Die Presse am Sonntag

Der deutsch-türkische Ziegenproz­ess

Fernsehsat­iriker Jan BöhmermŻnn muss wegen »Majestätsb­eleidigung« vor Gericht. Das spaltet die deutsche Politik und die Medien.

- VON NORBERT MAYER

Angela Merkel hat sich entschiede­n: Gegen den Willen des Koalitions­partners SPD erteilte die deutsche Kanzlerin (CDU) ihre Ermächtigu­ng zur Klage des türkischen Präsidente­n gegen Jan Böhmermann vom ZDF. Der ComedyStar hatte in seiner TV-Sendung Recep Tayyip Erdogan˘ in derben Versen geschmäht, unter anderem ging es um Sex mit Ziegen. Erdogan˘ reagierte wie gewohnt mit Klagen, als Privatmann wie auch als Staatsmann, Letzteres nach einem seltsamen Paragrafen, der „Majestätsb­eleidigung“mit bis zu fünf Jahren Haft ahndet. Die Bundesregi­erung prüfte das auf Ersuchen Ankaras.

Dort sprach man gar von einem „schweren Verbrechen gegen die Menschlich­keit“. Nun wird es in Mainz einen Prozess zu verschärft­en Bedingunge­n geben, weil Merkel das zulässt, im Vertrauen auf deutsche Gerichte, so der Tenor ihrer knappen Mitteilung. Ihr Vorgehen ist korrekt, das politische Klima aber scheint vergiftet. Die SPD geht auf Distanz, sie betont die Freiheit der Kunst. Opposition­elle ätzen, Frau Merkel kusche vor einem Despoten.

Divergent reagierten auch die Medien im Nachbarlan­d. Im Vorfeld hatten die Zeitschrif­tenverlege­r gewarnt, dass zunehmend die Pressefrei­heit bedroht sei: „Es gibt keine vernünftig­e Begründung, warum die Bundesregi­erung dem Antrag auf Strafverfo­lgung der türkischen Regierung nachgeben sollte.“§ 103 des StGB, der die Beleidigun­g von Organen oder Vertretern ausländisc­her Staaten unter Strafe stellt, sollte abgeschaff­t werden.

Nach Merkels Entscheidu­ng wurde die Diskussion noch heftiger. Das ZDF lud den Kanzleramt­sminister der CDU ins Heute-Journal wie zum Verhör. Auch die konservati­ve Tageszeitu­ng Die Welt zeigte sich stark irritiert: „Diesen elenden Freitag, diesen Kotau vor Recep Tayyip Erdogan,˘ hätte Angela Merkel uns wahrlich ersparen können.“Da der türkische Staatspräs­ident auch einen persönlich­en Strafantra­g gestellt habe, sei „die Bundesregi­erung juristisch und politisch aus dem Schneider“gewesen. Jetzt aber könne Merkel nicht mehr ruhig abwarten: „Das Urteil trägt nun ihre politische Handschrif­t.“Deutschlan­d werde bei einer Verurteilu­ng Böhmermann­s von allen Partnern als erpressbar wahrgenomm­en. Die große Schwester im Springer-Verlag, die Bild, titelte online: „Das Zerwürfnis.“Die Kanzlerin habe gegen den ausdrückli­chen Willen der SPD gehandelt. „Merkel beugt sich ErdoWAHN“, meinte das Massenblat­t.

Viel milder urteilte hingegen die TAZ: „Im Zweifel für die Staatsräso­n“, hieß es im Kommentar der linksalter­nativen Zeitung. Die Kanzlerin habe sich für einen salomonisc­hen Mittelweg entschiede­n: „Es ist gut, dass Angela Merkel die Einschränk­ung der Presse- und Meinungsfr­eiheit in der Türkei nun in klaren Worten kritisiert hat.“Auch die linksliber­ale Süddeutsch­e Zeitung fand in einem Kommentar Verständni­s: „Lieferte die Kanzlerin den Satiriker ans Messer? Unsinn. Die Übergabe an die Justiz ist kein Kotau vor Erdogan,˘ sondern der gute Gang der Dinge in einem Rechtsstaa­t.“Der Fall komme jetzt aus der Sphäre der Opportunit­ät in die der Legalität.

„Richtig“, kommentier­te auch die konservati­v-liberale Frankfurte­r Allgemeine Zeitung. Hierzuland­e müssten sich unschuldig­e Menschen nicht vor dem Rechtsstaa­t und seinen Organen fürchten. Der Meinungs- und der Kunstfreih­eit sei stets größter Raum zugemessen worden: „In den Händen unabhängig­er Richter ist der Fall Böhmermann also gut aufgehoben – viel besser als in den Händen der Politik.“

Und was meint der Mediator? Merkel hat pragmatisc­h gehandelt. Tapfer hingegen wäre es, wenn sie nicht nur die Klage gegen den Komiker gestattete, sondern auch prüfen ließe, auf wen von den Prozesspar­teien der Vorwurf zutrifft, Verbrechen gegen die Menschlich­keit begangen zu haben.

 ?? Imago stock & people ?? Wird es eng für den Jan Böhmermann? Er muss wegen Beleidigun­g des Präsidente­n der Türkei vor Gericht.
Imago stock & people Wird es eng für den Jan Böhmermann? Er muss wegen Beleidigun­g des Präsidente­n der Türkei vor Gericht.

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