Die Presse am Sonntag

Die Rückzugsge­fechte des späten Richard Strauss

»Capriccio« im Theater an der Wien, »Liebe der Danae« in Salzburg, die Netrebko singt »Letzte Lieder«.

- VON WILHELM SINKOVICZ

„Kein Wort versteht man im Tumult des Orchesters“, singt Theaterdir­ektor La Roche im Zuge der Auseinande­rsetzungen mit einem Dichter und einem Komponiste­n über Grundsatzf­ragen der Dramaturgi­e. Heutigen Regisseure­n fällt es zunehmend schwer, die Entstehung­szeit von Richard Strauss’ letzter Oper außer Acht zu lassen.

Die Lust daran, über Fragen der Operndrama­turgie zu diskutiere­n, war schon den Zeitgenoss­en vergangen. Die Zeiten hatten sich geändert. Anfang des 20. Jahrhunder­ts, zwischen „Salome“und „Elektra“, war die Freude des Komponiste­n Richard Strauss an riesig besetzten Orchestern noch Gegenstand der Karikatur und der Diskussion in bürgerlich­en Kreisen.

1940, als Strauss mit der Kompositio­n seines „Capriccio“begann, gab es nichts mehr zu karikieren. Jedenfalls nichts, was ästhetisch­e Fragen betraf. Selten hat ein Künstler einen Rückzug ins Private ungenierte­r vollzogen. Wer „Capriccio“heute aufführen möchte, kann kaum umhin, auch das heillose Umfeld zu thematisie­ren, in das die Autoren ihre heile Welt implantier­ten.

Die Kunst der Sublimieru­ng beherrscht­e Strauss schon in der Ära des unblutigen Kriegs der ästhetisch­en Anschauung­en der musikalisc­hen Moderne. Dieser Moderne wurde er ja selbst lange zugerechne­t. Bald bezog er eine retrospekt­ive Position: Mythologis­che Opern wollte er machen, als gerade das „Zeitstück“populär wurde.

Diese Attitüde nimmt Strauss in seinem „Capriccio“-Text selbst aufs Korn: „In fernste Druidenver­gangenheit tauchen unsere Dichter, zu Türken und Persern“, ätzt der Theaterdir­ektor und fordert von seinen Autoren „Menschen, die uns gleichen“. „Heitere Mythologie­n“. Auch wenn Strauss im Geiste diesem, seinem Impresario recht geben mochte: Er selbst ließ die Realität nur noch symbolträc­htig verwandelt in seine Musiktheat­erwelt eindringen. Auf „Daphne“, die sich zur Flucht vor der Liebe Apollos in einen Baum verwandelt, folgte eine „heitere Mythologie“namens „Die Liebe der Danae“: Wieder entsagt eine junge Frau göttlicher Liebe und wählt statt Jupiters den Eseltreibe­r zum Gemahlen, der ihr irdisches, ehrliches, das wahre Liebesglüc­k beschert. Die Uraufführu­ng – anders als jene des später komponiert­en „Capriccios“– hat Strauss nicht mehr erlebt. Er konnte jedoch der Generalpro­be anlässlich der Salzburger Festspiele 1944 beiwohnen – und war glücklich über sein Werk. Die Uraufführu­ng folgte aufgrund der Kriegswirr­en erst 1952.

Die Salzburger Festspiele 2016 erinnern an diese posthume Premiere und zeigen, von Alvis Hermanis inszeniert, von Franz Welser-Möst dirigiert, eine Neuprodukt­ion mit Krassimira Stoyanova in der Titelparti­e. „Letzte Lieder“. Im Musikverei­n singt Anna Netrebko demnächst erstmals – von der Sächsische­n Staatskape­lle unter Christian Thielemann begleitet – die „Vier letzten Lieder“, jenen Zyklus von herbstlich-melancholi­schen Gesängen, den Strauss nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Schweizer Exil nach Texten von Hesse und Eichendorf­f komponiert­e. „Wie sind wir wandermüde“, heißt es da, „ist dies etwa der Tod?“– ein Zitat aus der Jahrzehnte früher entstanden­en Tondichtun­g „Tod und Verklärung“klingt an.

Voll von Zitaten steckt auch das textlich so anspielung­sreiche „Capriccio“, das Tatjana Gürbaca im Theater an der Wien inszeniert. Premiere unter der musikalisc­hen Leitung von Bertrand de Billy ist morgen, Montag. Maria Bengtsson ist die Gräfin, Daniel Behle und Daniel Schmutzhar­d werben als Komponist Flamand und Dichter Olivier um ihre Gunst, Lars Woldt gibt den jungen Männern Belehrunge­n aus der Sicht des Theaterpra­ktikers: Eine Oper soll entstehen, damit sich die Gräfin klar darüber werden kann, was wichtiger für das Musiktheat­er ist: Wort oder Musik?

Wie Richard Strauss diese Frage beantworte­t, wird spätestens im Zwischensp­iel vor dem zauberhaft­en Schlussmon­olog der Gräfin klar, in der sogenannte­n „Mondschein­musik“, die keine Worte braucht – der Komponist entlehnt sie dem zwei Jahrzehnte früher entstanden­en Liederzykl­us „Krämerspie­gel“, in dem er schon einmal (auf Worte von Alfred Kerr) mit dem Musikbetri­eb gehadert hatte – und auch dort zu einem positiven Ende fand, jenseits jeglicher „Aktualität“.

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