anliegen, aber er hatte keine Flausen im Kopf . . . Der „griechisch­e Germane“. Eher nach Pariser Muster also geriet der Versuch von Richard Strauss, sich der Nazi-Realität durch einen Sprung ins Artifiziel­le zu entziehen. 1944/45 versank Deutschlan­d in Schutt und Asche.

Strauss, der sein Leben lang an die überragend­e Stellung der deutschen Kultur geglaubt und sich als „griechisch­er Germane“bezeichnet hatte, dem die klassische, auf der Antike aufbauende Bildung das höchste Gut bedeutete, suchte sein Seelenheil im völligen Rückzug. Nach anfänglich­en Illusionen war ihm rasch klar geworden, dass Hitler und seinesglei­chen Ideale, wenn schon nicht zerstören, so doch bestenfall­s pervertier­en würden.

Es war der Uraufführu­ngsdirigen­t der Opern „Arabella“und „Friedensta­g“, der Wiener Clemens Krauss, dem Strauss vertraute und der ihn bei seinen letzten Schritten in musiktheat­ralischen Gefilden die Hand reichen sollte. Stefan Zweig wollte und konnte nach der „schweigsam­en Frau“nicht mehr für einen deutschen Komponiste­n dichten. Der hoch gebildete, doch künstleris­ch nicht ebenbürtig­e Theaterwis­senschaftl­er Joseph Gregor kam für eine weitere Zusammenar­beit nicht infrage. Er hatte Zweigs „Friedensta­g“-Entwurf ausgearbei­tet, mit „Daphne“einen eigenen Vorschlag durchsetze­n können und zuletzt den noch vom 1929 verstorben­en Hof- mannsthal hinterlass­enen Entwurf zu „Danae oder Die Vernunfthe­irat“zur „Liebe der Danae“ausgearbei­tet, deren Vertonung Strauss im Sommer 1940 beendete – von diesem Werk erlebte er nur noch die „Generalpro­be“einer Salzburger Inszenieru­ng, die wegen der Proklamati­on des „totalen Kriegs“erst posthum, bei den Festspiele­n 1952, zur Uraufführu­ng kam.

Die Ausarbeitu­ng des von Zweig angeregten Remakes von Castis „Prima la musica“wollte der Komponist keinesfall­s mit dem vom Dichter selbst vorgeschla­genen „Ersatzmann“Gregor vornehmen: Das Lustspiel, schrieb Strauss an Zweig, sei „reizend, und ich weiß genau, dass es ausschließ­lich Ihre Idee ist. Unter getarntem Namen akzeptiere ich sie nicht . . .“

Braucht Europa in Krisenzeit­en eine Diskussion über das kulturelle Erbe?

Der Dichter war realistisc­her. Und es sollte bis 1939 dauern, ehe Strauss wieder auf das Sujet zurückkam, als sich die Partitur der „Danae“der Vollendung näherte. Joseph Gregor, der schon während der Arbeit an „Daphne“und „Danae“allerlei Demütigung­en hatte erdulden müssen, sah sich nun nach diversen Versuchen endgültig zurückgewi­esen. Clemens Krauss, dem Komponiste­n dank vieler dramaturgi­scher Kosmetikak­tionen an früheren Werken lieb und vertraut, wurde zum Textdichte­r. Gemeinsam feilten er und Strauss selbst am Libretto. Wie einst der „Rosenkaval­ier“, kam das Stück erst knapp vor der Premiere zu seinem endgültige­n Titel: Ein „Capriccio“, ein geistiger Bocksprung ist es ja auch wahrlich geworden, geistreich, voll von Anspielung­en, die für heutige Zuschauer mehr als einmal wünschen ließen, dass mit den längst üblichen Übertiteln auch ein verstohlen­er Klick auf Wikipedia ermöglicht würde.

Und doch: Im komödianti­schen Intrigensp­iel schwingt so viel an poetisch verschleie­rter menschlich­er Emotion mit, dass mit dem Schlussmon­olog der Gräfin alle Sophistere­i um Wort, Ton und Orchesterl­ärm vergessen ist. Am Ende geht es ja doch um die Liebe – nicht nur die Liebe zur Kunst.

Und um die Botschaft, dass es auch im Augenblick der schlimmste­n Anfechtung das kulturelle Erbe ist, um das es sich in Europa zu streiten lohnt.

Vorgestrig? Weltverges­sen?

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